piwik no script img

Stadtbilddebatte wird praktischCDU findet Göttingen ohne Döner schöner

Mit scharf: Die Göttinger Unionsfraktion macht Stimmung. Sie will Imbissbuden, Gemüseläden und Barbershops aus der Nordstadt vertreiben.

Wäre die CDU froh, wenn alle Dönershops gebrannte Mandeln verkaufen würden? Budenzauber auf dem Weihnachtsmarkt Foto: Göttingen Marketing GmbH/Julika Schlichenmeier
Reimar Paul

Aus Göttingen

Reimar Paul

Die CDU in Göttingen hat bei den „Stadtbild“-Äußerungen des Parteivorsitzenden Friedrich Merz offenbar gut aufgepasst. Für die Sitzung des Kommunalparlaments an diesem Freitag hat die Ratsfraktion der Christdemokraten einen Antrag vorgelegt, durch den das Göttinger „Innenstadtleitbild“ aktualisiert werden soll.

Im Blick hat sie dabei vor allem die von ihr so genannte „Dönermeile“ in der nördlichen City, wo Mi­gran­t:in­nen mehrere Imbisse betreiben. Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Innenstadt hätten sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert, schreibt der CDU-Fraktionsvorsitzende Olaf Feuerstein in der Begründung des Antrags.

Als Ursachen dafür benennt er strukturelle Veränderungen im Einzelhandel, den zunehmenden Online-Handel, die Digitalisierung, neue Mobilitäts- und Aufenthaltsansprüche sowie gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen. Eine Aktualisierung sei erforderlich, um die zukünftige Entwicklung der Göttinger Innenstadt „strategisch und ganzheitlich“ zu steuern.

Nach diesem eher allgemeinen Intro wird die CDU konkret: Ziel der Ratsinitiative sei es, „die funktionale Durchmischung der Innenstadt zu erhalten und zu stärken, Leerstände und Monostrukturen – wie beispielsweise die Häufung ähnlicher Nutzungen an der sogenannten ‚Dönermeile‘ – zu vermeiden und die Innenstadt als attraktiven, vielfältigen und zukunftsfähigen Stadtraum zu sichern“.

Wir halten solche Zuspitzungen nicht für zielführend, wenn es darum geht, echte Weiterentwicklungen in der Innenstadt zu erreichen

Horst Roth und Julian Arends, Grüne Ratsherren

Die „Dönermeile“ ist in Wirklichkeit gar keine Meile. Es handelt sich um einen rund 100 Meter langen Abschnitt der Weender Straße. Die durchschneidet das Stadtgebiet in Nord-Süd-Richtung. Ihr längerer Teil ist die zentrale Achse der Fußgängerzone.

Auf der Ostseite des nicht verkehrsberuhigten Abschnitts befinden sich unter anderem drei Dönerläden, zwei Bäckereien und ein Frisör. Mehrere der Betreiber haben einen migrantischen Hintergrund. Weil die Läden meist bis spät in die Nacht geöffnet haben, dienen sie Nachtschwärmern und Studierenden als Treffpunkt.

Die Westseite wird von dem 1974 errichteten Einkaufszentrum Carré dominiert, einem Betonmonster mit 14.000 Quadratmetern Gewerbefläche. Seit dem Auszug des Elektrofachmarkts Saturn im September 2021 stehen viele Läden in dem Gebäude leer. In anderen gibt es große Fluktuation.

Geprägt wird der Teil der Straße aber vor allem durch eine völlig chaotische und von der Stadt zu verantwortende Verkehrssituation. Stadtbusse, Autos, Rad­fah­re­r:in­nen und Fuß­gän­ge­r:in­nen müssen sich hier auf engstem Raum aneinander vorbei drängeln, immer wieder kommt es zu Unfällen.

Vorrang für Autos

Wie fast überall in der Innenstadt gibt es auch vor dem Carré viel zu wenige Fahrradstellplätze – das hat zur Folge, dass viele Rad­le­r:in­nen ihr Gefährt an Laternen oder der Bushaltestelle anketten. Von all dem ist im CDU-Antrag allerdings keine Rede: An der von ihr maßgeblich mitverantworteten Göttinger Verkehrspolitik mit ihrem deutlichen Vorrang für Kraftfahrzeuge will sie nicht rütteln.

Bei anderen Mitgliedern im Stadtrat stößt der CDU-Vorstoß auf Kritik. Die SPD-Fraktion – bis vor Kurzem noch mit der CDU durch eine „Haushaltsbündnis“ genannte Quasikoalition verbandelt – erklärte auf Anfrage: „Für uns ist klar, dass die Innenstadt ein Ort der Vielfalt ist, deshalb sind für diese wichtige Diskussion Begriffe wie ‚Dönermeile‘ wenig hilfreich.“

Im Übrigen fordere die CDU „nichts Neues“. Bereits 2020 hätten SPD und Grüne auf eine Aktualisierung des 14 Jahre alten Innenstadtleitbildes gedrängt. Das sehen die Grünen ähnlich. Die Weiterentwicklung des Innenstadtleitbilds sei längst beschlossen, so die Ratsherren Horst Roth und Julian Arends.

Weihnachtliche Stimmungsmache

Aus der Begründung des CDU-Antrags bleibe „fast ausschließlich eine wenig hilfreiche Stimmungsmache rund um die ‚Dönermeile‘ übrig. Wir halten solche Zuspitzungen nicht für zielführend, wenn es darum geht, echte Weiterentwicklungen in der Innenstadt zu erreichen.“

Ratsherr Francisco Welter-Schultes vom Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung sagte der taz, der CDU-Antrag sei „eher auf Show ausgerichtet“. Er verwies darauf, dass die Stadt sich schon seit geraumer Zeit selbst in vielen Fällen nicht an die beschlossenen Leitlinien halte. Nach wie vor würden historische Häuser durch Betonbauten ersetzt. Der Alte Botanische Garten als wichtige Grünfläche werde ständig angegriffen. Am Rand der Innenstadt sei an fast allen Ampeln die Wartezeit für Fuß­gän­ge­r:inn­nen erheblich verlängert worden.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Stadtplanung



    Ein weites Feld, sollte man meinen, doch allzuoft ist es eher



    ( geistig) begrenzt.



    Meine erste Wahrnehmung ist, dass immer mehr Grün verschwindet.



    Das heißt sowohl Bäume in Gärten - Vorgärten werden zu Parkplätzen, Aleen und Bäume, die Plätze beschatten, werden gefällt. Diese Entwicklung beobachte ich seit den 80ern , ganz so, als ob Niemand den Begriff "Klima" je gehört hätte.



    Was alten Baubestand betrifft, so gilt scheinbar das Recht des



    Stärkeren, sprich finanzstärkeren.



    Dass hier Gleichmacherei vorherrscht und im Norden, Osten, Süden oder Westen die gleichen hässlichen Kästen entstehen, betrachtet offenbar Niemand als Problem.



    Abriss und Neubau bleibt das Konzept, CO2 Mengen werden in den wenigsten Fällen berücksichtigt.



    Das gilt für den privaten, wie den öffentlichen Sektor.



    Mir gefällt dieses "Stadtbild" nicht.



    Den Kommunen fehlen teils die finanziellen Mittel teils die planerische Kompetenz. Vetternwirtschaft tut ihr Übriges.



    Was den Einzelhandel betrifft, so sind wir VerbraucherInnen Schuld. Wer im Internet kauft, zerstört den Einzelhandel.



    "Haarsträubende" Entwicklungen sind aber auch Teil der Wahrheit. Lohndumping und Geldwäsche nicht ausgeschlossen...