1. Mai in Berlin: Hedonisten befrieden den Grunewald
4.000 Menschen kommen zur „MyGruni“-Aktion. Die Anwohner feiern wie schon im vergangenen Jahr nicht mit.
Die Auftaktkundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz Grunewald hat denn auch Volksfestcharakter: Bands spielen, DJs legen auf, viele Teilnehmer sind verkleidet und trinken Sekt. 900 BeamtInnen hat die Polizei aufgefahren. Bei der Zugangskontrolle im Bahnhof werden Teilnehmern tatsächlich Sticker abgenommen. Die prächtigste Villa am Platz wird mit Polizeigittern geschützt.
Auf einem Lauti versucht es die „Neue Treuhand“ dennoch mit einer Ansprache an die Nachbarschaft: „Lösen Sie sich von Ihrem Kapital. Verhindern Sie, dass Ihre Kinder in eine ähnlich missliche Lage wie Sie geraten.“ Umverteilung sei möglich, das habe schon die historische Treuhand nach der Wende vorgemacht. Sein ironischer Aufruf zur „freiwilligen Selbstenteignung“ wird laut beklatscht.
Anwohnerin Cécilia steht mit anderen an der Demo-Route und freut sich über die seltene Abwechslung, doch die politische Botschaft sei ihr unklar. Eine andere Anwohnerin spricht von einer „Spaßveranstaltung“. Die TeilnehmerInnen seien in ihren Augen „ein bisschen unreif“.
Auf der Bühne folgt ein Redner vom seit April laufenden Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Im Publikum haben die Unterschriftensammler Probleme, Menschen zu finden, die noch nicht unterschrieben haben.
Um 14.45 Uhr setzt sich schließlich die Demo in den engen Straßen in Bewegung. Es sind noch mehr Menschen als im vergangenen Jahr, erste Schätzungen gehen von 4.000 aus. Der Bass dröhnt. Am ersten Lautsprecherwagen steht „Enteignung first. Bedenken second.“ Dutzende Schilder widmen sich derselben Thematik.
Es geht vorbei an luxuriösen Villen – für viele ein Ausdruck einer problematischen Anhäufung von Kapital im „Problemkiez“. Dem Aufruf, die Gartentore zu öffnen, die Grills anzuschmeißen und Wein auszuschenken, mochten die Anwohner zumindest auf dem ersten Teil der Route nicht folgen.
Livestream zum 1. Mai aus dem Grunewald von taz-Autorin Jasmin Kalarickal
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen