Ghostwriting vor Gericht: Von allen guten Geistern verlassen
Eine Doktorandin zahlt 16.900 Euro an einen Ghostwriter, findet seine Arbeit aber mangelhaft. Doch das Geld zurückzubekommen ist nicht so einfach.
Drei Jahre lang hatte sie schon an ihrem Promotionsprojekt gearbeitet, Hunderte Interviews mit Schülerinnen vom Berufskolleg geführt und transkribiert. Es sollte um deren Motive für das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gehen und um die Frage, inwiefern familiäre und sonstige soziale Netze ihnen dabei helfen oder sie behindern.
Das Promotionsprojekt hatte ihr die Professorin angeboten, für die sie bereits im Bachelorstudium gearbeitet hatte. Für ihren Master war sie eigentlich weggezogen, doch dafür zog sie zurück nach Nordrhein-Westfalen. Abgesichert wurde das umfangreiche Vorhaben nur leider nicht durch eine Assistentenstelle an der Uni.
Hatice A. musste sich mit einem Werkvertrag als studentische Mitarbeiterin begnügen, wenige Stunden pro Woche, wie sie sagt. Nebenbei arbeitete sie in Teilzeit in der Kreisverwaltung. Und so langsam lief ihr die Zeit davon. Sie fühlte sich nicht in der Lage, die Berge an Material allein zu bewältigen.
Das Komplettpaket bei smartghostwriters.com
Also suchte sie im Netz nach Hilfe – und fand die smartghostwriters.com. Man wurde sich schnell einig. Ein Herr Dr. Breuer freue sich, sie bei ihrer Dissertation zu begleiten. Hatice A. kaufte das Komplettpaket. 2.500 Euro für eine nicht näher beschriebene Auswertung und 120 Euro für jede geschriebene Seite. Fünf Monate später lieferte die Agentur 130 Seiten, ordentlich formatiert und gegliedert, mit Inhalts- und Literaturverzeichnis.
Doch die junge Doktorandin war nicht zufrieden. Mehrfach schrieb sie die Agentur an, bat um Nachbesserungen. Immerhin hatte sie für dieses Werk insgesamt 16.900 Euro bezahlt, eine Menge an eigenem Material inklusive Literaturliste geliefert, die gewünschte Stoßrichtung und Struktur genau abgesprochen.
„Ich hatte den Eindruck, da wurden haufenweise selbst erstellte Tabellen in den Text gepackt, die nur dazu dienten, Seiten vollzumachen.“ Doch weder der Autor noch die Agentur reagierten auf ihre Mails. Hatice A. setzte eine Frist. Keine Reaktion. Sie ging zum Anwalt. Der setzte noch eine Frist. Keine Reaktion. Dann klagte sie.
Die Klage landete am Landgericht Lüneburg, in dessen Gerichtsbezirk die Ghostwriting-Agentur ihren Sitz hat. Und wo sich die sehr freundliche Richterin Christina Edinger redlich bemüht, beide Seiten erst einmal zu einer gütlichen Einigung zu bewegen. Doch die Vorstellungen liegen weit auseinander: Die junge Doktorandin möchte eigentlich ihr Geld wieder haben und die Anwaltskosten obendrauf.
Agentur sieht nur kleine Mängel und übliche Konflikte
Die Agentur sieht das gar nicht ein. Über einen Nachlass von 1.000 bis 2.000 Euro ließe seine Mandantin vielleicht mit sich reden, erklärt deren Anwalt Sebastian Geidel.
Und der Mann kennt sich offenbar aus, er hat ein Buch mit dem Titel „Ghostwriter – Die Person hinter den Machern“ im Selbstverlag veröffentlicht. In seinem Autorenprofil auf Amazon steht, er sei selbst ehemaliger Ghostwriter und nun selbstständiger Anwalt im Homeoffice. Auch zur Verhandlung vor der Zivilkammer in Lüneburg ist er per Video zugeschaltet.
Seine Argumentation: Die Arbeit sei gar nicht mangelhaft oder allenfalls geringfügig mangelhaft. Das seien vielmehr die üblichen Missverständnisse zwischen einer Auftraggeberin und einem fremden Autor.
In seiner Klageerwiderung hat er allerdings noch einen anderen Punkt gemacht, den das Gericht jetzt auch hervorhebt: Der Werkvertrag sei ja möglicherweise sittenwidrig und von daher nichtig – dann müsse man sich über die Qualität der Arbeit vor Gericht auch nicht mehr lange streiten.
Das, erklärt die Richterin der Klägerin, bedeutet im Übrigen auch nicht unbedingt, dass sie ihr Geld zurückbekomme. Wenn sich beide Seiten auf ein sittenwidriges Geschäft eingelassen haben, dann bleibt das Geld, wo es nun einmal gelandet ist – niemand kann etwas einklagen, es kann aber auch niemand etwas zurückfordern. So will es der Paragraph 817 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Sittenwidrig oder nicht?
Ob der Werkvertrag sittenwidrig ist oder nicht, hängt aber vom Einzelfall ab, referiert die Richterin weiter. Wenn sich Politiker, Firmenchefs oder Prominente Reden oder gleich ganze Bücher schreiben lassen, ist das in der Regel in Ordnung.
Anders sieht es im universitären Bereich aus: Von Doktoranden wird ein hohes Niveau an eigenständigen wissenschaftlichen Leistungen erwartet, sie müssen bei der Abgabe ihrer Dissertation eine eidesstattliche Versicherung abgeben, dass sie diese selbst verfasst haben. Das dürfte, nicht zuletzt dank der zahlreichen Plagiatsskandale der vergangenen Jahre, auch jedem klar sein.
Insofern, sagt Richterin Edinger, müsse sich die Klägerin schon vorhalten lassen, dass in den E-Mails, die zwischen ihr und der Agentur hin- und hergingen, verdächtig oft von der Dissertation oder ihrem Dissertationsprojekt die Rede ist.
Es gibt allerdings auch hier eine kleine Grauzone. Bei Hilfsarbeiten, also dem Zusammentragen von Material, dem Lektorat, der Beratung, sogar beim Anfertigen von Entwürfen ist oft nicht so ganz klar, wo die Grenze überschritten ist und eine Arbeit nicht mehr als selbst verfasst gilt.
Und genau solche Hilfstätigkeiten, versichert der Anwalt der Klägerin, Tobias Kiwitt, habe seine Mandantin ja einkaufen wollen. Keineswegs sollte die Arbeit 1:1 so eingereicht werden wie von der Agentur geliefert.
Die Agenturen sind eigentlich immer fein raus
Das entspricht allerdings auch dem rhetorischen Schlupfloch, dass sich diese Agenturen in der Regel offen halten. Die sind mit ihrem Geschäftsmodell eigentlich immer fein raus: Denn Anbieten der Dienstleistung an sich ist nicht strafbar.
Und wenn irgendetwas schiefgeht, ist ihr Kunde der Gelackmeierte – sein Geld sieht der in der Regel nicht wieder, das wissenschaftliche Fehlverhalten muss er sich außerdem vorwerfen lassen, ist seinen guten Ruf und unter Umständen auch den Titel los.
Dieses Risiko sei ihr bewusst, sagt Hatice A. am Rande der Verhandlung, mit dem Promotionsvorhaben habe sie mehr oder weniger abgeschlossen. Aber es könne doch auch nicht sein, dass die damit immer durchkommen.
Ob in diesem Fall die smartghostwriter.com wirklich damit durchkommen, muss sich erst noch zeigen. Die Richterin hat ihre Entscheidung für den 11. November angekündigt – es sei denn, die beiden Streitparteien einigen sich vorher doch noch.
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