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+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++Nawalny-Netzwerk formiert sich neu

Kreml-Kritiker Alexei Nawalny könnte Friedensnobelpreis bekommen. Präsident Selenski verkündet militärische Erfolge. Die USA liefern weitere Waffen.

Noch inhaftiert: Kreml-Kritiker Alexej Nawalny Foto: Moscow City Court/AP

Nawalny-Netzwerk formiert sich neu

Unterstützer des russischen Regimekritikers Alexei Nawalny wollen sich neu formieren. Die Zeit sei reif, da die Regierung durch Fragen über den Krieg in der Ukraine geschwächt sei. Das Netzwerk werde als „Untergrundpartisan“ arbeiten, kündigte ein enger Verbündeter von Nawalny in einem Video an.

„Die schlafende Mehrheit ist aufgewacht, (Präsident Wladimir) Putin selbst hat sie aufgeweckt“, erklärte der frühere Direktor von Nawalnys Stiftung zum Kampf gegen Korruption, Iwan Schdanow, in einem Video. Die Teilmobilisierung habe „Leid in jede russische Familie gebracht“, erklärte der im Exil lebende Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow. Die russischen Behörden hatten Nawalnys Organisationen im Juni als „extremistisch“ eingestuft, so dass Unterstützer strafrechtlich verfolgt und inhaftiert werden können. (taz)

Nawalny könnte Friedensnobelpreis bekommen

Die Vergabe des Friedensnobelpreises am Freitag steht in diesem Jahr im Schatten der russischen Invasion in die Ukraine. Fachleute räumen Personen die größten Chancen auf die Auszeichnung ein, die sich aktiv für demokratische Freiheiten und ein friedliches Miteinander einsetzen.

Als Top-Favoriten sieht der Leiter des Osloer Friedensforschungsinstituts Prio, Henrik Urdal, die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zusammen mit dem inhaftierten russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Beide seien lautstarke Kritiker des russischen Krieges gegen die Ukraine. Eine gemeinsame Auszeichnung würde „als klarer Protest gegen die russische Aggression“ verstanden werden. (epd)

Ukraine meldet weitere Rückeroberungen

Ungeachtet der russischen Annexion hat die Ukraine neue, erhebliche Geländegewinne in den von Russland beanspruchten Gebieten gemeldet. Der ukrainische Staatspräsident Wolodimir Selenski teilte am Dienstagabend mit, in den vergangenen Tagen seien „Dutzende“ Ortschaften zurückerobert worden. Die ukrainische Armee komme im Süden und Osten „schnell und kraftvoll“ voran, sagte Selenski in seiner allabendlichen Videoansprache.

Die zurückeroberten Gebiete gehören nach seinen Angaben teilweise zu den Regionen Cherson, Luhansk und Donezk, deren Annexion Russlands Staatschef Wladimir Putin am Freitag unterzeichnet hatte. Es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis die Ukrainer „den Besatzer von unserem gesamten Gebiet vertreiben“, sagte Selenski.

Der von Moskau eingesetzte Vizechef der Region Cherson, Kirill Stremusow, rief die Bevölkerung in Onlinemedien zur Ruhe auf: „Es gibt keinen Grund zur Panik“, versicherte er, auch wenn „in der Ferne Explosionen zu hören“ seien.

Schwere Verluste der russischen Streitkräfte waren auch aus den vom Verteidigungsministerium in Moskau veröffentlichten Karten hervorgegangen. Die in der täglichen Militärbesprechung gezeigten Karten machten deutlich, dass die russischen Streitkräfte im Süden nicht mehr die Kontrolle über das Dorf Dudschany am Westufer des Dnipro haben. In der nordöstlichen Region Charkiw war auf den Karten zu sehen, dass die russischen Streitkräfte ihre Stellungen am Ostufer des Flusses Oskil verlassen haben. Dort hatte es eine Gegenoffensive der ukrainischen Armee gegeben.

Die russische Armee verkündete unterdessen demonstrativ angebliche Erfolge bei der Teilmobilisierung. „Bislang sind mehr als 200.000 Menschen der Armee beigetreten“, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu. (afp)

Die USA wollen der Ukraine weitere Waffen liefern

Von der Ukraine zurückerobert, aber zerstört: der Ukrainer Serhiy Voytsehofvskiy vor seinem Haus Foto: Francisco Seco / ap

Für ihren Kampf gegen die russischen Eindringlinge setzt die Ukraine auf westliche Waffen. Die US-Regierung kündigte weitere Lieferungen im Wert von 625 Millionen US-Dollar (625 Millionen Euro) an. Das Paket beinhalte unter anderem weitere Mehrfachraketenwerfer von Typ Himars, Munition und gepanzerte Fahrzeuge, wie das Weiße Haus am Dienstag mitteilte.

In einem Telefonat mit Selenski betonte US-Präsident Joe Biden demnach, dass die USA die völkerrechtswidrige Annexion von Teilen der Ostukraine durch Russland niemals anerkennen werden. Biden betonte die Bereitschaft der US-Regierung, jedes Land, das die Annexion unterstütze, mit „hohen Kosten“ zu belegen. Er versprach, der Ukraine bei ihrer Verteidigung so lange wie nötig zu helfen. Selenski bedankte sich in seinem Video bei Biden und den USA.

Bei dem Rüstungspaket für die Ukraine handelt es sich nach US-Angaben um Bestände des Pentagons. Damit erhöhe sich die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine seit Beginn von Bidens Amtszeit auf einen Gegenwert von insgesamt 17,5 Milliarden Dollar. Der Großteil der Hilfen wurde seit Beginn des russischen Angriffskriegs gewährt. Erst vergangene Woche hatte die US-Regierung ein Rüstungspaket im Wert von 1,1 Milliarden US-Dollar zugesagt. (dpa)

Ukraine: Notenbankchef reicht Rücktritt ein

Die schon vor dem Krieg chronisch klamme Ukraine ist dringend auf Finanzhilfen des Westens angewiesen. In Kiew reichte indes Notenbankchef Kyrylo Schewtschenko überraschend seinen Rücktritt ein. Er gab „gesundheitliche Gründe“ an. Medienberichten zufolge hatte sich zuletzt der Konflikt zwischen Finanzministerium und der Zentralbank verschärft. Schewtschenko hatte sich wegen des chronischen Haushaltsdefizits für Einsparungen ausgesprochen.

Die weitere Finanzierung sollte demnach wegen der Gefahr einer Hyperinflation nicht mehr über die Notenpresse erfolgen. Im aktuellen Haushaltsentwurf für 2023 muss gut die Hälfte des Etats durch teils im Ausland aufgenommene Kredite bestritten werden. (dpa)

Mehrheit der Europäer für EU-Aufnahme der Ukraine

Eine deutliche Mehrheit der Europäer ist einer Umfrage zufolge für die Aufnahme der Ukraine in die EU. Zwei Drittel (66 Prozent) der befragten Europäer sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung im Juni dafür aus, wie aus der am Mittwoch in Gütersloh veröffentlichten Studie hervorgeht. Allerdings ist die Zustimmung in den EU-Ländern unterschiedlich: In Polen waren 84 Prozent der Befragten dafür. In Deutschland und Frankreich waren es mit 60 Prozent deutlich weniger.

Die Unterstützung für die Ukraine bröckelt der Umfrage zufolge in den EU-Ländern mit der Dauer des Krieges. So hätten sich zwar im Juni noch mehr als 80 Prozent der Europäer dafür ausgesprochen, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen, hieß es. Im Vergleich zum März sei die Zustimmung aber um 5 Prozentpunkte zurückgegangen. In Frankreich sank die Zustimmung demnach in diesem Zeitraum um 8 Prozentpunkte, in den Niederlanden um 7 Prozentpunkte und in Polen um 6 Prozentpunkte.

Auch die Unterstützung einer Energie-Unabhängigkeit der EU von Russland nehme tendenziell ab, je deutlicher sich das Ausmaß der Einschnitte abzeichne, erklärte die Bertelsmann Stiftung. Mit 69 Prozent sei die Zustimmung zu diesem Ziel in Deutschland am geringsten gewesen. Am größten war die Unterstützung in Polen (80 Prozent) und Italien (76 Prozent).

Waffenlieferungen aus der EU an die Ukraine befürworteten laut der Umfrage 60 Prozent der befragten EU-Bürger. Besonders groß war die Zustimmung in Polen: Hier sprachen sich 84 Prozent der Befragten dafür aus. In Deutschland waren es 61 Prozent. In Italien sprachen sich 58 Prozent dagegen aus. (epd)

UN-Vollversammlung soll über Annexion beraten

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen soll sich am kommenden Montag in einer Dringlichkeitssitzung mit der völkerrechtswidrigen Annexion von Teilen der Ostukraine durch Russland beschäftigen. Das geht aus einem Brief des größten UN-Gremiums an die 193 Mitgliedstaaten vom Dienstag hervor. Bei den Beratungen ab diesem Montag um 21 Uhr deutscher Zeit soll es Diplomaten zufolge auch eine Abstimmung über eine Resolution geben, die Moskaus Taten verurteilt.

Gegen einen ähnlichen Beschlussentwurf hatte Russland am Freitag im UN-Sicherheitsrat – dem mächtigsten Gremium mit 15 Mitgliedern – sein Veto eingelegt. China, Indien, Brasilien und Gabun hatten sich enthalten. Bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung wird mit einer großen Mehrheit für die Verurteilung gerechnet. (dpa)

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9 Kommentare

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  • Man kann doch nur hoffen, dass das Nobelpreiskomitee aus seinen Fehlern, Abiy Ahmed und Barack Obama den Friedensnobelpreis zu verleihen, gelernt hat und Alexei Nawalny nicht zum Friedensnobelpreisträger erhebt. Nawalny kämpft gegen Putin, aber er ist einer dieser typisch russischen Patrioten, bei denen das Imperium an erster Stelle steht.

  • Oh nein. Bloß nicht den Trittbrettfahrer Nawalny. Ein rassistischer Großrusse, der gern Putin anstelle Putins wäre.

    Die russische Opposition im Inland ist jedenfalls zur Zeit von linksliberalen, anarchistischen, antifaschistsichen und demokratisch-sozialistsichen Kräften dominiert. Aber die haben keine mächtigen Beschützer in Form westlicher NGOs, und deswegen hüten sie sich vor PR-Stunts für das Publikum in EU und USA, und zünden lieber Rekrutierungsbüros an und betreiben Wehrkraftzersetzung.

    Nawalny mag in Russland jedenfalls kaum jemand außerhalb der rechtsnationalen Parteien der "kontrollierten Opposition". Mit seiner Unterstützung droht eine exakte Wiederholung des Fehlers, den "der Westen" 1996-1999 beging: Jelzin gegen die russische Linke stützen, und "diesen jungen gutaussehenden Funktionär aus St. Petersburg" als seinen Nachfolger aufbauen.

  • Die südöstliche Ukraine wird der neue "Libanon". Dieses Gebiet wird auf Jahrzehnte eine Kriegslandschaft bleiben. Denn so wie ich nun schon mehrmals lesen konnte, ist ein nicht zu unterschätzender Anteil der Bevölkerung durchaus pro-russisch. Da kann die westliche Presse noch so viel schreiben von ungültigen Referendum und ausgedachten Ergebnissen. Es ändert nichts an der Tatsache, dass Prozentsatz X nichts dagegen hätte, zu Russland zu gehören.

    Ähnliches konnte man schon mit der Krim beobachten. Russland kam, sah und siegte. Der Westen hatte rebelliert, die Bewohner der Krim zuckten jedoch nur mit den Schultern.

    Selenski braucht Erfolge. Doch die werden in der Südost-Ukraine bitter erkauft. Zum einen ist dort sehr viel in Schutt und Asche. Zum anderen ist der Rückhalt in der Bevölkerung wohl auch nur mäßig. Was macht man mit also dieser Region? Ich bleibe dabei: das wird der neue "Libanon".

    • @Mopsfidel:

      Dass ein Wiederaufbau in der Ukraine unumgänglich ist, dürfte unbestreitbar sein. Bei der Infrastruktur hat die EU mit ihren Mitgliedsstaaten bereits Hilfe zugesagt. Und der Wiederaufbau im übrigen Land wird nicht nur ein Kraftakt für die Bevölkerung werden, sondern er bietet ihnen auch viele Chancen. Im Vergleich zum Libanon gibt es nicht nur eine meist gut bis sehr gut ausgebildete Bevölkerung, sondern diese steht auch hinter ihrer Regierung und hält zusammen.

      Ich glaube nicht, dass sich dort über Jahre nichts bewegt wie im Libanon. Die Ukraine hat Ziele, die sie unbeirrt verfolgt. Diese fehlen in Beirut.

      Noch etwas: Schauen sie einmal nach Fukushima! Wissen Sie, wie es dort elf Jahre nach der Atom- und Tsunami-Katastrophe heute aussieht? Nein, natürlich noch lange nicht perfekt. Aber ich vertraue dem unbedingten Wunsch und dem Fleiß der Ukrainer, ihr Land schnell und gut wieder aufzubauen. Denn sie haben eines mit den Japanern gemeinsam: sie lieben ihr Land über alles!



      Und nun vergleichen Sie bitte auch dies mit dem Libanon..

    • @Mopsfidel:

      Vielleicht haben Sie die 2014 erfolgte russische Krim-Annexion nicht so genau in Erinnerung. Denn dann wäre Ihnen sicherlich nicht entgangen, dass die Krim durch die russischen Invasoren zuvor gründlich von Ukrainer/innen und ihren Ureinwohnern, den Krim-Tartaren "bereinigt" wurde, indem - wie auch in den östlichen Gebieten der Ukraine wieder - Zwangsumsiedlungen in andere Gebiete, Vertreibungen etc. durchgeführt wurden. Es ist bereits seit Langem bekannt, dass die Regionen Donezk und Luhansk vor Beginn des russischen Angriffes durch russische "Gouverneure" verwaltet wurden.

      Noch bevor hier die Pläne Putins bekannt wurden, also bereits in den ersten Wochen zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine wurden Presseberichten zufolge Abtransporte von Ukrainern in Richtung Russland mit unbekannten Zielen bekannt, denen keine andere Möglichkeiten offenstanden, die umkämpften Gebiete zu verlassen.

      Von Annexionen nach irgendwelchen Referenden war damals noch keine Rede...

    • @Mopsfidel:

      "Prozentsatz X" sind auf die Vorkriegseinwohner*innen bezogen halb so viele, wie im deutschen Durchschnitt AfD wählen.

      Und für den "mäßigen Rückhalt in der Bevölkerung" würde ich gerne belastbare Quellen sehen. Bislang sieht es so aus, als ob auch Russo-Ukrainer*innen allerorts froh sind, dass Putins Willkürherschaft vorbei ist.

      Achten Sie mal drauf, wie viele Leute dort "spasibo" sagen wenn die Ukrainer einmarschieren, und nicht "djekuje".

  • Ein EU-Beitritt der Ukraine nach einem - wie auch immer gearteten - Ende des Krieges,



    wäre das letzte das wünschen würde.



    Wenn ich aktuell z.B. die Entwicklung und Haltung von Polen und Ungarn sehe, vermute ich die Ukraine in einer Reihe mit diesen beiden nicht unproblematischen Mitgliedsstaaten.



    Allerdings geht es ja nicht danach, was ich mir wünsche, sondern es geht um Strategien und Machtspiele, deren Preis in allen Ländern vom ärmeren Teil der Gesellschaft bezahlt wird.

    • @Bürger L.:

      Immerhin: die Ukraine dürfte sich, anders als Ungarn, nicht zur willfährigen Dienerin Russlands machen.

      • @Suryo:

        Und damit Ukraine und Polen best buddies werden, müsste in Polen eine komplett andere Regierung an die Macht kommen.

        Wenn stattdessen in der Ukraine die Poroschenkisten wieder regieren würden, und in Polen weiterhin PiS und Konsorten, ist hingegen ein potentiell blutiger Grenzkonflikt geradezu vorprogrammiert.

        Auch die zum EU-Beitritt erforderlichen Antikorruptionsmaßnahmen in der Ukraine sind etwas, wovon sich nicht nur Ungarn und Polen, sondern auch die BRD ein oder gern auch viele Scheiben abschneiden können. Denn da geht es nicht mehr um bestechliche Polizisten und Offiziere - letzteres Problem ist ja offensichtlich schon weitgehend gelöst -; Selenskij ist ein Großbourgeois ("Mittelständler" würde man in Deutschland sagen), für den die Entmachtung der ukrainischen Oligarchen überlebensnotwendig ist.