Neue Verfassungsrichter:innen: Linke stellt ihren Abgeordneten Wahl frei
Die Linke stellt ihren Bundestagsabgeordneten frei, ob sie für die drei Kandidat:innen stimmen. Die Oppositionspartei steht vor einem Dilemma.

„Das Bundesverfassungsgericht ist eine wichtige demokratische Institution, die nicht beschädigt werden darf“, begründete Heidi Reichinnek die am Montagnachmittag getroffene Entscheidung der Linksfraktion, die von der rot-grünen Koalition vorgeschlagenen Kandidat:innen nicht geschlossen abzulehnen.
Sie hätte sich darauf verständigt, dass die Abgeordneten „jeweils für sich entscheiden, wie sie sich bei der Wahl verhalten“, teilte Reichinnek mit. Im Klartext bedeutet das: Sowohl die beiden von der SPD ins Rennen geschickten Kandidatinnen Ann-Katrin Kaufhold und Sigrid Emmenegger als auch der von der Union nominierte Günter Spinner können damit rechnen, ausreichend Stimmen aus der Linksfraktion zu erhalten, um mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit gewählt zu werden. Die Grünen, deren Stimmen ebenfalls erforderlich sind, hatten zuvor bereits ihre Zustimmung signalisiert.
Die Linkspartei hat sich schwer getan mit ihrer Haltung zu der Richter:innenwahl. „Ohne Gespräch keine Wahl, das ist ganz einfach“, hatte der Linken-Co-Vorsitzende Jan van Aken noch Anfang Juli vor dem ersten Anlauf öffentlich in Richtung Union kraftmeierisch verkündet.
Union wollte nicht mit Linke sprechen
Linken-Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow bekundete hingegen schon seinerzeit: „Ich werde alle drei Kandidaten und Kandidatinnen wählen, auch den CDU-Kandidaten Spinner.“ Daraus wurde jedoch bekanntlich erst mal nichts, weil die Wahl aufgrund der Widerstände in der Union gegen die damalige SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf abgesetzt werden musste.
Unter Verweis auf ihren Unvereinbarkeitsbeschluss hat sich an der Ablehnung der Union, Gespräche mit der Linken über die Richter:innenwahl zu führen, seitdem nichts geändert. Stattdessen beschränken sich CDU und CSU einerseits darauf, an die „staatspolitische Verantwortung der Linken“ zu appelieren – während man sie andererseits, wie Unionsfraktionschef Jens Spahn noch am Sonntag in der Sendung „Caren Miosga“, als „radikalpopulistisch“ beschimpft.
„Keine Gespräche weil: Die Linke ist eine Partei in der es extreme Gruppierungen gibt, weil die Linke ein anderes System will, Sozialismus, das ist nicht soziale Marktwirtschaft und da haben wir fundamentale Unterschiede und deswegen wird's da keine Zusammenarbeit geben“, gsagte Spahn.
Die schroffe Haltung der Union hat der Linkspartei ein Dilemma beschert. Soll sie deswegen aus Prinzip zumindest gegen den CDU-Kandidaten Spinner stimmen, obwohl es gegen ihn als Person keine grundsätzlichen Einwände gibt?
„Rumgeeier und Verantwortungslosigkeit der Union“
Das würde riskieren, dass der derzeitige Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht entweder nicht gewählt würde oder nur dank der Stimmen der AfD ins Amt käme, was ihn und seine Funktion massiv beschädigen würde. Aber kann die Linksfraktion Spinner deshalb einfach mitwählen und damit dafür sorgen, dass das selbstherrliche Kalkül der Union aufgeht?
Darüber wurde in den vergangenen Wochen heftig hinter den Kulissen diskutiert. „Das Rumgeeier und die Verantwortungslosigkeit der Union wurden von uns immer wieder neu bewertet“, formuliert es die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner diplomatisch. „Sowohl in der Parteiführung als auch in der Fraktion haben wir uns dazu regelmäßig ausgetauscht.“
Tatsächlich war die Parteispitze um Schwerdtner und van Aken für eine harte Haltung. So fasste der geschäftsführende Vorstand in diesem Monat den Beschluss, die Bundestagsfraktion solle gegen Spinner stimmen, wenn die Union ihre Position nicht revidiert. Damit stieß er jedoch auf Widerstand in der Fraktion.
Am Montag gab der Vorstand klein bei. „Dass unsere Abgeordneten frei entscheiden, haben wir gemeinsam beschlossen“, sagte Schwerdtner am Dienstag der taz über den gesichtswahrenden Kompromiss. „Wir sind gemeinsam der Ansicht, dass wir nicht tatenlos zusehen werden, wie die Union das Gericht zur Bühne ihrer Kulturkämpfe und machtpolitischen Spiele macht.“
Seltene Geschlossenheit
Am Dienstag lehnten die Linken gemeinsam mit den anderen demokratischen Bundestagsfraktionen den Antrag der AfD ab, die Verfassungsricher:innenwahl von der Tagesordnung am Donnerstag abzusetzen. Die Wahl der höchsten Richter des Staates in einer Haushaltswoche unterzuschieben, gehöre sich nicht, hatte ihn der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion Bernd Baumann begründet.
Worum es ihm eigentlich ging, konnte er sich nicht verkneifen nachzuschieben, obwohl es in der Geschäftsordnungsdebatte explizit nicht um Personen gehen sollte: „Wer Unternehmen verstaatlichen, Klimapolitik erzwingen und die AfD verbieten will, darf niemals Verfassungsrichter werden.“ Das zielte auf die SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold, die seit Monaten unter Rechtsaußenbeschuss steht.
In seltener Geschlossenheit hielten CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke dagegen. Der AfD ginge es nur darum parlamentarische Prozesse zu blockieren, den Bundestag als handlungsunfähig vorzuführen und die „Axt an den Rechtsstaat zu legen“, lasen sie ihr unisono die Leviten. „Wir wollen definitiv, dass die Wahl zum Bundesverfassungsgericht in dieser Woche stattfindet“, sagte auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, Ina Latendorf. Deshalb stimme man der Tagesordnung zu – „auch wenn niemand mit uns geredet hat“.
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