1. Mai 2021 in Hamburg: Verbot und Chaos
Linker Protest zum 1. Mai war in Hamburg verboten, dennoch suchten sich viele ihren Weg auf die Straßen. Die Polizei reagierte gewaltvoll.
Auch das Anarchobündnis „Schwarz-roter erster Mai“ durfte weder laufen noch eine stationäre Kundgebung abhalten. Rund 80 Personen versammelten sich am Mittag dennoch am Schlump, wurden aber nach hundert Metern von der Polizei gestoppt. Zwei kurzfristig angemeldete Kundgebungen für je 200 Personen verbot die Versammlungsbehörde im letzten Moment, aus Angst, diese könnten als Ersatz-Anlaufpunkte dienen. Die Folge waren dezentrale Proteste in der ganzen Innenstadt.
Was die Polizei nicht verhindern konnte, versuchte sie durch Übermacht und gewaltvolles Durchgreifen zu zerstreuen. Vor den Wallanlagen saßen rund 40 Personen über fünf Stunden in einem Polizeikessel fest, darunter mindestens eine Minderjährige. „Sie ließen uns nicht auf Toilette gehen, wir mussten in einen Gulli pinkeln“, sagt die 14-Jährige Polly der taz. „Die Polizist*innen trieben uns immer enger zusammen, sodass wir gar keine Abstände mehr wahren konnten“, sagt Polly.
Minderjährige vier Stunden gekesselt
Auch hätten die Polizist*innen selbst Abstände ignoriert, zum Teil keine medizinischen Masken getragen und sich nicht dafür interessiert, ob Verletzte oder Minderjährige im Kessel waren. Nach vier Stunden holte der Ermittlungsausschuss die 14-Jährige heraus. Die Polizei brachte sie aufs Kommisariat, wo ihre Eltern sie abholten. „Ich bin wütend und empört darüber, wie die Polizei unsere Rechte missachtet hat“, sagt Polly.
Am Nachmittag versammelten sich mehrere hundert Personen im Schulterblatt, eine Punkband spielte vom Balkon der Roten Flora. Dann räumten Wasserwerfer die Schanze. Während die Polizei ein positives Fazit zog, bilanzieren Aktivist*innen den Tag negativ: „Wer den Reichen an ihren Luxus will, muss sich auf Stress einstellen, das hat die Stadt mit der größten Millionärsdichte Deutschlands bewiesen“, sagt Carlotta Schmidt von „Wer hat, der gibt“. „Ohne den martialischen Polizeieinsatz wäre alles coronakonform abgelaufen, aber offenbar ist es der Innenbehörde wichtiger, linken Protest zu kriminalisieren.“
Auch Deniz Celik, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, kritisiert die „völlig unnötige Eskalation“ durch die Polizei. Sie habe damit der Pandemieeindämmung einen Bärendienst erwiesen. Der Sprecher des Linken-Landesverbandes, Keyvan Taheri, äußert Entsetzen über den Angriff auf die Versammlungsfreiheit. „Diese grundrechtsfeindliche Haltung des rot-grünen Senats ist für alle Demokrat*innen unerträglich“, sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau