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„... dann gnade uns Gott“

Interview STEFAN REINECKE und EBERHARD SEIDEL

taz: Heute wird bundesweit für „Solidarität mit Palästina“ demonstriert, am Sonntag findet in Berlin eine „Solidarität mit Israel“-Demo statt. Zu welcher Veranstaltung gehen Sie, Herr Ghadban, Frau Kahane?

Ralph Ghadban: Ich werde zur Demonstration der palästinensischen Gemeinde gehen. Ob ich auch da bleibe, hängt davon ab, welche Slogans gerufen und welche Plakate getragen werden. Bei manchen palästinensischen Demos ist mir der islamistische Touch zu stark und sind die Slogans und Plakate zu widerlich. Aber für die Demo am Samstag hat ein breites Bündnis aufgerufen, so dass ich hoffe, einen Block zu finden, bei dem ich mich einreihen kann.

Anetta Kahane: Ich werde zu der Demonstration gegen Antisemitismus und Antizionismus gehen. Diese Demo ist keine Parteinahme gegen Palästina oder für Israel, auch wenn der Titel das nahe legt. Es geht der Jüdischen Gemeinde darum zu verhindern, dass der Konflikt zwischen Israel und Palästina dazu führt, dass der Antisemitismus hierzulande wieder hochkommt.

Herr Ghadban, können Sie Frau Kahanes Argumente nachvollziehen?

Ghadban: Zum Teil ja. Allerdings habe ich Schwierigkeiten damit, wenn Antizionismus und Antisemitismus gleichgesetzt werden. Denn ich verstehe mich als Antizionist. Ich betrachte den Zionismus als eine Form des Rassismus.

Kahane: Das kann ich natürlich überhaupt nicht teilen. Antizionismus heute heißt nicht mehr, die alte Gesellschaftstheorie von Herzl zu kritisieren, sondern das Recht Israels anzugreifen, ein staatliches Gebilde zu sein. Doch dieses Existenzrecht muss unangetastet bleiben, auch wenn die Staatengründung vor gut fünfzig Jahren unzweifelhaft gravierende Geburtsfehler hat, an denen aber nicht nur die so genannten Zionisten, sondern sehr viele mitgestrickt haben.

Ghadban: Ich bin für das Existenzrecht Israels.

Kahane: Dann sind wir uns ja einig.

Ghadban: Ich bin gegen Hamas‘ Politik

Kahane: Gut.

Ghadban: … auch öffentlich, auch im Libanon, auch in den Flüchtlingslagern.

Kahane: Gut.

Ghadban: Und ich mache einen Unterschied zwischen dem Existenzrecht Israels und dem Zionismus. Ich kritisiere am Zionismus zweierlei: das Bestreben nach Großisrael und damit verbunden die Tatsache, dass es keine klar definierten Grenzen Israels gibt. Zweitens, dass im Zionismus die Anerkennung des Existenzrechts der Palästinenser in einem staatlichen Gebilde nicht vorgesehen ist. Nach Oslo gab es Anzeichen für eine Art Entzionisierung der Politik in Israel. Ein Israeli, der Großisrael aufgibt und einen lebensfähigen Palästinastaat akzeptiert, betreibt keine zionistische Politik mehr.

Kahane: Dann sind wir uns einig. Natürlich bin ich für die Gleichberechtigung aller Bürger in Israel, und natürlich spreche ich mich für einen eigenen Staat Palästina aus.

Frau Kahane, gibt es in Deutschland einen neuen Antisemitismus?

Kahane: Es gibt die Tendenz, angesichts der Eskalation in Nahost in die Kiste Antizionismus zu greifen. Das unübersehbare Leid der Palästinenser, das das Ergebnis einer Vielzahl religiöser, politischer und finanzieller Interessen im arabischen Raum ist, wird als zu komplexes Problem empfunden. Da liegt das antisemitische Stereotyp nahe, dass die Juden an allem Schuld sind.

Ghadban: In Deutschland gibt es tatsächlich das Phänomen, Antisemitismus hinter Antizionismus zu verbergen.

In dem Aufruf der proisraelischen Demo heißt es, es existiere eine antizionistische Front von der FAZ-Sonntagszeitung bis zu den Antiimperialisten, es gebe eine Linie vom Ostermarsch bis zu rechter Gewalt gegen Juden. Ist die deutsche Realität nicht ganz anders? Die politische Klasse ist so proisraelisch wie sonst kaum eine in Europa. Gibt es wirklich eine antiisraelische Kampagne?

Kahane: Da haben wir sehr verschiedene Wahrnehmungen. Ich kriege diese Veränderungen schon mit: auf der Straße, in der Nachbarschaft. Auch in den Medien.

Zum Beispiel?

Im Fernsehen hört man oft die Meldung, die Israelis hätten so und so viele Menschen erschossen. Erst danach wird darüber informiert, was diese Aktion veranlasste. Dass sich selbst mir der Eindruck aufdrängt, die Berichterstattung hier würde antiisraelischer, ist schon komisch. Denn für mich war Israel nie so etwas wie eine zweite Heimat. Meine Gefühle gegenüber Israel waren stets sehr ambivalent. Ich bekomme in Gesprächen, in den großen Tageszeitungen, in Kinderladen und Schulen mit, dass es eine Allianzbildung gibt, einen Rückgriff auf antisemitische Stereotype, die mich erschreckt. Derzeit habe ich das Gefühl, dass ich immer erst mal sagen muss, dass ich Scharon total verurteile, bevor ich etwas sagen darf. So einen Kotau machen zu müssen, lehne ich ab.

Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats, hat bei der Demo in Frankfurt Medien und Universitäten antiisraelische Haltungen unterstellt. Vorwürfe gegen taz und Sonntags-FAZ reichen bis zu antisemitischen Tendenzen. Ist das nicht überzogen? So dass ein Gespräch nahezu unmöglich wird?

Kahane: Das Argument, dass wir Juden für eine Gesprächsblockade verantwortlich seien, höre ich in letzter Zeit immer häufiger. Ihr tut so, als wäre das mit dem Holocaust gegessen; das war irgendwann einmal, nun seid mal nicht so empfindlich. Ich höre mehrmals am Tag, ich solle nicht so zimperlich sein. Aber wo leben wir denn eigentlich? Wir leben schließlich im Land der Täter. Für uns ist das noch Familiengeschichte. Ich hätte gerne Großeltern gehabt und hatte sie nicht, weil sie umgebracht wurden. Mir fehlt ein Stück Familie. Das habe ich immer ungern gesagt, weil es so klingt, als müsste ich mich rechtfertigen. Viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde sind sensibilisiert. Sie haben echte Befürchtungen, keine ritualisierten. Es gibt den Generationswechsel, die Schoa-Überlebenden verschwinden. Der Staat Israel ist inzwischen fünfzig Jahre alt, und jetzt, nach so langer Zeit, haben viele Deutsche das Gefühl, dass sie endlich sagen dürfen, was sie eigentlich über Juden denken.

Stimmt dieses Bild? Wir erinnern uns an den Golfkrieg 1991. Da hat vor allem die Linke in der Tat eigene Befindlichkeiten auf den Nahen Osten projiziert. Aber das hat in den letzten zehn Jahren stark nachgelassen. Diesen Wandel verkörpert in dieser Frage Joschka Fischer. Also: Übertreiben Sie nicht?

Kahane: Nein. Es ist schon eigenartig, dass man Betroffenen nicht glaubt, wenn sie sagen, dass der Antisemitismus schlimmer geworden ist. Sie werden dazu gezwungen, es zu beweisen. Wir haben es doch in Deutschland nicht nur mit einer politischen Klasse zu tun, sondern mit der Bevölkerung. Auf der einen Seite sind wir uns in der Analyse einig, dass es in großen Teilen der Bevölkerung einen völkischen Konsens gibt, und beim Antisemitismus soll das plötzlich nicht mehr gelten. Ich habe schon vor drei, vier Jahren gesagt, dass der Antisemitismus etwa in Ostdeutschland rasant zunehmen wird. Der Grund: Noch zu DDR-Zeiten wurden all die antisemitischen Stereotype in antizionistische Erklärungen verkapselt und wie in einen Kokon verpackt. Die platzen jetzt alle so auf.

Herr Ghadban, finden Sie auch, dass die Stimmung in Deutschland antiisraelischer geworden ist?

Ghadban: Die propalästinensichen Stimmen sind in Deutschland im Laufe der letzten Jahre mehr geworden. Früher mussten wir stets aufs Neue um Selbstverständlichkeiten kämpfen. Die Öffentlichkeit war kaum bereit, unsere Anliegen zu akzeptieren, geschweige denn zu verstehen. So wurde bei der ersten Intifada Mitte der Achtzigerjahre zunächst eindeutig zugunsten Israels berichtet. Im Verlauf gab es dann einen Umschwung zugunsten der Palästinenser. Bei der zweiten Intifada standen die Medien von Anfang an auf Seiten der Palästinenser. Anfang August 2001 begann die Stimmung aufgrund der vielen Selbstmordanschläge allerdings wieder zu Gunsten Israels umzukippen.

Generell habe ich den Eindruck, dass seit dem 11. September und der Politik Scharons, die sowieso niemand mehr versteht, der Westen endlich Ruhe haben möchte. Israel wird da etwas lästig. Das Land hat seit 1989 seine Funktion als Vorposten des Westens und des Kapitalismus verloren. Die Menschen im Westen verstehen immer weniger, warum Israel immer noch mit einem Bonus rechnet, der eigentlich nicht mehr begründet ist.

Und die Stimmung in Deutschland?

Ghadban: Die hat sich tatsächlich geändert. Bei manchen, die sich so eifrig für die palästinensische Sache einsetzen, bin ich selbst erschrocken. Bei denen habe ich das Gefühl, dass sie weniger für Palästina als gegen die Juden sind. Ich habe den Eindruck, dass die Motivationen für die jeweilige Haltung – früher eher für Israel, heute eher für Palästina zu sein – nichts mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt zu tun haben. Die Gründe dafür liegen in einer deutschen Problematik, und das finde ich beunruhigend.

Wieso?

Ghadban: Die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit scheint in jeder Ecke wieder auf. In den Siebzigerjahren habe ich immer gesagt, die Deutschen hätten erst dann ihre Vergangenheit aufgearbeitet, wenn sie endlich auch mal die israelische Politik kritisieren könnten – weil Unrecht überall Unrecht ist. Das haben sie damals kaum getan. Jetzt kritisieren viele massiv. Aber dieser Sprung, das ist keine richtige, reflektierte Aufarbeitung. Ich kann Frau Kahane deshalb schon verstehen, warum sie in Deutschland keinen Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus machen will. Aber damit begeht man wieder ein Unrecht gegen Leuten wie mich, die seit Jahrzehnten aus einer linken Position gegen den Zionismus gekämpft haben, nicht aber gegen die Juden.

Kahane: Herr Ghadban hat etwas für mich sehr Wichtiges angesprochen. Die Instrumentalisierung des Nahostkonflikts spielt in Deutschland ein wichtige Rolle bei der Aufarbeitung des Eigenen. Viele, die sich jetzt positionieren, interessieren sich nicht wirklich dafür, was die Menschen in Nahost auszuhalten haben. Es wird etwas Eigenes an einem weit entfernten Ort ausagiert, wo man keine Empathie braucht. Die Empathieunfähigkeit, die man in Deutschland gerade beim Thema Rassismus häufig beobachten kann, zeigt sich auch an diesem Punkt. Aber Israel braucht Empathie, gerade im Moment. Denn sollte es auf Grund der Selbstmordanschläge zu Auflösungserscheinungen des Staates Israel kommen, dann Gnade uns Gott. Dann wird es weltweit zu einer Entfesselung des Antisemitismus kommen, dann werden wegen des Terrors Teile der mobilen, liberalen Schicht das Land verlassen. Dann bleiben nur noch die Religiösen und Nationalen. Das wäre furchtbar.

Herr Ghadban, wenn ein arabischer Jugendlicher in Deutschland einen Stein auf eine Synagoge wirft, ist er dann ein Antisemit? Oder ein desorientierter Jugendlicher? Sehen Sie diese Gefahr, oder wird da übertrieben?

Ghadban: Jugendliche werden stärker als Erwachsene von Stimmungen beeinflusst, sie reflektieren Stimmungen zu Hause, in den Medien, in der Schule. Anders als früher ist dieser Einfluss kaum noch berechenbar. Früher konnte man mit den Eltern reden, mit der Schule, dann war die Sache geregelt. Heute gucken Jugendliche Dutzende von arabischen Satelliten-TV-Programmen. Und wenn Scheich Qaradawi, einer der Ideologen der Muslimbrüder, eine Fatwa ausspricht, sitzen Millionen vor dem TV, und die Eltern sind hilflos. Man kann nicht mehr so einfach das Umfeld und damit die Reaktionen kontrollieren. Was man kontollieren kann, ist die organisierte Arbeit arabischer Organisationen. Und diese Organisationen haben keinerlei Interesse an Gewalttaten in Deutschland, zumal die öffentliche Stimmung zu ihren Gunsten ist.

Kahane: Auch in diesem Fall gilt, was für Rechtsextremismus und Rassismus insgesamt gilt und durch wissenschaftliche Untersuchungen untermauert ist: Neben den Medien sind die unmittelbaren Meinungsmacher wichtig. Welchen Input diese im Sportverein, in der Moschee oder wo auch immer leisten, spielt eine große Rolle. Vorurteile werden sehr stark durch die direkte Umgebung geprägt. So wenig wir uns der Verantwortung bezüglich rechtsextremer Jugendlicher entziehen können, so wenig können wir uns der Verantwortung für Jugendliche aus dem Kreis der arbischen und türkischen Migranten entziehen, wo wir eine Reislamisierung beobachten.

Es gibt in Deutschland keinen ausgeprägten jüdisch-arabischen Dialog. Wo sehen Sie, Herr Ghadban, Hindernisse auf dem Weg zu mehr Dialog?

Ghadban: Vor vier Jahren gab es in Berlin ein Straßenfest der Jüdischen Gemeinde unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters. Anlass war ein Jubiläum: 30 Jahren Wiedervereinigung Jerusalems. Das war eine Provokation für alle Araber der Stadt. Die Jüdische Gemeinde hat versucht, die Wiedervereinigung Jerusalems – ein Unrecht, das gegen alle Gesetze und Resolutionen der UNO verstoßen hat – mit der Wiedervereinigung Berlins zu koppeln. Wer den Dialog will, darf so etwas nicht tun. Und der Berliner Senat gefährdet den Frieden in dieser Stadt, wenn er so einseitig für die Politik Israels Partei ergreift.

Kahane: Dieses Fest war auch unter den Berliner Juden umstritten.

Ghadban: Wir sollten uns an den Imam von Marseille orientieren. Der hat gesagt, Juden und Muslime in Frankreich haben das Recht, verschiedene Meinungen zu vertreten und verschiedene Parteien zu unterstützen. Aber sie dürfen beide nicht vergessen, dass sie an erster Stelle Franzosen sind. Ein Dialog wird einfacher, wenn wir verstehen, dass wir uns nicht primär an Israel oder Palästina binden dürfen, sondern dass wir uns etwa als Berliner verstehen.

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