Nachruf auf Schauspieler Udo Kier: Hier lacht der Bösewicht über sich selbst
Udo Kier war einer der lässigsten deutschen Schauspieler, die zum Hollywoodstar wurden. Neben Fieslingen konnte er auch andere Typen spielen. Ein Nachruf.
Eine Frau im Krankenhaus. Sie schreit vor Schmerzen. Dann gebiert sie ein Baby. Heraus kommt aber kein gewöhnlicher Säugling, denn er hat das Gesicht von Udo Kier. In fragendem Ton sagt dieser immer wieder „Mor“ (Mutter). Der Schauspieler Udo Kier hatte in dieser Szene der TV-Serie „Hospital der Geister“ (1994) des dänischen Regisseurs Lars von Trier das seltene Privileg, seine eigene Geburt zu spielen, in der Rolle des „kleinen Bruders“. Es ist eine der seltsamsten Figuren, die der 1944 in Köln als Udo Kierspe geborene spätere Hollywoodstar spielen durfte.
Zu Beginn seiner Karriere hatte sein flächig glattes Gesicht mit den blasskalt blaugrünen Augen ihn wie die deutsche Antwort auf Alain Delon wirken lassen. Recht bald schon wurden Regisseure außerhalb Deutschlands auf ihn aufmerksam. Eine seiner ersten Filmrollen, den Titelpart in „Andy Warhols Frankenstein“ von 1973, bekam er, wie Kier später berichtete, weil er mit dem Kunststar zusammen im Flugzeug saß. Horror und Action sollten dabei die Sparten werden, für die Kier insbesondere in Nebenrollen gern als Bösewicht verpflichtet wurde.
Man konnte ihn aber auch in ganz anderer Funktion erleben. So besetzte ihn der italienische Horrormeister Dario Argento für seinen Klassiker „Suspiria“ (1977) als höflicher Psychiater, der nüchtern versucht, eine rationale Erklärung für die mysteriösen Vorgänge in einer Freiburger Ballettschule zu finden. Den Horror übernahmen in diesem Fall andere.
Tanz mit einer Schirmlampe
Kiers erster Hollywoodfilm sollte Gus Van Sants „My Private Idaho“ aus dem Jahr 1991 werden, in dem er einen Freier spielt, der zwei junge Stricher, dargestellt von Keanu Reeves und River Phoenix, für sich arbeiten lässt. Unter anderem vollführt er darin einen zwischen komisch und unheimlich schillernden Tanz mit einer Schirmlampe, die sein Gesicht wirkungsvoll mit Unterlicht anstrahlt. Seit 1991 lebte Kier in den USA zwischen Palm Springs und Los Angeles.
In seiner folgenden Karriere gab er häufig in publikumsfreundlichen Blockbusterfilmen den grimmig dreinblickenden Finsterling, darunter „Blade“ (1998), „Armageddon“ (1998) oder „End of Days“ (1999). Ebenso gern war Kier aber auch an Arthousekino-Produktionen beteiligt.
Allein im Jahr 2019 konnte man ihn sowohl in Cannes als auch in Venedig bei den Filmfestspielen im Wettbewerb erleben. In Cannes spielte er in tragender Rolle im brasilianischen Science-Fiction-Drama „Bacurau“ von Kleber Mendonça Filho und Juliano Dornelles, wo er zwar als Bösewicht zu sehen war, seine Figur jedoch mit einiger Selbstironie ausstattete, und in Venedig war er in der Romanverfilmung „The Painted Bird“ des tschechischen Regisseurs Václav Marhoul als sehr unfreundlicher Müller zu sehen.
Deutsche Regisseure von Rainer Werner Fassbinder („Lili Marleen“, 1981, „Berlin Alexanderplatz“ 1980) über Wim Wenders („Am Ende der Gewalt“, 1997) bis zu Christoph Schlingensief (u.a. „100 Jahre Adolf Hitler“, 1989) beschäftigten Kier wiederholt, Fatih Akin besetzte ihn in seiner Komödie „Soul Kitchen“ von 2009. In Lars von Triers Filmen war Udo Kier eine Weile Dauergast, sogar in dessen abschließender dritter Staffel von „Hospital der Geister“ (2022) hatte er noch einmal einen prominenten Auftritt, jetzt als riesenhafter „großer Bruder“, der sehr langsam in einem Sumpf versinkt.
Kiers gern kontrolliert-reduziertes Spiel stand in deutlichem Kontrast zu seinem auch schon mal überschäumenden öffentlichen Auftreten jenseits der Leinwand. In Aufnahmen am Rande von Dreharbeiten lacht Kier etwa gern ungehemmt. Und selbstverständlich durfte er so etwas wie der Science-Fiction-Komödie „Iron Sky“ (2012) des finnischen Regisseurs Timo Vuorensola nicht fehlen, ging es darin doch schließlich um Nazis auf dem Mond. Wobei Kier als SS-Führer Wolfgang Kortzfleisch beim Versuch, „Hitler“ zu sagen, einen heftigen Hustenanfall bekommt.
Udo Kier wirkte übrigens noch in einem der besten Filme dieses Jahres mit, Kleber Mendonça Filhos in Cannes mehrfach ausgezeichnetem „The Secret Agent“, der vom Schicksal eines Wissenschaftlers während der Militärdiktatur Brasiliens Ende der Siebziger erzählt. Ein guter Grund, ins Kino zu gehen, denn dort läuft er weiterhin. Am Sonntag ist Udo Kier in seinem Wohnort Palm Springs im Alter von 81 Jahren gestorben.
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