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+++ Krieg in Nahost +++Israel verschiebt Freilassung palästinensischer Gefangener

Eine Fortsetzung des Waffenstillstands steht auf tönernen Füßen. Vor der Beerdigung Nasrallahs greift Israel Ziele im Südlibanon an.

Kurz vor der Freilassung: Die israelische Geisel Omer Schem-Tov wird von Mitgliedern der militanten Hamas eskortiert Foto: ap/dpa

Israel/Gaza/Beirut afp/dpa | Israel verschiebt nach der Freilassung weiterer Geiseln durch die Hamas die im Waffenruhe-Abkommen vorgesehene Entlassung palästinensischer Häftlinge auf unbestimmte Zeit. Das gab das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Nacht bekannt. Erst müsse die islamistische Terrororganisation versichern, mit den demütigenden Zeremonien bei der Freilassung der israelischen Geiseln aufzuhören, hieß es zur Begründung.

Die Entscheidung könne zum Rückzug Israels aus dem Waffenruhe-Abkommen führen, schrieb die Zeitung „Times of Israel“. Noch befinden sich mehr als 60 israelische Geiseln in der Gewalt von Islamisten im Gazastreifen, wobei etwa die Hälfte davon nach israelischen Informationen nicht mehr am Leben ist.

„Angesichts der wiederholten Verstöße der Hamas, einschließlich der Zeremonien zur Demütigung unserer Geiseln und der zynischen Ausnutzung unserer Geiseln für Propagandazwecke, wurde beschlossen, die für gestern geplante Freilassung der Terroristen zu verschieben, bis die Freilassung der nächsten Geiseln sichergestellt ist, und zwar ohne die demütigenden Zeremonien“, hieß es in der Mitteilung des Büros des Ministerpräsidenten. (dpa)

Propaganda-Video sorgt für Entsetzen

Israelische Medien verbreiteten am Abend ein Propaganda-Video, das zeigte, wie zwei israelische Geiseln von der Hamas gezwungen werden, von einem Fahrzeug aus die am Samstag erfolgte Freilassung drei ihrer Landsleute in Nuseirat im Gazastreifen aus nächster Nähe mitanzusehen, während sie selbst weiter in der Gewalt der Terrororganisation sind. „Dieser kalkulierte Akt psychologischer Folter ist ein krasses, abscheuliches Beispiel von Grausamkeit“, hieß es in einer Mitteilung des Forums der Geisel-Angehörigen.

Die Hamas hatte an dem Tag sechs weitere Geiseln freigelassen. Vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer in Uniformen hatten die Übergaben der Israelis in Rafah und Nuseirat erneut mit Schaulustigen, lauter Musik und palästinensischen Fahnen inszeniert. Die Entführten wurden auf Bühnen vorgeführt. Sie erhielten von ihren bewaffneten Bewachern sichtbar Anweisungen, zu lächeln und der wartenden Menschenmenge zuzuwinken.

In dem Propaganda-Video der Hamas sind der „Times of Israel“ zufolge die beiden Geiseln Eviatar David und Guy Gilboa-Dalal in einem Fahrzeug im Bühnenbereich im Flüchtlingsviertel Nuseirat zu sehen. „Sie zwangen sie zuzusehen, wie ihre Freunde freigelassen wurden, und brachten sie dann zurück in die Tunnel. Es gibt keine größere Grausamkeit“, zitierte die Zeitung Gilboa-Dalals Vater. Das Video ist demnach das erste Lebenszeichen von David seit seiner Entführung am 7. Oktober 2023 und das erste von Gilboa-Dalal seit Juni. (dpa)

Platzt der Waffenruhe-Deal?

In dem Videoclip rufen die beiden Geiseln laut der Zeitung die israelische Regierung verzweifelt auf, für ihre Freilassung zu sorgen. Die Freilassung von Eviatar David und Guy Gilboa-Dalal ist laut israelischen Medienberichten jedoch in der geltenden ersten Phase des Waffenruhe-Abkommens nicht vorgesehen. Dieses sieht die Freilassung von 25 Geiseln und die Übergabe von acht getöteten Geiseln vor – im Austausch gegen 1.904 palästinensische Häftlinge. Die 25 Geiseln sind nun frei. Die letzten vier Leichen sollen laut Hamas nächste Woche übergeben werden. Die erste Phase soll damit offiziell Samstag enden.

Ob die zweite Phase, die zu einem endgültigen Ende des Krieges sowie zur Freilassung der noch verbliebenen Geiseln führen soll, zustande kommt, ist jedoch ungewiss. Berichten zufolge haben beide Kriegsparteien bislang, anders als vorgesehen, noch gar keine ernsthaften Verhandlungen darüber geführt.

Alle noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln müssten jetzt zurückgebracht werden, verlangte das Forum der Angehörigen. „Jede Sekunde zählt. Unsere Lieben leiden, werden gefoltert und sterben in den dunklen, erstickenden Tunneln der Hamas. Dieser Albtraum darf nicht einen weiteren Tag andauern“. (dpa)

Hamas warnt Israel

Die Hamas kritisierte die Verzögerung der Freilassung palästinensischer Häftlinge durch Israel scharf. Eigentlich hätte Israel nach palästinensischen Angaben gemäß Vereinbarung am Samstag rund 600 inhaftierte Palästinenser freilassen sollen. Darunter befinden sich 50 mit lebenslangen Haftstrafen.

Die Hamas habe die Vermittler Ägypten und Katar über die Verzögerung informiert, stand in einer Erklärung der Terrororganisation. Israel werde keine Vermittler für den Konflikt mehr finden, wenn es das Abkommen jetzt verletze und sich weigere, die Häftlinge freizulassen, warnte die Hamas. Kurz darauf gab das Büro von Netanjahu bekannt, dass die Freilassung verschoben werde.

Die Hamas verlangt eine dauerhafte Waffenruhe und einen vollständigen Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen als Bedingung für eine Einigung auf eine zweite Phase des Abkommens. Israel beharrt jedoch auf dem Kriegsziel einer kompletten Zerstörung der islamistischen Terrororganisation. (dpa)

Angriffe auf Südlibanon vor Nasrallahs Beerdigung

Israel hat libanesischen Angaben zufolge am Tag der geplanten Trauerfeier für den vor fünf Monaten getöteten Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah in Beirut Ziele im Südlibanon angegriffen. „Feindliche Flugzeuge haben zwei Angriffe auf das Gebiet zwischen Kleile und Sammaaija im Bezirk Tyros geflogen“, berichtete die Nationale Nachrichtenagentur am Sonntag. Die Angriffe ereigneten sich demnach rund zehn Kilometer von der Grenze zu Israel entfernt.

Israel hatte bereits am Samstagabend die Grenzregion zu Syrien und dem Libanon beschossen. Damit sollte nach Angaben der israelischen Armee verhindert werden, dass die Hisbollah-Miliz Waffen in den Libanon schmuggelt.

Zur Trauerfeier Nasrallahs in Beirut am Sonntag werden zehntausende Menschen erwartet. Der langjährige Anführer der Hisbollah-Miliz war Ende September bei israelischen Luftangriffen auf südliche Vororte der libanesischen Hauptstadt getötet worden. Die Trauerfeier war aus Sicherheitsgründen nicht direkt nach Nasrallahs Tod abgehalten worden.

Die Trauerfeier für Nasrallah und seinem potenziellen Nachfolger Haschem Safieddin soll um 13.00 Uhr (Ortszeit, 12.00 MEZ) im Camille-Chamoun-Stadion beginnen. Seit Tagen laufen dafür die Vorbereitungen in der Stadt – unter anderem wurden vielerorts riesige Porträts der beiden Männer angebracht. Safieddin war wenige Tage nach Nasrallah ebenfalls bei einem israelischen Angriff getötet worden. (afp)

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