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+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++Dramatische Lage in Bachmut

Kyjiw fordert Zivilisten auf, die umkämpfte Stadt zu verlassen. Britische Geheimdienste gehen von bislang 60.000 getöteten russischen Soldaten aus.

Brutale Kämpfe um Bachmut, ein ukrainischer Soldat lädt Atillerie nach, 15. Februar

Ukraine ruft Zivilisten zur Flucht aus Bachmut auf

Die Regierung in Kyjiw hat angesichts der schweren Kämpfe in der ostukrainischen Stadt Bachmut alle dort noch ausharrenden Zivilisten zur Flucht aufgerufen. „Wenn Sie zurechnungsfähige, gesetzestreue und patriotische Bürger sind, sollten Sie sofort die Stadt verlassen“, appellierte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschukin am Freitag an die vermutlich nur noch wenige Tausend Verbliebenen. Die russische Armee und Söldner der Wagner-Miliz rennen seit Monaten unter schweren Verlusten gegen die ukrainischen Verteidiger der fast völlig zerstörten Stadt an.

Erst am Donnerstag waren dabei nach Angaben der Regierung wieder fünf Zivilisten getötet und neun verletzt worden. Nach Wereschtschuks Angaben sind noch gut 6000 Zivilisten in der Stadt, von ursprünglich 70.000. Viele ältere Menschen harren aber in Bachmut aus, weil ihre Unterkunft ihr einziger Besitz ist und sie ihren Geburtsort nicht verlassen wollen. Manche sympathisieren auch mit Russland. (dpa)

Bis zu 60.000 tote russische Soldaten und Söldner?

Seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor bald einem Jahr sind nach Einschätzung britischer Geheimdienste auf russischer Seite bis zu 60.000 Soldaten und Söldner getötet worden – ein Vielfaches der sowjetischen Verluste in zehn Jahren Afghanistankrieg. Das Verteidigungsministerium in London schätzte die Gesamtzahl an Toten und Verwundeten auf russischer Seite sogar auf 175.000 bis 200.000. Ukrainische Soldaten berichten, kaum ausgebildete russische Soldaten und Söldner würden in großer Zahl wieder und wieder auf ihre Stellungen zulaufen und im Abwehrfeuer sterben. Über die Zahl der getöteten ukrainischen Soldaten gibt es kaum Angaben.

Scholz bietet Bündnispartnern Unterstützung an

Zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Verbündeten eindringlich dazu aufgerufen, die Ukraine schnell mit Kampfpanzern zu unterstützen. Alle, die diese Waffen liefern könnten, müssten „dies nun auch wirklich tun“, sagte er am Freitag in seiner Rede beim weltweit wichtigsten Expertentreffen zur Sicherheitspolitik, an dem Vertreter aus fast 100 Ländern teilnehmen. Er bot den Bündnispartnern Unterstützung bei Ausbildung, Nachschub und Logistik an. „Für mich ist das ein Beispiel für die Art von Leadership (Führung), die jede und jeder von Deutschland erwarten kann – und die ich unseren Freunden und Partnern ausdrücklich anbiete.“ (dpa)

Selenski: Putin wird sonst alle anderen Staaten aufessen

Fordert mehr Tempo bei Waffenlieferungen: der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski Foto: Valentyn Ogirenko/reuters

Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner per Video übertragenen Eröffnungsansprache den Westen zu größerer Geschwindigkeit bei der Lieferung von Waffen aufgefordert. „Denn davon hängt unser Leben ab“, sagte er. Er warnte erneut vor den Konsequenzen, wenn der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine nicht gestoppt werde. „Wenn wir gebrochen werden, dann wird er weiter alle anderen Staaten aufessen, die einst in der Sowjetunion waren.“ (dpa)

Gespräche zum Getreide-Abkommen werden fortgesetzt

Die Verhandlungen mit Russland über eine Verlängerung des Abkommens für den Getreide-Export über das Schwarze Meer sollen laut ukrainischen Angaben in einer Woche beginnen. Russland werde dann aufgefordert, nicht nur das von den Vereinten Nationen (UN) und der Türkei vermittelte Abkommen zu verlängern, sondern auch die Funktionsweise zu verbessern, sagt der ukrainische Vize-Infrastrukturminister Jurij Waskow auf einer Getreide-Konferenz in Kyjiw. Allerdings stelle Russland neue Bedingungen. Das Abkommen soll der Ukraine trotz des Kriegs den Export von Getreide aus Schwarzmeer-Häfen ermöglichen und war im Juli auch auf Drängen der UN geschlossen worden, um die globale Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten. Es wurde im November um weitere 120 Tage verlängert und steht im März erneut zur Verlängerung an. Russland ist mit einigen Aspekten unzufrieden und fordert ein Ende der Sanktionen gegen seine Agrarexporte. (rtr)

Pistorius bekräftigt: deutlich mehr Geld nötig

Verteidigungsminister, Boris Pistorius (SPD), gibt vor Beginn der 59. Sicherheitskonferenz in München ein Statement Foto: Sven Hoppe/dpa

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat vor dem Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz seine Forderung nach einer milliardenschweren Erhöhung der Verteidigungsausgaben bekräftigt. Er werde alle Anstrengungen unternehmen, um über das Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinauszugehen, sagte der SPD-Politiker am Freitag bei seiner Ankunft im Tagungshotel in München.

„Das wird in der Koalition natürlich noch zu verabreden sein. Aber klar muss jedem sein: Nur mit knapp zwei Prozent werden die Aufgaben nicht zu erfüllen sein, die vor uns liegen“, sagte Pistorius. Er führte Bündnis- und Landesverteidigung sowie internationale Einsätze an. „Das alles wird Geld kosten, und wir alle sind uns einig: Jeder von uns würde lieber mehr Geld für andere Dinge ausgeben. Aber die Realität ist so, wie sie ist.“

Er selbst werde in München zunächst und nach dem Motto „first things first“ (Das Wichtigste zuerst) mit der deutschen Rüstungsindustrie sprechen sowie mit Vertretern Polens über Munition und Ersatzteile für den Kampfpanzer Leopard 2A4, den Warschau an die Ukraine abgibt.

„Die Sicherheitskonferenz war seit ihrer Gründung immer ein Ort der Verständigung und des Dialogs. Neu ist, dass das alles stattfindet, während zeitgleich ein Angriffskrieg auf europäischem Boden von Russland geführt wird gegen die Ukraine“, sagte er. Das erhöhe den Anspruch an die Konferenz. Pistorius: „Ich glaube, dass die Zeiten so sind, dass die Münchner Sicherheitskonferenz wichtiger denn je ist.“ (dpa)

250 Millionen Euro von Oligarchen beschlagnahmt

Die Ukraine erhält nach einem Gerichtsbeschluss und laut Angaben des Geheimdienstes in Kyjiw Vermögen des russischen Oligarchen Oleg Deripaska im Wert von umgerechnet 250 Millionen Euro. Der Oberste Anti-Korruptions-Gerichtshof der Ukraine habe eine Entscheidung des Justizministeriums in Kyjiw bestätigt, nach der Deripaskas Firmen, Grundstücke und Beteiligungen dem Staat übereignet werden, teilte der Geheimdienst am Donnerstagabend mit. Die Ukraine will mit dem Geld Kriegsschäden kompensieren.

Deripaska, der Kremlchef Wladimir Putin nahesteht und als Unterstützer des Angriffskriegs gegen die Ukraine auch im Westen mit Sanktionen belegt ist, gehört zu den reichsten Russen. Der Multimilliardär, der unter anderem im Aluminiumgeschäft reich geworden ist, habe über ein Firmengeflecht und Geschäftsstrukturen in verschiedenen Regionen der Ukraine Unternehmen geführt, hieß es. Er habe versucht, seine Eigentumsverhältnisse zu verschleiern.

Der Geheimdienst deckte nach eigenen Angaben auf, dass Deripaska mehrere Firmen ganz und oder teilweise gehörten. Beschlagnahmt worden seien auch mehr als 300 Objekte, darunter Immobilien, die nun dem Staatsvermögen zugeführt würden. Der Gesamtwert des in Staatsbesitz überführten Vermögens liege bei zehn Milliarden Hrywnja (rund 250 Millionen Euro), teilte der Geheimdienst mit. Deripaska steht in der Kritik, durch seine Rohstoffgeschäfte und Kremlnähe auch direkt an dem Krieg in der Ukraine zu verdienen. (dpa)

Ukraine droht mit Boykott der Olympischen Spiele 2024

Die Ukraine droht mit einem Boykott der Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris für den Fall einer Teilnahme russischer oder belarussischer Athleten. „Das ist eine von mehreren Optionen“, sagte Außenminister Dmytro Kuleba der französischen Zeitung Ouest-France vom Freitag. Wenn russische und belarussische Sportler anstelle von ukrainischen Athleten nach Paris kämen, wäre dies gegen alle moralischen, sportlichen und politischen Standards. Das gelte auch, wenn sie unter neutraler Flagge antreten würden, wie dies vom Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, vorgeschlagen worden sei.

Kuleba kritisierte die IOC-Spitze scharf: „Die Heuchelei des IOC-Präsidenten und des Komitees ist einfach erbärmlich.“ Die meisten russischen Sportler, die bei den vergangenen Olympischen Spielen Medaillen errungen hätten, hätten Sportclubs der russischen Armee vertreten. „Ein Land, das eine Aggression begeht – die von der großen Mehrheit der UN-Generalversammlung verurteilt wurde –, verliert das Recht, bei Olympischen Spielen mitzumachen. Das gilt auch für alle seine Sportler“, sagte Kuleba. (rtr)

Der Außenminister der Ukraine kritisiert das Internationale Olympische Komitee scharf Foto: Efrem Lukatsky/dpa

Kyjiw konkretisiert Forderung zur Kampfflugzeug-Lieferung

Kurz vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag konkretisiert die Ukraine ihre Forderung zur Lieferung westlicher Kampfflugzeuge. „Wir wären vor allem an Kampfjets aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland interessiert. Diese Länder haben die höchsten Produktionskapazitäten und die größten Flugzeug-Flotten“, sagt der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba den Zeitungen der Funke Mediengruppe einem Vorabbericht zufolge. Die Maschinen könnten eingesetzt werden, um feindliche Raketen abzuschießen und seien für die Gegenoffensive wichtig. In München beginnt am Freitag die diesjährige Sicherheitskonferenz, zu der auch Kuleba erwartet wird.

Für den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba haben diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges nur auf Grundlage der vollständig wiederhergestellten territorialen Integrität der Ukraine eine Chance. Dies sei die Voraussetzung für Gespräche mit Russland und unverhandelbar, sagt der Minister den Zeitungen der Funke Mediengruppe unmittelbar vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz. Wenn der Kreml begreife, dass er Territorien militärisch erobern könne, habe er keinen Anreiz, den Krieg zu beenden. „Wir haben eine bittere Lektion gelernt: Wenn man Russland den kleinen Finger gibt, nimmt es die ganze Hand“, so Kuleba. (rtr)

Selenski begrüßt Gefangenenaustausch

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat die Rückkehr von Soldaten aus russischer Kriegsgefangenschaft als einen Erfolg bezeichnet. 100 Soldaten sowie der erste stellvertretende Bürgermeister der als Standort des größten europäischen Atomkraftwerks Saporischschja bekannten Stadt Enerhodar seien wieder in Freiheit, sagte Selenski in seiner abendlichen Videobotschaft am Donnerstag in Kyjiw. „Ich bin glücklich für die mehr als 100 Familien, deren Söhne, Brüder und Ehemänner zurückkehren“, sagte er. Russland hatte auch 101 Soldaten aus ukrainischer Gefangenschaft erhalten.

Zugleich betonte Selenski, dass der Kampf sich weiter darauf konzentriere, die Frontlinie unter Kontrolle zu behalten und sich auf neue Eskalationsschritte des Feindes vorzubereiten. „Das Voranschreiten bei der weiteren Befreiung unseres Landes hat Priorität“, sagte Selenski. Dafür seien Lieferungen von Waffen und Munition des Westens sowie die Ausbildung des Militärs notwendig.

Selenski bedankte sich einmal mehr auch für die internationale Unterstützung, darunter aus Norwegen, Großbritannien und Litauen. Nach einer Rede per Video bei der Eröffnung der Berlinale lobte er die Solidarität der Organisatoren des 73. Berliner Filmfestivals mit der Ukraine.

„Die blaue und die gelbe Farbe des Symbols der Berlinale, des berühmten Bären, sind sehr berührend. Und kraftvoll“, meinte er mit Blick auf die blau-gelbe Staatsflagge der Ukraine. Die Filmemacher unterstützten die Ukraine mit der Kraft ihrer Arbeiten und ihres Einflusses, betonte Selenski, der selbst vor seiner Wahl zum Präsidenten 2019 Filmschauspieler gewesen ist. (dpa)

Frankreich sieht für sich im Ukraine-Krieg eine Sonderrolle

Sie haben einen Monat Altersunterschied, sind beide als Außenseiter ins Amt gekommen und scheuen sich nicht, mit politischen Traditionen zu brechen: Emmanuel Macron und Wolodimir Selenski, der französische und der ukrainische Präsident, standen sich schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs persönlich nahe. Zugleich ist Macron aber auch derjenige, der zu Beginn des Kriegs vor einem Jahr am ausdauerndsten mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verhandelte.

Beides trägt dazu bei, dass Frankreich in dem Konflikt für sich eine Sonderrolle unter den EU-Staaten in Anspruch nimmt. Der Blitzbesuch Selenskis in Paris vergangene Woche vor dem EU-Gipfel, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in letzter Minute hinzugebeten wurde, unterstrich dies. Während Scholz dann nachts allein nach Brüssel weiterreiste, bot Macron Selenski den Mitflug in seiner Präsidentenmaschine an.

Im Unterschied zu Scholz ist Macron so gut wie gar nicht dafür kritisiert worden, dass sein Land bis heute keine Kampfpanzer an die Ukraine liefert. „Das hat auch damit zu tun, dass Frankreich schon vor Kriegsbeginn Material geschickt hat, etwa Hubschrauber“, sagt Marie Dumoulin, Leiterin des Europaprogramms beim European Council of Foreign Relations, der Agentur afp.

Trotz Macrons Nähe zu Selenski ist der französische Präsident mehrfach in die Kritik geraten, zu viel Rücksicht auf Russland zu nehmen. Das Bild von Macron und Putin an dessen XXL-Verhandlungstisch ist vielen im Gedächtnis geblieben – es war einer der letzten vergeblichen Versuche, den Krieg noch zu verhindern. Später telefonierte Macron regelmäßig mit Putin.

Macrons Kontakt zu Putin sei seit September abgebrochen, „unter dem Eindruck der Grausamkeiten, der Angriffe auf die Infrastruktur und dem Leid der Zivilbevölkerung“, meint Célia Belin, Pariser Büroleiterin des European Council for Foreign Relations. Die gemeinsame Reise mit Scholz nach Kiew und der Besuch in Butscha im vergangenen Juni haben sicher ihren Teil dazu beigetragen.

Macron dürfte die Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag dafür nutzen, Frankreich einen Platz an einem künftigen Verhandlungstisch zu sichern. „Das deutsch-französische Gespann wird dabei keine Rolle mehr spielen“, meint Belin. Das Normandie-Format (das Vertreter Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands umfasste) habe sich überlebt. Sie fügt hinzu: „Dafür sind die USA unumgänglich geworden.“ (afp)

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