piwik no script img

10 Jahre „Das Wetter“„Wir entscheiden nach Leidenschaft“

Zum Jubiläum ein Buch, so feiert „das Wetter“. Wie altert ein Magazin über Literatur und Musik und braucht es Förderung vom Staat, um zu überleben?

Sascha Ehlert und Katharina Holzmann in der Jospeh-Roth-Diele in Berlin-Schöneberg
Carolina Schwarz
Interview von Carolina Schwarz

wochentaz: Wenn man euch googelt, kommen Wetterberichte oder Katastrophenmeldungen. Wieso habt ihr euch Das Wetter genannt?

Sascha Ehlert: Unser Titel ist inhaltlich offen, allgegenwärtig und zeitlos. Übers Wetter reden geht immer. Und das war unser Anspruch: Ein Printmagazin muss insbesondere heute zeitlos sein, weil Zeitgeist längst im Digitalen stattfindet.

Euer Magazin gibt es seit 10 Jahren mit über 30 Ausgaben und nun einem Buch. Hättet ihr gedacht, dass ihr solange durchhaltet?

Katharina Holzmann: Auf keinen Fall. Wir haben lange kein Geld erwirtschaftet und uns dementsprechend sehr wenig oder gar nichts bezahlt. Sowohl dass wir so lange durchgehalten haben, aber auch, dass der Kiwi-Verlag direkt fürs Buch zugesagt hat, ist eine Überraschung.

Die Ma­che­r*in­nen

Katharina Holzmann arbeitet seit Beginn für das Magazin und ist Mitbegründerin und Verlegerin des Korbinian Verlags

Sascha Ehlert ist Gründer und Chefredakteur von „Das Wetter“ und ebenfalls Verleger des Korbinian Verlags.

Sascha Ehlert, Katharina Holzmann (Hg.): „Das Wetter – Buch für Text und Musik“. KiWi, 379 Seiten, 22 Euro

Beim Wetter macht ihr alles selbst. War es schwierig, Verantwortung abzugeben?

Sascha Ehlert: Ich finde es generell schwierig, bei der eigenen Firma Kontrolle abzugeben. Alle Texte lese ich vor dem Druck zwei bis drei Mal, dabei bin ich nicht der Lektor. Aber meine Persönlichkeit der letzten zehn Jahre ist eben sehr stark mit diesem Magazin verbunden. Es fühlt sich an, als sei Das Wetter ein Lebewesen, das ich schützen muss. Das liegt auch daran, dass es sich bei uns so familiär anfühlt mit den Au­to­r*in­nen und Fotograf*innen. Und manches ist auch tatsächlich familiär: Meine Mutter ist neben Katharina die einzige Angestellte. Sie hält den Laden auf geschäftlicher Ebene zusammen.

Auf euren Covern sind nicht zwingend große Stars, sondern oft Newcomer. Wie entscheidet ihr, wer draufkommt?

Katharina Holzmann: Am Anfang haben wir die großen Stars gar nicht bekommen und mussten uns eher am „Mittelfeld“ orientieren. Aber wir wollen uns eh nicht an Hypes und Albumveröffentlichungen orientieren, sondern daran, wessen Kunst wir interessant finden.

Sascha Ehlert: Wir haben uns schon immer rausgenommen, mehr nach Leidenschaft als nach Verkäufen zu entscheiden. Als gelernter Magazin-Journalist weiß ich, dass in der Regel die großen Namen auf die Cover kommen. Meist zudem weiße Männer. Mir war es ein Anliegen, dass, wenn ich schon ein wirtschaftlich hoffnungslos erscheinendes Magazin mache, dann wenigstens nach meinen Idealen. Wir haben schnell gemerkt, dass das richtig ist. In unserer Ausgabe 9 ist Hayiti auf dem Cover, die hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht mal ein Label. Die Leute sprechen uns bis heute darauf an.

Gibt es einen Bestseller?

Sascha Ehlert: Casper war auf unserem ersten Cover und auch auf der 26. Ausgabe. Das hat sich super verkauft. Nicht unbedingt, weil er der Künstler mit der größten Reichweite ist, sondern weil er eine Fanbase hat, die auch ein Interesse an Printporträts hat. Ein anderes Beispiel sind Pasha­nim und Symba. Mittlerweile sind sie voll etablierte Größen, doch das Cover haben wir zu Zeiten der ersten größeren Singles der beiden gemacht. Trotzdem hat sich die Ausgabe direkt so gut verkauft. Bis heute werden wir danach gefragt, was sicherlich auch daran liegt, dass es das erste und einzige Presseinterview mit Pashanim ist.

Alles Rapper. Liegt euer Schwerpunkt generell auf dem Genre?

Katharina Holzmann: Wir sind beide mit Berliner Rap groß geworden. Wir kannten uns also gut aus, und dann ist Rap in den letzten Jahren natürlich zu einer der populärsten Musikrichtungen im Mainstream geworden.

Sascha Ehlert: Rap war nicht nur am mainstreamigsten, sondern auch die Musikrichtung, in der am meisten Neues passiert ist. Aber in den letzten Zeit ist mir Deutschrap fast zu erfolgreich geworden und die Musik zu sehr auf den nächsten Hit ausgelegt. HipHop war mal die Musik der Underdogs, doch wenn ich heute durch Berlin laufe und gucke, wer sich HipHop-mäßig kleidet, merke ich, dass das mittlerweile viel mehr die Gewinner sind. Auch die reichen Grunewald-Kids sehen aus wie aus einem Pashanim-Video. Bei Das Wetter wollen wir auch immer das abbilden, wo gerade das Gegenkulturelle stattfindet. Und das sehe ich aktuell ein Stück weit eher im Indie als im Rap.

Das entsteht oft unter Jugendlichen. Wie geht ihr damit um, dass euer Abstand zu denen immer größer wird?

Sascha Ehlert: Natürlich schauen wir mit Mitte 30 ein bisschen distanzierter auf Jugendkultur als am Anfang. Auf unseren aktuellen Covern sind gerade Nils Keppel und Modular, beide noch nicht so groß. Aber deren Energie fand ich so geil, dass mich das abholt, auch wenn die mittlerweile halt 15 Jahre jünger sind als ich. Und solange ich mich mit dem Kram, den junge Leute feiern, noch identifizieren kann, kann ich diesen Job noch machen.

Ihr schreibt über Musik, Film und Literatur. Seid ihr ein Feuilleton für junge Leute?

Sascha Ehlert: Durch unseren Ton und unsere Art heben wir uns von anderen ab. Im Feuilleton geht es bis heute darum, durch Sprache eine Hierarchie zwischen Au­to­r*in und Le­ser*­in­schaft aufzubauen. Unser Gestus soll nie sein: Wir erklären euch jetzt die Welt. Wir ­schreiben über Rap, Indie-Rock und Literatur und stellen das auf die gleiche Ebene. Bei uns gab es nie eine Hierarchie zwischen Haftbefehl und Tocotronic, wie es das bei Spex und Co gab.

Eure Texte und Interviews sind sehr lang, die Au­to­r*in­nen treten meist selbst auf, die Sprache ist alltagsnah mit viel Slang. Dadurch entsteht eine Nähe, die es in journalistischen Texte nicht oft gibt. Dafür müsst ihr euch immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr zu nett zu den Künst­le­r*in­nen seid.

Katharina Holzmann: Früher hat mich dieser Vorwurf genervt, mittlerweile nicht mehr. Wir sind kein Nachrichtenmagazin, haben keine Pflicht zur Aufklärung der Öffentlichkeit über Kultur. Wir wollen ein kuratiertes Bild einer großen Kulturszene geben und da behalten wir uns vor, Leuten Aufmerksamkeit zu schenken, die wir cool finden.

Ihr hattet auch Künstler auf dem Cover, gegen die es heute schwere Vorwürfe der sexuellen Übergriffe gibt.

Katharina Holzmann: Wenn es im Nachhinein Vorwürfe gegen eine Person gibt, glaube ich, dass da was dran ist. Für uns ist dann klar: Jetzt hört die Unterstützung auf. Wir sehen uns aber nicht in der Pflicht, das in der Öffentlichkeit noch mal abzuurteilen.

Sascha Ehlert: Mir käme es wohlfeil vor, dann ein Statement zu setzen: Wir distanzieren uns. Was sich aber verändert hat, ist, wie wir Musik mit sexistischen Inhalten bewerten. Als mit Rap Sozialisierte haben wir das lange mit Authentizität verteidigt. Heute sehe ich das anders.

Katharina Holzmann: Wir lernen weiter dazu und gucken auch, wer welche Texte schreibt. Also, wir wählen nicht nach Minderheitengruppen aus, wer über den berichten darf. Aber wir denken darüber nach, was angebracht ist. Manchmal ist es ja auch vielleicht eine Entscheidung, Menschen zum Interview zu schicken, wo man weiß, dass es ein bisschen crashen wird.

Ihr habt also einen politischen Anspruch, wer bei euch vorkommt und wer schreibt?

Sascha Ehlert: Seit einigen Jahren achten wir immer auch auf das Geschlechterverhältnis. Aber am Anfang ging es immer nur darum, genug Geld für die nächste Ausgabe aufzutreiben und überhaupt fertig zu kriegen. Und wenn du das irgendwann drauf hast, dann kannst du an anderen Dingen arbeiten.

Katharina Holzmann: Wir hatten noch nie nur weiße Menschen auf dem Cover, aber als 2015 Pegida aufkam, dachten wir: jetzt erst recht. Denn die Magazin- und Feuilletonlandschaft war damals noch super weiß, wir wollen aber die Normalität in Deutschland oder zumindest Berlins abbilden.

Ihr habt euch gegründet in der Zeit des großen Magazin-Sterbens, Musik-Magazine gibt es kaum mehr, viele unabhängige Medien sind in der Krise. Berührt die euch nicht?

Katharina Holzmann: Doch voll! Am Anfang haben wir die Wochenenden durchgearbeitet, nebenbei studiert, Sascha hat Vollzeit gearbeitet. Jetzt ist die Situation anders, wir haben die letzten zehn Jahre unseres Berufslebens mit dem Wetter verbracht und irgendwie auch geopfert. Natürlich wollen wir das weitermachen, doch die Krise packt uns auch.

Sascha Ehlert: Corona hat uns schon existenziell bedroht, aber wir hatten genug kulturelles Kapital, um das zu überstehen. Wäre das drei Jahre vorher passiert, hätte uns das gekillt, und mich in die Privatinsolvenz getrieben. Obwohl wir heute wachsen, Anzeigen und Verkäufe besser laufen, stagnieren wir, weil alles so teuer geworden ist.

Katharina Holzmann: Wir wirken natürlich erfolgreich, groß und glänzend, aber dahinter stecken sehr geringe Löhne und sehr viel Arbeit.

Allen unabhängigen Magazinen geht es da ähnlich. Was könnte allen helfen?

Katharina Holzmann: In Österreich und Schweiz gibt es Förderungen für unabhängige Verlage. Ich frage mich, warum Deutschland, das sich immer so mit seiner Kultur schmückt, nicht mal aktiv wird. Ich halte das wirklich für eine Unverschämtheit.

Aber ist man noch völlig unabhängig, wenn man sie auf staatliche Gelder verlässt?

Katharina Holzmann: Früher hätte ich staatliche Förderung aus idealistischen Gründen abgelehnt, aber heute seh’ ich das anders, vielleicht realistischer. Ich will halt nicht, bis ich 50 bin, von 1.000 Euro im Monat leben.

Sascha Ehlert: Die Alternative wäre wohl, das Magazin englischsprachig auszurichten, um sich einen internationalen Nischenmarkt zu erschließen. Oder wie Lifestyle-Magazine Cover an Modelabels zu verkaufen. Aber anstatt von denen, wäre ich lieber abhängig vom Staat. Dabei ist auch das natürlich eine potenziell gruselige Vorstellung. Unter der Ampel wäre es vielleicht noch okay, aber stellen wir uns vor, die AfD wird Teil einer konservativen Koalition und übernimmt das Kultusministerium. Aber trotz aller Bedenken, sehe ich solche Förderungen gerade als einzige Lösung, um eine diverse Magazinlandschaft zu retten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!