+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Zehntausende auf Israels Straßen
Zehntausende demonstrieren in Israel für Geisel-Abkommen. Auch Vermittler drängen auf einen Deal. Rechte Minister drohen, Koalition platzen zu lassen.
Zehntausende demonstrieren für Geisel-Abkommen und Neuwahlen
Nach Bekanntwerden von Details eines von Israel akzeptierten Vorschlags für ein Geisel-Abkommen haben am Samstag in Israel wieder Zehntausende für einen solchen Deal demonstriert. Seit Monaten protestieren immer wieder etliche Menschen im Land für eine Vereinbarung mit der Hamas. Die Demonstrationen richten sich aber auch gegen die israelische Regierung. Im Zentrum von Tel Aviv forderten die Demonstranten am Samstag lautstark Neuwahlen. Sie skandierten, die Zeit der rechts-religiösen Koalition sei vorbei.
Viele Demonstranten werfen der israelischen Führung unter anderem vor, nicht genug für die Freilassung der Geiseln zu tun. Die Times of Israel berichtete unter Berufung auf die Organisatoren, dass allein zur Kundgebung in Tel Aviv 120 000 Menschen gekommen seien. Es sei der größte Protest seit dem 7. Oktober.
Augenzeugen und Medienberichten zufolge kam es in Tel Aviv zu Zusammenstößen einiger Demonstranten mit der Polizei. Einsatzkräfte nahmen demnach mehrere Menschen fest.
Mehrere Familienangehörige von Geiseln wandten sich am Samstag an die Medien und forderten Israels Regierung auf, den von US-Präsident Joe Biden am Freitag vorgestellten Vorschlag anzunehmen. Die Times of Israel zitierte am Samstag eine Frau, deren Sohn im Gazastreifen festgehalten werde, mit den Worten, dass Bidens Rede nach einer langen Zeit der Verzweiflung erstmals echte Hoffnung biete. Der US-Präsident habe am Freitag die Ansprache öffentlich gehalten, weil er wisse, dass Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu den Deal noch torpedieren könne. „Biden wollte, dass die Öffentlichkeit weiß, was wirklich auf dem Tisch liegt“, so die Frau dem Bericht zufolge. Sie sei besorgt, weil Netanjahu den Deal noch nicht öffentlich gebilligt habe.
Israels Ministerpräsident hatte am Samstag erneut mitgeteilt, die Bedingungen für eine Beendigung des Krieges hätten sich nicht geändert. Voraussetzung sei die Zerschlagung der Führung und der militärischen Fähigkeiten der Hamas sowie die Rückkehr aller Geiseln, hieß es am Samstag in einer Mitteilung von Netanjahus Büro.
Eine ähnliche Erklärung hatte es bereits am Freitagabend nach Bidens Ansprache veröffentlicht. Dass Israel einem dauerhaften Waffenstillstand zustimmen werde, bevor diese Bedingungen erfüllt seien, sei ausgeschlossen. Die Hamas wiederum pocht auf ein Kriegsende, ehe sie weitere Geiseln freilassen will. (dpa)
Hürden für Abkommen weiterhin hoch
Auch nach dem Vorstoß von US-Präsident Joe Biden für eine Beendigung des Gaza-Kriegs sind die Hürden für ein Abkommen zwischen Israel und der islamistischen Hamas sehr hoch. Zwar äußerte sich ein im Libanon ansässiger Hamas-Sprecher am Samstag positiv und sagte, man werde das von Biden dargelegte Angebot der Israelis prüfen.
Der in Tunneln unter dem Gazastreifen ausharrende militärische Anführer der Hamas, Jihia al-Sinwar, ist nach Informationen des Wall Street Journals jedoch nur zu einem Abkommen bereit, wenn es das Überleben der Hamas als militärische und politische Kraft in Gaza sichert. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wiederum machte am Samstag nach Bidens Rede in einer Erklärung deutlich, dass sich Israels Bedingungen für ein Ende des Krieges nicht geändert hätten: die Zerstörung der Hamas und die Freilassung aller Geiseln. (dpa)
Ägypten, USA und Katar rufen zu Abkommen auf
Die in dem Konflikt als Vermittler fungierenden Staaten Ägypten, USA und Katar riefen Israel und die Hamas in einer gemeinsamen Erklärung zur Einigung auf ein Abkommen auf. Das von Biden am Freitag erläuterte Angebot vereine die Forderungen aller Parteien.
„Dieser Deal bietet einen Fahrplan für einen dauerhaften Waffenstillstand und eine Beendigung der Krise“, hieß es darin. Zuvor hatte US-Außenminister Antony Blinken mit seinem katarischen Kollegen Mohammed bin Abdulrahman Al Thani sowie dem ägyptischen Außenminister Sameh Schukri telefoniert, wie die Ministerien der drei Vermittlerländer mitteilten. Blinken habe im Gespräch mit Schukri die Hamas aufgerufen, den vorgeschlagenen Deal unverzüglich anzunehmen. (dpa)
Rechtsreligiöse Minister drohen Netanjahu mit Ende der Koalition
In Israel drohten mehrere rechtsreligiöse Koalitionspartner von Ministerpräsident Netanjahu am Samstag mit dem Platzen seiner Regierungskoalition, sollte sich Israel auf den Deal einlassen. Dieser bedeute einen „Sieg für den Terrorismus“ und eine „totale Niederlage“ Israels, wetterte der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir. Der Plan würde den Krieg beenden, ohne dass die Kriegsziele erreicht seien, schrieb der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich auf X. Auch andere Minister sprachen sich gegen den Vorschlag aus. (dpa)
Netanjahus Berater: Viele Details noch ungeklärt
Israel habe zwar dem von Biden dargelegten Vorschlag für ein Abkommen zugestimmt, viele Einzelheiten seien aber noch ungeklärt, betonte Ophir Falk, außenpolitischer Berater von Regierungschef Netanjahu gegenüber der britischen Zeitung The Sunday Times. „Es ist kein guter Deal, aber wir wollen unbedingt, dass die Geiseln freigelassen werden, und zwar alle“, sagte er. „Es sind noch viele Details zu klären“, bekräftigte Falk und verwies in Übereinstimmung mit Netanjahus Erklärung vom Samstagmorgen darauf, dass sich Israels Bedingungen nicht geändert hätten. (dpa)
Spielt die Hamas auf Zeit?
Der Anführer der Hamas im Gazastreifen, Sinwar, dessen Zustimmung für eine Vereinbarung erforderlich ist, glaube wiederum, dass die Zeit auf seiner Seite sei und dass der Krieg Israel immer tiefer in einen Sumpf hineinziehe, berichtete das „Wall Street Journal“. Die zivilen Opfer in Gaza trügen dazu bei, Israel zu einem internationalen Paria zu machen, habe Sinwar seinen Verbindungsleuten in Notizen aus dem Untergrund übermittelt, berichtete die Zeitung. Während viele der im Exil lebenden Vertreter des politischen Flügels der Hamas zeigen wollten, dass die Hamas sich für die Beendigung des Leidens der Zivilbevölkerung einsetzt, wolle Sinwar sicherstellen, dass die Hamas eine maßgebliche politische Kraft in Gaza bleibt. (dpa)
Drei-Phasen-Plan
In dem von Biden dargelegten Vorschlag für ein Abkommen sei nicht erwähnt, wer nach dem Krieg die Herrschaft über den Gazastreifen übernehmen würde, berichtete die New York Times. Sollten keine anderen Vereinbarungen getroffen werden, könne dies dazu führen, dass die Hamas de facto wieder die Herrschaft über das Gebiet übernehme. Dies wäre aus Sicht der Islamisten nach fast acht Monaten Krieg ein strategischer Sieg, schrieb die Zeitung. Sinwar strebe „nach größeren Gewinnen“ als viele andere im politischen Flügel, zitierte das Wall Street Journal eine an den Vermittlungsgesprächen beteiligte arabische Quelle.
Der von Biden am Freitag präsentierte Plan für einen Deal hat drei Phasen: Die erste sieht eine vollständige und uneingeschränkte Waffenruhe von sechs Wochen und einen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dicht besiedelten Gebieten in Gaza vor. Es würde zunächst eine bestimmte Gruppe von Geiseln freigelassen – darunter Frauen, Ältere und Verletzte. Im Gegenzug würden Hunderte Palästinenser freikommen, die in Israel inhaftiert sind. In einer zweiten Phase würden die Kämpfe dann dauerhaft eingestellt und die verbliebenen Geiseln freigelassen. In einer letzten Phase würde ein Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen. (dpa)
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