DFB-Auswahl vor der WM-Qualifikation: Fühlst du es?
Vor den entscheidenden Qualispielen läuft eine Stolzdebatte. Spieler mit Migrationsgeschichte in der Familie stehen unter besonderer Beobachtung.
Der deutsche Fußball ist wieder wer. Der des FC Bayern München, nicht der des DFB-Teams. Über die spektakulär dominante erste Halbzeit des deutschen Meisters im Champions-League-Spiel bei Titelverteidiger Paris Saint-Germain hat die ganze Welt geschwärmt. Während eines Spiels der Nationalmannschaft ist dagegen schon lange nicht mehr mit der Zunge geschnalzt worden.
Nach der 0:2-Niederlage gegen die Slowakei im Sommer war das Entsetzen über den teigigen Auftritt der besten deutschen Kicker so groß, dass mancher gar die Qualifikation für die WM im kommenden Jahr gefährdet sah. Nun stehen die letzten beiden Qualifikationsspiele zum Turnier in Mexiko, den USA und Kanada an. Am kommenden Montag läuft in Leipzig das Gruppenfinale gegen die Slowakei. Am Freitag schon spielt die DFB-Auswahl in Luxemburg. Gewinnt sie die Spiele, steht die Qualifikation fest.
Luxemburg also. Die fünf Spieler des FC Bayern, die Bundestrainer Julian Nagelsmann für die beiden Spiele nominiert hat, müssen nur gut eine Woche, nachdem sie in Paris für einen fußballerischen Höhepunkt gesorgt haben, ins Fußballzwergenland. Ob es denn möglich sei, sich auch gegen Luxemburg zu solch einer Leistung zu motivieren, wurde Bayern-Verteidiger Jonathan Tah bei der Team-PK am Mittwoch in der Nationalmannschaftssponsorenstadt Wolfsburg gefragt. Doch, doch, das sei gar kein Problem, meinte Tah, „weil es, glaube ich, die Pflicht ist, für Deutschland, für seine Nation, dieses Niveau abzurufen“.
Diese doch recht fette Antwort auf eine eigentlich schlanke Frage reiht sich ein in eine merkwürdige Stolzdebatte, die während der Tage der Vorbereitung auf die finalen WM-Qualispiele geführt wurde. Den Auslöser dafür lieferte Nagelsmann höchstselbst, als er an die Entscheidung des Leverkusener Mittelfeldspielers Ibrahim Maza erinnerte, lieber für Algerien als für Deutschland Länderspielfußball zu betreiben. Er hätte ihn wohl gerne im Team.
Doch der heute 19 Jahre junge Mann, der in Leverkusen innerhalb kürzester Zeit zu einem Hingucker im offensiven Mittelfeld geworden ist, hat vor gut einem Jahr bei der Qualifikation für den Afrika-Cup für das Herkunftsland seines Vaters gespielt. Ihn selbst darf man getrost als Berliner bezeichnen. Er ist in der Hauptstadt geboren und ist bei Hertha BSC zur Bundesligareife geformt worden. Ein paar Spiele für Nachwuchsteams des DFB hat er obendrein absolviert und sich doch für Algerien entschieden, weil er im gut besetzten deutschen Mittelfeld so schnell keinen Platz mehr für sich gesehen hat.
Nationalstolz gefordert
So etwas dürfe nicht sein, meinte Nagelsmann, der den von ihm erstmals berufenen Jungspunden Saïd El Mala (1. FC Köln) und Forzan Assan Ouédraogo (RB Leipzig) mit seinen Einlassungen gleich ins Gewissen geredet hat. „Die Nationalmannschaft hat nichts damit zu tun, ob ich da oder da eher spielen kann. Es geht darum, ob ich stolz bin, für das Land zu spielen. Ich muss das fühlen“, hatte er am Montag gesagt.
Und seitdem stehen wieder mal alle, die aufgrund der Herkunft ihrer Eltern die Möglichkeit hätten, auch für einen anderen Verband als den deutschen zu spielen, unter besonderer Beobachtung. Die Frage, ob sie deutsch genug fühlen, müssen sich die rein kartoffeldeutschen Auswahlspieler jedenfalls nicht gefallen lassen.
Jonathan Tah musste gleich zu Beginn der Presserunde am Montag sein Deutschtum unter Beweis stellen. Ob er bei seiner Entscheidung gegen die Elfenbeinküste sein Herz habe entscheiden lassen, wurde er gefragt. Ja, es sei eine Herzensentscheidung gewesen, sagte Tah, und man kann ihm nur wünschen, dass er derartige Fragen nicht mehr allzu oft beantworten muss.
Im DFB denkt man derweil darüber nach, wie man konkurrierende Nationalverbände zur Kasse bitten könnte, wenn sie Spieler aufbieten, die zuvor für deutsche Jugendauswahlteams gespielt haben. „Wir prüfen derzeit, ob es die Chance auf Ausbildungsentschädigungen beim Nationalverbandswechsel gibt“, meinte jüngst DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig dazu, der kein Verständnis hat für einen Verbandswechsel „zum Nulltarif“.
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