Zurück in Nigeria, Mali, Togo: Nach der Abschiebung
Nach 7 Jahren in Deutschland wurde Richies Idemudia abgeschoben. Wie ist es, zurück zu sein? Und wer sind die Leute, die sich um Ankommende kümmern?
S eine Mutter und seine beiden Schwestern waren zu Hause, als Richies Idemudia zum ersten Mal nach sieben Jahren in Benin City ankam. Sie weinten, aber nicht vor Freude oder Rührung. Er, der Haupternährer der Familie, war zurück. Anstatt weiter Gabelstapler in Gaisbach, Baden-Württemberg, zu fahren, und alles, was von seinem Lohn übrig blieb, nach Hause zu schicken für die Medikamente seiner Mutter, die Bustickets seiner Schwestern, endlich ein eigenes Haus für die Familie, war er nun selbst wieder in Nigeria. Abgeschoben und mit leeren Händen. „Es ist eine Katastrophe“, sagt Idemudia.
Das alles war im September 2022, erzählt Idemudia im Whatsapp-Call aus Benin City. Ein Jahr bevor Bundeskanzler Olaf Scholz ankündigte, im großen Stil abzuschieben. Etwas mehr als zwei Jahre bevor die Union zusammen mit der AfD für eine noch restriktivere Migrationspolitik stimmte. Drei Jahre, bevor die Zahl der Abschiebungen ihren Höchststand seit Pandemiebeginn erreichte. Allein von Januar bis Oktober 2025 wurden 19.538 Menschen aus Deutschland abgeschoben, das sind im Durchschnitt 65 pro Tag.
Idemudia erzählt, dass er direkt bei der Arbeit in der Logistikfirma festgenommen worden sei, an einem Donnerstagnachmittag, dann unter Polizeibegleitung zum Packen nach Hause und anschließend in den Abschiebeknast nach Pforzheim gebracht worden sei. „Sie haben nicht viel erklärt“, sagt er. Wenige Tage später, in der Morgendämmerung, sitzt er in einem Charter-Abschiebeflug nach Nigeria, sein Leben in Deutschland in einem 20-Kilo-Koffer.
Wenn das Flugzeug abgehoben hat, schwindet in Deutschland meist die Aufmerksamkeit. So umstritten eine Abschiebung gewesen sein mag – wenn sie vollzogen ist, hören Medien oft auf zu berichten, Aktivist*innen beenden die Demonstrationen. Aber wie geht es weiter für die, die in den Flugzeugen sitzen?
Im Abschiebeknast traf Idemudia einen Bekannten, der schrieb ihm eine Handynummer auf einen Zettel: von Rex Osa, Mitgründer und Koordinator bei Deportees Emergency Reception and Support. In Lagos kam Idemudia zusammen mit den anderen Abgeschobenen für eine Woche in Quarantäne. „Dann haben sie die Tore geöffnet und gesagt, dass wir gehen sollen“, sagt Idemudia. „Es war ihnen total egal, ob die Leute überhaupt genug Geld haben, um ihr Ziel zu erreichen.“
Wie könnte eine Politik aussehen, die auf Ankommen statt Abschotten setzt? Was können wir lernen aus 2015? Und wo sind die Orte, an denen der restriktiven Politik von oben eine solidarische Politik von unten entgegengesetzt wird? Diesen Fragen haben wir über das im Jahr 2025 fünf Sonderausgaben zu Flucht und Migration gewidmet.
Mit der wochentaz vom 20. Dezember findet das Projekt seinen Abschluss. Es ist keine besinnliche Zeitung geworden – aber eine, die sich um ein Thema dreht, das zu Weihnachten einen besonderen Klang bekommt. Wir beschäftigen uns mit der Frage, was „Zuhause“ eigentlich ist, was es braucht, um sich an einem Ort zu Hause zu fühlen – und wie die Hoffnung darauf oft zerstört wird.
Alle Texte aus dieser Sonderausgaben erscheinen nach und nach hier. In dem Online-Schwerpunkt finden Sie auch die Texte aus den vier vorherigen Sonderausgaben.
„Das erste Mal, dass ich Abgeschobene am Flughafen von Lagos in Empfang genommen habe, war ein Schock“, erinnert sich Rex Osa. „Die Leute sind völlig verstört.“ Osa und sein Team stellen Handys zur Verfügung, damit die Abgeschobenen ihre Familien anrufen können, und organisieren mit ihnen die Reise zu den Familien. Wer nicht in der Lage sei weiterzureisen, könne in der Schutzwohnung der Organisation unterkommen.
„Dort essen und trinken wir zusammen, alle können ihre Geschichte erzählen“, sagt Osa. Einen Raum zu schaffen, in dem den Betroffenen zugehört wird und sie verstanden werden, sei wichtig, damit aus dem Trauma der Abschiebung möglichst keine langfristige psychische Erkrankung wird. „Das können am besten Leute, die dieselbe Erfahrung gemacht haben“, sagt Osa. Also kümmern sich bei Deportees Emergency and Support jetzt einst abgeschobene Menschen um die Ankommenden.
Osa, Vollzeitaktivist und Vater von vier Kindern, pendelt zwischen Stuttgart und Lagos hin und her. Er selbst kam 2006 als Asylsuchender nach Deutschland und begann wenig später, sich in antirassistischen Gruppen zu engagieren. 2016 beschloss er, nicht nur in Deutschland, sondern auch in seinem Heimatland Nigeria für die Rechte von Geflüchteten zu arbeiten. „Die Debatte dort drehte sich damals nur um Schlepperbekämpfung – ein europäisches Narrativ“, sagt Osa. „Ich wollte, dass die Abgeschobenen selbst zu Akteuren des Migrationsdiskurses werden.“
Denn dass die Menschen und oft auch ihre Familien mit der Abschiebung ihre Existenzgrundlage verloren haben, getrennt sind von Freund*innen und Liebesbeziehungen, sich oft nicht einmal verabschieden konnten, den Plan für ihr Leben nun wegwerfen können, das alles ist nur der eine Teil. Der andere ist die Stigmatisierung in dem Land, das früher mal Zuhause war. „Viele werden von ihren Familien zurückgewiesen“, sagt Osa.
Die Familien auf die Ankunft ihrer Kinder vorbereiten
„Abgeschobene werden in Nigeria schlecht angesehen, so als ob sie Kriminelle sind.“ Immer wieder telefoniere er mit den Familien, um sie nach der Abschiebung auf die Ankunft ihrer Kinder vorzubereiten. „Ich erkläre dann, dass sie nichts falsch gemacht und sich wirklich bemüht haben, in Deutschland zu bleiben.“
Diese Art von Telefongespräch kennt Razakou Aboubakari gut. Aboubakari, Lehrer in der Region Tchaoudjo in Togo, hat 2008 die togoische Vereinigung der Abgeschobenen gegründet. Gerade eben hat Aboubakari in der zweiten Klasse Französisch unterrichtet, jetzt ist Mittagspause, Aboubakaris Erzählungen mischen sich mit Pausenhofgeräuschen.
„Es wird hier als Schande angesehen, abgeschoben zu werden“, sagt Aboubakari, „die meisten schämen sich – gegenüber der Familie, den Freunden, dem Dorf, dem Viertel.“ 2017 etwa schickten Togoer umgerechnet etwa 507 Millionen US-Dollar nach Hause und erwirtschafteten damit knapp 10 Prozent des BIP. 2023 waren es mehr als 7 Prozent des BIP. „Der, der die Familie ernährt hat, muss jetzt selbst mit durchgefüttert werden.“
Aboubakari und die anderen Ehrenamtlichen begleiteten Rückkehrer*innen deshalb zu ihren Familien. Aber von den einst 40 Mitgliedern der Vereinigung sind nur noch wenige aktiv, und für kaum eine Aufgabe reicht das Geld. Kürzlich hätten sie zum Beispiel eine Frau beherbergt, die auf dem Weg zum Mittelmeer mehrfach vergewaltigt worden sei. „Die sichtbaren Wunden konnten wir behandeln, das Krankenhaus bezahlen, aber sie braucht dringend psychologische Unterstützung und dazu haben wir einfach nicht die Mittel.“ Viele der Zurückkehrenden stürzten in Depressionen.
Das Haus ist nur halb fertig geworden
„Ich versuche, klarzukommen, aber innerlich geht es mir nicht gut“, sagt Idemudia. Die meiste Zeit sei er zu Hause, genau genommen in dem halb fertiggebauten Haus, das er für seine Mutter und seine Schwestern mit seinem Lohn finanziert hatte, bis die Abschiebung ihm zuvorkam. Im Whatsapp-Anruf zeigt er, wie in der Mitte des Zimmers die weiße Farbe ausgegangen ist, die Fliesen auf dem Boden fehlen noch. Idemudia ist trotzdem lieber drinnen, ohne Menschen.
Alte Freunde aus Nigeria hätten sich nach der Abschiebung von ihm abgewendet, viele aus Deutschland antworteten nicht mehr auf seine Nachrichten. „Es ist schwierig, wieder Menschen zu vertrauen, wenn du all das erlebt hast“, sagt Idemudia. Einen Job habe er bislang nicht gefunden. Im Januar 2024 versuchte er, ein zweites Mal nach Europa zu kommen, erzählt er. „Ich habe keinen anderen Weg gesehen, meiner Depression zu entkommen.“ Er scheitert. „Wer es sich irgendwie leisten kann, macht einen zweiten Versuch“, berichtet auch Razakou Aboubakari aus Togo.
„Immerhin habe ich mein Leben noch, mein Körper ist vollständig, und ich bin nicht verrückt geworden wie manche andere Abgeschobene“, sagt Idemudia. Und immerhin versuchten seine Schwestern und seine Mutter, ihn aufzumuntern.
Wie schwer es für die Zurückgekehrten ist, wieder anzukommen, berichtet auch Ousmane Diarra aus Bamako. Nach seiner eigenen Abschiebung aus Angola nach Mali gründete er 1996 gemeinsam mit anderen, die aus Liberia, Frankreich und Saudi-Arabien zurückkehren mussten, die Malische Vereinigung der Abgeschobenen. „Dass die Kredite für die Flucht zum Teil noch nicht abbezahlt sind, macht die Rückkehr noch komplizierter“, sagt Diarra. „Die Wiedereingliederung der Abgeschobenen in die Familien ist sehr schwierig.“
Angefangen haben die Aktivist*innen in Bamako ihre Arbeit mit Sprechstunden am Flughafen, wo viele der abgeschobenen Menschen ankommen. Inzwischen betreibt die Organisation eine Unterkunft, in der die Menschen bis zu 72 Stunden bleiben könnten, bevor sie zu ihren Familien weiterreisen, erzählt Diarra.
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„Dort bekommen sie Kleidung, wenn sie nicht einmal ihre Sachen packen durften, Verpflegung und medizinische Versorgung, wenn sie an Vorerkrankungen leiden oder ihnen bei der Abschiebung Gewalt angetan wurde.“ Zugleich prüfen die Anwält*innen der Organisation die Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Zum Teil mit Erfolg: „Manchmal schaffen wir es gemeinsam mit den Anwält*innen im früheren Aufnahmeland, dafür zu sorgen, dass die Abschiebung rückgängig gemacht wird“.
An einem solchen Fall arbeitet gerade Gwendolin Buddeberg. Die Rechtsanwältin aus München erfuhr von der Abschiebung ihres Mandanten erst, als Bright Obasuyi schon in Nigeria angekommen war. „Es war total überraschend“, sagt Buddeberg. Obasuyis Asylantrag war zwar abgelehnt worden, aber er ist psychisch schwer krank. „Ein umfangreiches Gutachten seiner Psychiaterin über seine Reiseunfähigkeit lag der Ausländerbehörde Oberbayern vor“, sagt Buddeberg. Besteht die Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand einer Person wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, dann darf nicht abgeschoben werden. Eine solche Gefahr sah der Psychiater bei Obasuyi.
Die Ausländerbehörde habe ein Gegengutachten beantragt, erzählt Buddeberg. „Während der Untersuchung durch den Amtsarzt hatte Obasuyi einen Wahnanfall, der Termin musste abgebrochen werden.“ Obasuyi selbst erzählt, dass er es zum zweiten Termin nicht schaffte, weil er auf dem Weg einen epileptischen Anfall erlitt und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
„Wir konnten mit einem Arztbrief aus dem Krankenhaus glaubhaft machen, dass er nicht erscheinen konnte, und haben auf die Festsetzung eines neuen Termins gewartet“, sagt Buddeberg. „Aber dann wurde er ohne neuen Termin einfach abgeschoben. Aus den E-Mails zwischen Ausländerbehörde und Amtsarzt wisse sie, dass der Amtsarzt nach der ersten Untersuchung davon ausgegangen ist, dass Obasuyi nicht reisefähig und für die Entscheidung über die Reiseunfähigkeit eine weitere Untersuchung erforderlich sei.
Doch auf Anfrage bei der Ausländerbehörde heißt es, dass ein fachärztliches Gutachten Obasuyis Reisefähigkeit „im Rahmen einer medizinisch und sicherheitsbegleiteten Abschiebung“ bestätigt habe. Wie das möglich ist, ohne zweiten Termin? „Vieles deutet darauf hin, dass diese Abschiebung nicht rechtmäßig war“, sagt Anwältin Buddeberg. Beim Verwaltungsgericht München hat Buddeberg gegen die Abschiebung geklagt und per Eilverfahren beantragt, dass das Gericht die Rückführung von Obasuyi nach Deutschland anordnet.
Empfohlener externer Inhalt
„Mein ganzes Leben ist kaputt“, sagt Obasuyi, der trotz allem Deutschprüfungen abgelegt, einen Integrationskurs besucht hat und im September eine Ausbildung zum Lagerlogistiker beginnen wollte. „Er wirkt von der Abschiebung total traumatisiert“, sagt Buddeberg. Obasuyi berichtet von massiver Gewalt. Sämtliche Körperteile und auch sein Kopf seien im Flugzeug fixiert worden. Auch als er vor Schmerzen schrie, habe man seinen Kopf weiterhin fixiert. Gegen seinen Willen seien ihm Medikamente eingeflößt worden. Ein Video zeigt, wie Obasuyi reglos auf einem Sitz im Flughafen hängt, Speichel tropft aus seinem Mund.
„Er wurde mit aller Gewalt abgeschoben, aber wenn die Abschiebung rechtmäßig gewesen wäre, wäre möglicherweise auch die Gewaltanwedung rechtens gewesen“, sagt Anwältin Buddeberg. „Das deutsche Recht erlaubt, dass festgebunden und sediert wird, wer sich wehrt“. Kleine Anfragen der Linken aus den vergangenen Jahren ergeben, dass mit dem Anstieg der Zahl der Abschiebungen auch immer häufiger sogenannte „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt“ zum Einsatz kommen, dazu gehören etwa Hand- und Fußfesseln wie sogenannte Bodycuffs, bei denen Hand- und teilweise Fußgelenke an einem Hüft- oder Bauchgurt fixiert werden.
2019 rügte das Antifolterkomitee des Europarats die deutsche Abschiebepraxis, unter anderem wegen unverhältnismäßiger und unangemessener Gewaltanwendung. Allein für das Jahr 2024 gab die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken an, bei 1.189 Geflüchteten Hilfsmittel körperlicher Gewalt angewandt zu haben.
Die Bundespolizei will sich nicht zu Obasuyis Abschiebung äußern, das gerichtliche Verfahren laufe noch. Über den Eilantrag hat das Verwaltungsgericht München noch immer nicht entschieden – auf taz-Anfrage mit der Begründung, dass es sich um einen sehr komplexen Sachverhalt handele, umfangreiche Stellungnahmen müssten im Detail bewertet werden. Die Entscheidung im Eilverfahren werde in Kürze ergehen.
Druck auf Herkunftsstaaten aufbauen, damit sie sich EU entgegenstellen
Seine Medikamente und das Zimmer in Benin City zahlen momentan Obasuyis Unterstützer*innen in Deutschland. „Bis Februar habe ich noch Medikamente“, sagt Obasuyi. „Ich habe sehr große Angst, was danach passiert.“
„Wenn wir transnational zusammenarbeiten, können wir viel mehr schaffen“, sagt Ousmane Diarra und bezieht das nicht nur auf die praktische Unterstützung von abgeschobenen Menschen. Druck auf die Herkunftsstaaten aufbauen, um der Externalisierung der EU-Grenzen Einhalt zu gebieten, das ist die Strategie von Aktivist*innen in Nord- und Westafrika. Sie kämpfen gegen Rückführungsabkommen, klären über Migrationsrouten auf und dokumentieren Menschenrechtsverletzungen bei Pushbacks und Abschiebungen.
Die Aktivist*innen arbeiten aber auch daran, das vielerorts noch immer vorherrschende Bild Europas als Kontinent der Menschenrechte zu entkräften. „Die Abschottung Europas hat uns diese ganzen Dramen gebracht: die Zurückweisungen, die Abschiebungen, das Sterben im Mittelmeer“, sagt Diarra. Erst wenn ein realistisches Bild Europas in den Herkunftsländern entsteht, können die Abgeschobenen rehabilitiert werden. Razakou Aboubakari in Togo hat zum internationalen Tag der Migration am 18. Dezember Migrant*innen eingeladen, um jungen Menschen über ihre Erfahrungen auf der Reise zu berichten.
Richies Idemudia hofft, bald irgendwie genug Geld beisammenzuhaben, um sein eigenes Gewerbe zu starten. Sich ein gebrauchtes Auto zu kaufen zum Beispiel, Taxi fahren. Dann könnten endlich auch seine Freundin und sein einjähriger Sohn Desmond zu ihm ziehen, sie sind momentan noch in Lagos, bei den Schwiegereltern. „Gerade geht das noch nicht, weil ich sie nicht versorgen kann“, sagt Idemudia. „Ich wünsche mir so sehr, dass sie bei mir sein könnten, gerade jetzt, wo Weihnachten kommt.“ Und dass seine Eltern endlich seinen Sohn kennenlernen könnten.
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