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Feministische Folklore aus KatalonienFrauen, die den Teufel umarmen

Der neue Roman der katalanischen Autorin Irene Solá tanzt durch die Jahrhunderte – widerspenstig, vulgär und zugleich poetisch.

Ein geronnener Teich des Vergessens: Käse aus frischer Ziegenmilch Foto: Tolga Ildun/imago

Von

Amelie Sittenauer aus Leipzig

Wie eine Szene aus einem spätmittelalterlichen Gemälde erscheint der Roman von Irene Solà. Durch Schleier der Vergangenheit zieht er hinein in eine Welt satter Farben und im Feuerschein verzerrter Körper: Frauen ringen in den katalanischen Bergen mit sich, dem Leben und der Unterwelt.

Buchcover von „Ich gab dir Augen, und du blicktest in die Finsternis“

Irene Solà: „Ich gab dir Augen, und du blicktest in die Finsternis“. Aus dem Katalanischen von Petra Zickmann. S. Fischer, Frankfurt am Main 2025, 256 Seiten, 24 Euro

Für die Hinwendung zum Teufel ist Joana verantwortlich. Die Urmutter begeht die Erbsünde, als sie einen Pakt mit dem Dämon schließt, um einen Mann zu finden. Doch weil das Einlassen mit dem Teufel einen Preis hat – „der zu hoch ist, immer“, wie sie sagt –, fehlt all ihren Nachkommen etwas: die Zunge, ein Stück des Herzens, ein Ohr oder das Gedächtnis.

Joana, ihre Tochter Margarida und ihre Tochterstöchter bilden deshalb einen ungewöhnlichen Haufen in diesem Haus in Mas Cavill, in dem Männer nie lange und Frauen ewig bleiben, ob tot oder lebendig. Gegen alle Widrigkeiten erhalten sie ihr abtrünniges Matriarchat an diesem von der Welt vergessenen Fleck. Sie gackern, fauchen, furzen und gebären, haben Sex mit Tieren und Teufeln, unerschrocken und vulgär umarmen sie das Abnormale, das vermeintlich Böse, das Animalische.

Altertümlich und zeitgenössisch zugleich

Mit ihrer Verknüpfung von feministischer Mythologie, katalanischer Folklore und magischem Realismus erschafft Solà etwas Originelles, altertümlich und zugleich ins Heute ragend. Sie wandelt durch die Zeit, verschiebt Gegenwarten innerhalb weniger Sätze und erzeugt feine Gleichzeitigkeiten zwischen Figuren, die Jahrhunderte trennen.

Sie wandelt durch die Zeit, verschiebt Gegenwarten innerhalb weniger Sätze und erzeugt feine Gleichzeitigkeiten zwischen Figuren, die Jahrhunderte trennen.

Ihre Prosa wechselt zwischen sanften Beschreibungen und ernsten Parataxen, macht Gewöhnliches poetisch, etwa an der Stelle, als Bernadeta Käse herstellt: „In aller Stille, ohne dass man es mitbekam, verwandelte sich die Milch in eine feste Masse, kompakt und seidig, die Bernadeta zerschnitt. Anschließend tauchte sie die Arme in dieses trübe Blut, lau wie Brühe und weiß statt rot. Ein geronnener Teich des Vergessens, in dem sich die Hände verloren, bis die Formen gefüllt wurden. Danach triefte alles.“

260 Seiten reichen aus, um von diesen surrealen Existenzen erfasst zu werden. Wie die Vergangenheit nur durch ein paar Sätze von der Gegenwart getrennt ist, scheinen es auch die Frauen von den Lesenden zu sein. Gar glaubt man, sie kichern und gackern zu hören.

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