Mexikos ermordete Journalisten: Wer aufdeckt, lebt gefährlich
In der „Jahresbilanz der Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen hält Mexiko den zweiten Platz an getöteten Journalist*innen – hinter einem Kriegsgebiet.
W ieder Mexiko. Wieder steht das Land ganz oben auf der Liste der getöteten Medienschaffenden. Neun Journalist*innen wurden laut Reporter ohne Grenzen (ROG) im Jahr 2025 schon ermordet. So steht es in der neuesten „Jahresbilanz der Pressefreiheit“ der Organisation. ROG zufolge belegt Mexiko damit den zweiten Platz hinter dem Gazastreifen, einem Kriegsgebiet.
Wobei: Was ist eigentlich ein Kriegsgebiet? Auch in dem Latino-Land sterben jährlich über 30.000 Menschen einen gewaltsamen Tod, viele sind Opfer der Auseinandersetzungen der organisierten Kriminalität, die oft mit Regierungskreisen kooperiert. Mehr und mehr kämpfen die Kriminellen mit Kriegswaffen: Raketenwerfer, Tretminen, Maschinengewehre, mit Bomben bestückte Drohnen.
Wenige Tage, bevor ROG vergangene Woche ihre Bilanz veröffentlichte, gingen erschreckende Bilder durch die mexikanischen Medien. Fernsehaufnahmen zeigten ausgebrannte Autos, zerbombte Läden, eine mit Trümmern übersäte Straße.
Unbekannte, wahrscheinlich Killer des Jalisco-Kartells, haben vor dem Hauptquartier einer bewaffneten Selbstverteidigungsgruppe in der Stadt Coahuayana im Bundesstaat Michoacán einen Autobomben-Anschlag verübt. Sechs Menschen starben. Vier der Opfer waren „Autodefensas“, wie die autonomen Polizist*innen genannt werden, die anderen beiden waren laut Sicherheitsministerium die Attentäter.
Mit dem organisierten Verbrechen kooperieren
Hintergrund des Angriffs sei ein Streit zwischen dem Jalisco-Kartell und den „Carteles Unidos“, sagt die Regierung von Präsidentin Claudia Sheinbaum. Folgt man ihr, sind die Autodefensas und deren Anführer Hector Zepeda also selbst in kriminelle Aktivitäten verwickelt. Das wäre nicht außergewöhnlich. In Mexiko agieren viele Autodefensas, und nicht wenige kooperieren mit dem organisierten Verbrechen.
Die Grenzen zwischen legalen und illegalen Geschäften sind fließend. Wer seine Bürger*innen vor dem Terror einer eindringenden Macht, in dem Fall das Jalisco-Kartell, schützen will, muss sich Verbündete mit der nötigen Feuerkraft suchen. Krieg eben.
Doch das ist derzeit nicht Sheinbaums vorrangiges Thema. Nach dem Anschlag war ihre Regierung bemüht, dem Verbrechen die adäquate juristische Einordnung zu geben. Obwohl der Angriff alle Eigenschaften einer terroristischen Aktion vorweist, änderten die Strafverfolger den Vorwurf der „terroristischen Aktion“ in ein „Delikt der organisierten Kriminalität“. Und das aus gutem Grund. US-Präsident Donald Trump hat einige mexikanische Mafia-Organisationen auf die Terrorliste gesetzt. Zugleich hat er nicht ausgeschlossen, in das Nachbarland zu intervenieren.
Angesichts der US-Angriffe gegen „Drogenboote“, bei denen 90 Menschen starben, sowie dem Kapern eines venezolanischen Öltankers darf Sheinbaum dem Rechtsextremisten kein Futter geben. Auch auf diese Weise beeinflusst Trumps Diskurs die mexikanische Innenpolitik. Dabei würde die Einordnung des Anschlags als „Terrorismus“ nur die Realität vermitteln: Dass es Regionen in Mexiko gibt, in denen die Regierung keinerlei Sicherheit garantieren kann, in denen ein irregulärer Krieg geführt wird und in dem bewaffnete Gruppen durch Gewalt Angst schüren und regieren.
Die Kartelle üben Terror aus
De facto üben die Kartelle diesen Terror aus. Die Bilder aus Coahuayana wecken eigene Erinnerungen: Interviews mit Taco-Verkäuferinnen – genau dort, wo die Bombe explodierte; Patrouillenfahrten mit dem schwer bewaffneten Autodefensas-Chef Zepeda, der immer wieder bremst, um zu zeigen, bei welchem Schusswechsel „Compañeros“ erschossen wurden.
Für uns internationale Korrespondent*innen sind das einzelne Recherchen, für die einheimischen Kolleg*innen ist es Alltag. Wer aufdeckt, welcher Unternehmer, Polizist oder welche Staatsanwältin mit welchem Kriminellen zusammenarbeitet, lebt gefährlich. Die Morde an den neun Kolleg*innen in diesem Jahr verfehlen ihre Wirkung nicht. Viele Journalist*innen, die wir in umkämpften Bundesstaaten wie Michoacán, Guerrero und Sinaloa getroffen haben, berichten nicht mehr über diesen Krieg. Wer will schon die Heldin oder den Helden spielen.
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