Neuer New Yorker Bürgermeister: Messias Mamdani
Die Anhänger von Zohran Mamdani hoffen nicht weniger, als dass er die Demokratie rettet. Aber was ist mit denen, die die Euphorie kaltlässt?
U m kurz nach halb zehn hat Zohran Kwame Mamdani – Bürgermeisterkandidat der Demokraten, Sozialist, Muslim, einst Underdog – es geschafftt: Er ist das neue politische Oberhaupt der größten Stadt der Vereinigten Staaten. Einer 8,5 Millionen Einwohner zählenden Weltmetropole und der hassgeliebten Heimat von Chaospräsident Donald Trump.
Das heißt, die Mehrheit der New Yorker hält Zohran, wie sie ihn hier brüderlich nennen, für ihren Heilsbringer. Für einen, der zusammenschweißt und ihr New York wieder bezahlbar macht – vielleicht sogar das ganze Land. Aber wer in der Wahlnacht durch New York zieht, der trifft auch auf jene, die die Mamdani-Euphorie kalt lässt. Die sich sogar fürchten vor all dem, was er jetzt umsetzen könnte.
Einige Stunden zuvor. Wir befinden uns vor dem Littlefield, einem queeren Musik- und Comedy-Club in Brooklyn, dem Bezirk mit der höchsten Dichte an Mamdani-Unterstützern. Zur Wahlparty eingeladen haben die HotGirls4Zohran und die Creators4Zohran – zwei der vielen Gruppen von Freiwilligen, die Mamdanis offizielle Wahlkampagne in ein popkulturelles Spektakel verwandelt haben. Der Laden ist ausverkauft.
Mamdanis Anhänger: jung, schrill, bunt
Die meisten der Partybesucher sind jünger als ihr 34-jähriger Polit-Star Mamdani. Fast jeder trägt bunte Buttons oder T-Shirts im blau-orangenfarbenen Design der Zohran-Kampagne. Darauf zu lesen: „Queers for Zohran“, „Educators for Zohran“ oder schlicht die griffigen Slogans von Mamdanis Wahlkampf: „Miete einfrieren. Schnelle Busse umsonst. Besteuert die Reichen. Bezahlbare Wohnungen.“
Kaif Kabir, Gründer der HotGirls4Zohran
Drinnen wartet Kaif Kabir. Der Comedy-Autor – Anfang dreißig, kurzgeschnittener schwarzer Bart, ein pinkes HotGirls4Zohran-Shirt – hat die gleichnamige Gruppe im März 2025 zusammen mit seiner guten Freundin, der Show-Produzentin Cait Camelia, gegründet. „Ich habe Cait ein Video gezeigt, in dem Zohran lautstark dagegen protestiert, dass Mahmoud Khalil deportiert wird“, erzählt Kabir und spielt auf ein Ereignis an, das viele junge Linke und Liberale als Kampfansage der Trump-Regierung verstanden haben: Der syrisch-palästinensische Aktivist und Student Khalil sollte im vergangenen März wegen seiner führenden Rolle bei der antiisraelischen Besetzung der Columbia University und seiner möglichen Unterstützung für die islamistische Terrororganisation Hamas abgeschoben werden.
Nach diesem Video seien Kaif und Cait auf die Idee gekommen, die HotGirls4Zohran ins Leben zu rufen. Sie eröffneten einen Instagram-Account und entwarfen T-Shirts, mit deren Verkauf sie Mamdanis Kampagne finanziell unterstützen wollten. Doch da durfte Zohrans Wahlkampfteam schon keine Spendengelder mehr annehmen – zu viele Anhänger waren Kaif und Cait zuvorgekommen.
Die T-Shirts verschenkten sie dann an Influencer. Für Social Media drehten Kaif und Cait kurze Comedy-Clips und schickten ihre knapp 15.000 Follower auf die Straßen, um mit dem „Canvassing“, dem urdemokratischen Klinkenputzen, für den bahnbrechenden Unterschied im New Yorker Kampagnenkampf zu sorgen.
Der Hoffnungsträger
Aber warum die Mühe? „Zohran hat uns die Hoffnung zurückgegeben“, sagt Kaif. „Wir in den USA rutschen gerade in den Faschismus ab.“ Vor der in Regenbogenfarben gehüllten Bühne des Comedy-Clubs stehen vier Frauen und ein Mann – jung, bildschön und multitalentierte Lifestyle-Influencer mit großer Reichweite. Sie nennen sich: „Creators4Zohran“. Als ich die Gruppe frage, wie sie sich fühlen, fangen zwei einfach an zu tanzen: „Wir viben!“ Einer lächelt erleichtert und sagt: „Ich bin optimistisch – endlich wieder optimistisch.“
Dann beginnt die Bühnenshow. Ein identitätspolitischer Kalauer jagt den nächsten, der Moderator, ein Stand-up-Comedian und trans Mann reißt Witze über den Ekelgrabscher Trump, den Mamdani-Konkurrenten Andrew Cuomo und Woody Allen, dazwischen Bekenntnisse anderer Rednerinnen: „Ich bin eine Dragdyke für Zohran“; „Ich bin Sozialistin“; „Ich war eine arbeitslose Lesbe aus dem East Village, aber jetzt bin ich Politstrategin für Zohran“.
Es herrscht eine Stimmung wie bei einem Pub-Crawl. Applaus und Johlen gibt es für alles und jeden. Besonders aber für zwei Slogans: „Free Palestine!“ und „Get AIPAC out of the City!“ AIPAC ist die größte proisraelische Lobbyorganisation der USA. Mit New Yorker Lokalpolitik hat die zwar wenig zu tun. Trotzdem bewegt dieser Slogan hier mehr als das legendäre „Tax the Rich!“.
Worum geht es den hier versammelten Anhängern von Mamdani also wirklich? „Radikale Hoffnung“, haucht Cait Camelia auf der Bühne ins Mikrofon. „Selfempowerment“, das kulturelle Momentum, der „Purpose“, wie man von vielen hört. Klar, alle hier haben Trump und seine Alltagstorturen im Hinterkopf. In einem Kampagnenvideo der „Hot Girls“, das auf der Leinwand abgespielt wird, ist von einem „Gefühl der Ohnmacht“ die Rede.
Der Erlöser?
Überwunden habe man das, so heißt es dort weiter, dank Mamdanis Kampagne. Vieles auf der Bühne klingt nach Offenbarung und Ersatzreligion. Zohran Mamdani der Erlöser? Die letzte Rednerin sagt es so: „Es geht nicht um die Person, sondern um die Bewegung.“
Und trotzdem verlassen Kaif und Cait, die beiden Party-Hosts, Punkt 21 Uhr das Littlefield, um zu Zohrans offzieller Wahlparty zu fahren. Mitkommen kann niemand, die Gästeliste ist voll.
Ich ziehe weiter. Bei den Democratic Socialists, Mamdanis ideologischer Homebase, will ich die ersten Hochrechnungen erleben. Mein Plan scheitert. Die Schlange vor dem Brooklyn Masonic Temple, dem Veranstaltungsort der Wahlparty, zieht sich fast zweimal um den Block: 700 Meter gute Laune, es gibt mexikanisches Bier.
Ich steige ins Uber und fahre in Richtung Chinatown, zur nächsten Party. Nach drei Blocks bleibe ich im dichten New Yorker Nachtverkehr stecken. Plötzlich höre ich laute Schreie, schaue aus dem Fenster und sehe: ihn! Messias Mamdani. Aus einem schwarzen Jeep mit getönten Fenstern steigt er aus, seine zum Lächeln gebleckten Zähne glänzen im Blitzlicht, um ihn herum jubeln Jung und Alt, hippe GenZs und beseelte Boomer. Erst jetzt checke ich, dass der Stau mich vor das Paramount Theatre gespült hat. Dorthin, wo Mamdani in wenigen Minuten seinen Sieg feiern wird.
Der Uber-Fahrer wählt nicht
„Ah“, sagt der Uber-Fahrer in dem Moment, „das ist doch dieser Mamdani-Typ!“ Ich frage, ob er ihn gewählt habe. „Gewählt? Ich wähle nicht“, erklärt er mir. „Politiker reden nur, New York ist schon Chaos genug, daran wird auch dieser Politiker nichts ändern.“ Mein Uber-Fahrer heißt Chaillou Abbas. Er lenkt sein Toyota-Schlachtschiff mit großem Bedacht durch die engen Staugassen. Vor 25 Jahren sei er aus Guinea-Bissau, aus Westafrika, in die USA eingewandert. Aus seinem dunklen Bart stechen einige graue Haare hervor.
Sein Sohn studiere jetzt in Michigan Ingenieurwesen, erzählt er, seine Tochter Finanzpolitik in Harvard. Beide auf Stipendium. „Und weißt du was?“, fragt er mich und tippt auf seinem Handy herum: „Mein Sohn hat Mamdani gewählt.“ Als Beweis zeigt mir Chaillou die Nachricht seines Sohnes auf dem Handy. „Aber mein Sohn kann das auch, so einen Politiker wählen, der geht ja aufs College.“
An meinem nächsten Ziel angekommen, verabschiedet sich Chaillou, ich laufe zu einer unbeholfen verbarrikadierten Holztür. Hier soll die Wahlparty von The Free Press stattfinden, einer Medienplattform von mehrheitlich jüdischen Diskursdissidenten. Ein alter Mann öffnet die Tür und bittet mich herein.
Zusammen mit einigen anderen, genauso irritierten Partygästen fahre ich im Schneckentempo mit dem klapprigen Aufzug in den sechsten Stock. Während der Fahrt regt sich der alte Mann nicht etwa über die Langsamkeit seines Aufzugs auf, sondern über die unbezahlbar hohen Mieten in New York. Die meisten Anwesenden stimmen kopfnickend zu.
In der Bar im sechsten Stock ist die Stimmung entspannt. Die Wahlergebnisse wurden noch nicht verkündet. Vor der Leinwand sind einige der blau-orangen Zohran-T-Shirts zu erkennen, auf Klappstühlen liegen leere Pizza-Kartons. Dann ist es so weit: Wo gerade noch die Gesichter der drei Kandidaten – Sliwa, Cuomo und Mamdani – zu sehen waren, strahlt jetzt das triumphierende Siegerlächeln Mamdanis von der Leinwand. Überraschend viele im Publikum springen begeistert auf, andere wenden sich genervt ab, greifen zum Telefon oder tippen aufgekratzt auf ihren Displays herum.
Jüdinnen enttäuscht
Die junge Frau vor mir – Korkenzieherlocken, cooler Businessanzug – dreht sich um: „Ich brauche einen Shot, ihr auch?“ Sie heißt Aliza, ist Jüdin, wie viele hier, hat in Israel gelebt und war Teil der Kampagne von Andrew Cuomo, der zwar Mitglied der Demokraten ist, im Wahlkampf um den Bürgermeisterposten aber als unabhängiger Kandidat antrat.
Auf dem Weg zur Bar frage ich sie, ob sie New Yorkerin sei. „Ja“, antwortet sie, „das heißt, eigentlich schäme ich mich jetzt, zu sagen, ich bin New Yorkerin. Vielleicht muss ich wegziehen.“ Was genau sie damit meint, zeigt sich einen Moment später, als wir die Wodka-Shots bestellen. Alizas Handy klingelt, ihre Mutter ruft an. Den Tränen nah schreit die in den Hörer: „Ich will nicht nach Europa ziehen müssen!“
Zohran Mamdani hatte in den vergangenen Monaten scharfe Kritik an der israelischen Politik geübt – und die teilweise mit Rufen nach einer Intifada verbunden, historisch dem Mord an israelischen Zivilisten. New Yorker Rabbis warnten, er sei eine Gefahr, andere stellten sich schützend vor ihn. Aber ist Mamdani wirklich so schlimm für Juden in New York, diesem Jiddischland des Westens? Aliza meint, ja.
Deshalb habe sie auch Cuomo unterstützt. „Immerhin entscheidet Mamdani ab morgen darüber, ob jüdische Veranstaltungen und Synagogen den Polizeischutz bekommen, den sie dringend brauchen.“ Und es stimmt, keine Minderheit wird in New York so oft und offen auf der Straße attackiert, wie Juden.
Bedrückte Stimmung im Aufzug
Die meisten verlassen die Party, auch ich. Im Aufzug nach unten fragt ein großgewachsener Republikaner mit lieben Augen, sein Name ist Gabes, in die Runde: „Seid ihr glücklich oder traurig?“ Fast niemand, den Gabes gefragt hat, darf in New York wählen. Bedrückt scheint aber fast jeder hier zu sein.
Draußen dann, vor der klapprigen Holztür, haben sich kleine Gruppen gebildet. Auf dem Bordstein sitzend wird weiter diskutiert: „Ist Mamdani nur ein Dschihadist mit freundlichem Lächeln?“; „Wird New York jetzt so sein wie Bagdad in den 1930ern? Oder wie Teheran vor der islamischen Revolution?“; „Ist Zohran vielleicht ein linker Trump?“. Von der Seite kommt eine lethargisch-belustigte Antwort: „Nah, er ist viel kleiner als das. Er ist eine Projektion seiner Wähler, kein böses Mastermind.“
Die Antwort kommt von Tom, einer israelischen trans Frau, die in New York lebt. Ihre Begleiterin, eine Columbia-Studentin, auch sie ist aus Israel, ergänzt: „Und seine Bewegung rennt jedem Trend hinterher. Und wegen Trumps Bullshit-Politik ist es eben gerade dieser blinde Hype-Optimismus.“
Auf zu meiner letzten Station des Abends, noch mal zum Freimaurertempel in Brooklyn, wo die Democratic Socialists feiern. Es ist kurz nach Mitternacht. Im Tempel tobt die Party. Als ich den gigantisch hohen Ballsaal betrete, liegen sich rotwangige Sozialisten in den Armen.
Geschafft
Zu Frank Sinatras „New York, New York“ tanzen sie untergehakt Polka und ballen kampfbereit die Fäuste, als aus den Lautsprechern der Techno-Protestsong „Fuck Trump“ schallt. Auf der Empore knutschen Millennial-Männer mit Gen-Z-Girlies; der Barkeeper, ein oberkörperfreier Punk, drückt mir drei kalte Bierdosen in die Hand: „Teilen, teilen, teilen!“
Dann ist Schluss, zumindest offiziell. Vor der Tür versammeln sich neue Partygruppen, sie wollen weiterziehen – vielleicht, so hoffen sie, treffen sie Zohran irgendwo. Auf der Straße dreht ein junger Mann auf einem Leihfahrrad seine Runden. In der Hand hält er ein Mamdani-Schild, mit jeder Runde schreit er: „Wir haben’s geschaaaaafft!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert