piwik no script img

Die Bildmacht der Epstein-FilesDas erklärt rein gar nichts

Ann-Kathrin Leclere

Kommentar von

Ann-Kathrin Leclere

Ein Bild von Michael Jackson mit Jeffrey Epstein beweist keine Mitschuld. Im schlimmsten Fall lenkt es davon ab, wirklich relevante Fragen zu stellen.

Ein Foto aus den Epstein-Akten: Michael Jackson, Bill Clinton, Diana Ross und Kinder mit geschwärzten Gesichtern Foto: U.S. Justice Department/rtr

A m vergangenen Freitag hat die US-Regierung begonnen, die Epstein-Files zu veröffentlichen, na ja, zumindest teilweise. Zu sehen sind Dokumente, Notizen, Mails und Fotos. Große Teile sind allerdings geschwärzt. Am Montagabend wurde ein weiterer Teil veröffentlicht, dieses Mal mit neuen Bezügen zu Trump und seiner Verbindung zum Sexualstraftäter Epstein. Aus all dem soll sich ein Gesamtbild der Straftaten Jeffrey Epsteins und seiner Mitwisser:innen, Mit­tä­te­r:in­nen und den Opfern ergeben. Doch genau dieses Bild bleibt bruchstückhaft.

Unter den am Freitag veröffentlichten Materialien finden sich auch Fotos von Prominenten, etwa von Michael Jackson. Auf einem steht er in einem Flugzeug neben Bill Clinton und Diana Ross, daneben Kinder, deren Gesichter geschwärzt wurden. Eingebettet in die Epstein-Akten erwächst aus diesem Bild plötzlich ein Verdacht. Dabei ist das Foto seit Jahren öffentlich: Es entstand bei einem demokratischen Fundraising-Event. Die Kinder sind Jacksons eigene sowie das Kind von Diana Ross. Erst die neue Rahmung, der Kontext „Epstein“, die Schwärzung und die Art der Veröffentlichung machen das Bild plötzlich politisch explosiv.

Genau hier zeigt sich, wie Macht durch Bilder entsteht. Nicht durch das, was sie zeigen, sondern durch das, was man ihnen zuschreibt. Die Schwärzung suggeriert Opferschutz und produziert gleichzeitig die Vermutung, dass Michael Jackson auch schuldig ist. Das Bild erklärt nichts, es wird instrumentalisiert. Und plötzlich steht nicht mehr nur Epstein oder Donald Trump im Zentrum der Berichterstattung, sondern auch Jackson.

Viel Clinton, wenig Trump

Verantwortlich für die Veröffentlichungen ist Vizejustizminister Todd Blanche. Er sagte, die Schwärzungen und die Herausgabe von lediglich einem Teil der Akten sei aufgrund des Opferschutzes vorgenommen worden. Zu sehen blieben nach der Veröffentlichung am Freitag vor allem: Viel Clinton und Celebritys, wenig Donald Trump. Ein Sprecher von Clinton kritisierte das als Ablenkungsmanöver des Weißen Hauses.

Abzulenken, das dürfte vor allem für Trump relevant sein. Auch bei ihm gilt: Dass der Ex-Präsident Bill Clinton (Demokraten) in den aktuellen Veröffentlichungen häufig genannt wird und Trump vergleichsweise selten, ist kein Beleg für Schuld oder Unschuld.

Aber Bilder erzeugen Eindrücke. Und Eindrücke sind ein zentrales Werkzeug politischer Kommunikation. Welcher Eindruck bleibt von Michael Jackson? Welcher von Bill Clinton, den man etwa gemeinsam mit Epsteins Vertrauter und Komplizin Ghislaine Maxwell im Pool sieht? Und welcher von Trump, der in diesen Bildern weniger präsent ist?

Der US-Präsident unter Druck im eigenen Lager

Es ist unwahrscheinlich, dass selbst eine vollständige Veröffentlichung der Akten seinen Rücktritt erzwingen würde. Trump ist bereits ein verurteilter Straftäter, geschadet hat ihm das politisch kaum. Dennoch ist ihm der Eindruck, den seine Verbindung zu Epstein hinterlässt, nicht egal. Er spaltet damit auch seine eigene Partei und die MAGA-Bewegung. Re­pu­bli­ka­ne­r:in­nen wie Marjorie Taylor Greene oder Thomas Massie zeigten sich enttäuscht bis entrüstet darüber, wie wenig bislang veröffentlicht wurde.

Dass der US-Präsident unter Druck steht, zeigt sich auch daran, dass er am Freitag keine Fragen der Presse zu den Epstein-Akten beantwortet hat – ein für ihn sehr ungewöhnliches Verhalten. Umso naheliegender ist der Eindruck, dass die Aufmerksamkeit gezielt auf Bilder von Bill Clinton oder Stars wie Jackson gelenkt werden sollten.

Es ist richtig, die Akten unter konsequentem Opferschutz vollständig zu veröffentlichen. Dafür braucht es auch Schwärzungen, etwa der Gesichter und Namen. Aber: „Hört auf, Namen zu schwärzen, die nicht geschwärzt werden müssen“, sagte Marina Lacerda, die sich selbst als Opfer Epsteins bezeichnet und öffentlich das Justizministerium zu einer vollständigen Freigabe der Akten auffordert.

Ein Foto allein reicht nicht

Dazu muss die US-Regierung das Justizministerium verpflichten. Nur so kann das tatsächliche Ausmaß von Epsteins Verbrechen und den dahinterliegenden Netzwerken sichtbar werden. Falsch ist jedoch die Hoffnung auf das eine Foto, das Trump oder andere Täter eindeutig überführt. Bilder liefern keine Urteile. Sie emotionalisieren, polarisieren, lenken Aufmerksamkeit. Während über Fotos diskutiert wird, bleiben die entscheidenden Fragen offen: Wer wusste was? Wer deckte wen? Welche Strukturen machten die Taten möglich?

Erst wenn alle Informationen öffentlich sind, kann eine echte Aufarbeitung beginnen und die Stimmen der Opfer müssen endlich wichtiger werden als jedes Bild.

Bilder erklären nichts. Sie zeigen nichts. Sie sprechen niemanden schuldig. Aber sie haben enorme politische Sprengkraft. Umso größer ist die Verantwortung im Umgang mit ihnen.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ann-Kathrin Leclere
Aus Kassel, lange Zeit in Erfurt gelebt und Kommunikationswissenschaft studiert. Dort hat sie ein Lokalmagazin gegründet. Danach Masterstudium Journalismus in Leipzig. Bis Oktober 2023 Volontärin bei der taz. Jetzt Redakteurin für Medien (& manchmal Witziges).
Mehr zum Thema

0 Kommentare