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Berlin Art WeekEs schmeckt nach Salz und Algorithmus

Die Stadt ist voller Kunstevents, die Gedanken sind voller Widersprüche und das richtige Leben fühlt sich manchmal recht falsch an. Ob Mittagessen hilft?

Berlin Art Week – Kunst überall, auch in Reinickendorf Foto: Jürgen Ritter/imago

A m Vorabend hatte sich die Nacht früh über den Rosa-Luxemburg-Platz gesenkt. Schon am Nachmittag war eine endlose Dämmerung angebrochen, deren blaue Kälte in jede Kleidungsfalte kroch und die Menschen so merkwürdig verlangsamte, als seien sie Insekten. In der Bar 3 hatte MS fast beschämt von seinem späten, dafür nun umso gigantischeren Erfolg als Künstler erzählt, ein grimmig aussehender Mann mit tätowiertem Schädel hatte daneben Orangensaft getrunken und ungewöhnlich junge Menschen beim Ausüben klassischer Choreografien erster Onlinedates beobachtet.

Nachts lag trotz Art Week Mitte still da, die Galerien geschlossen, die Openings gefeiert, der Sekt getrunken. Nur bei Anton Janizewski leuchtete die Malerei warm auf den Bürgersteig. Ich hatte sie argwöhnisch betrachtet, ebenso wie die Skulpturen schlafender Kinder der so oft so fantastischen Andrea Fraser, die sie bei Nagel Draxler in gläserne Särge gelegt hatte und von denen ich auf dem Heimweg gehofft hatte, dass die zugehörige Soundarbeit, auf die die Kopfhörer an der Wand schließen ließen, sie besser gemacht hätten, als es mir nun, mitten in der Nacht mit süffig-warmem Hirn und klammen Fingern vor der Ladenfront erschienen war.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich rausfinden will, was in der Galerie auf den Kopfhörern läuft, denke ich, als ich am Sonntag in der Schlange eines internationalen Lunch-Orts in einem Kreuzberger Hinterhof sowohl auf MK warte als auch darauf, dass uns ein Platz am Tresen angeboten wird. Seit wann gibt es solche Läden hier? Seit wann gehe ich sonntags lunchen? Seit wann fühlt sich sogar Mittagessen wie eine richtige Entscheidung im falschen Leben an?

Ich lasse mich auf einen wirklich blöden Barhocker fallen und beobachte die angenehm exzentrischen Mitarbeiter in ihrer komplett nachvollziehbaren sonntäglichen schlechten Laune. Mit ihnen teile ich die Augenringe, mit MK enge Vertrautheit, ein Thunfischsandwich und Salat. Es schmeckt nach Salz und Algorithmus.

Ein paar Blöcke weiter haben die Künstlerinnen Sophia Süßmilch und Cathrin Hoffmann eine Remise mit Kunst vollkuratiert. Ich entdecke Fantastisches (Felix Deiters), Bekanntes (Selma Selman, Christian Jankowski), Egozentriertes (eigene Arbeiten der Kuratorinnen), Befreundetes (Charlie Stein) und Befremdliches (lieber keine Namen nennen).

Das Konzept verdeckt einige Werke hinter Tüchern, ein Hinweis auf das Verschwinden, das Verdrängen, das Unsichtbarmachen der Künst­le­r:in­nen in der Stadt. Es ist ein gut gemeintes Konzept, trotzdem möchte ich die Arbeiten lieber sehen, das ganze wirkt ein bisschen arg konstruiert und kontraintuitiv in einer Schau, die „Maximal“ heißt und ruhig noch viel voller hätte sein können. Oder demokratischer.

Zu dem gehören, gegen das man ist

Oder dann zumindest nicht Teil des offiziellen Art Week-Programms, man kann doch nicht dagegen sein, wenn man dazu gehört. Andererseits gehöre ich ja auch zu vielem, gegen das ich bin. Und irgendwie ist man ja auch für die Art Week und nur gegen den Kommerz der Stadt, auch wenn sich das bedingt oder irgendwie anders, ich bin unzufrieden, aber vielleicht auch einfach mit der Gegenwart oder mit dem Schnittlauch im Bauch. In jedem Fall trifft die Nörgelei hier die Falschen. Das ist spätestens dann klar, als ein charmanter Jüngling mich vor dem Ausstellungsraum dazu überredet, meine Unterschrift für eine Petition herzugeben.

Es gehe darum, den Ballermann als immaterielles Kulturerbe in die Liste der Unesco aufzunehmen. Schließlich hätte Spanien die Berliner Technokultur gekriegt, feixt er breit unter seinem Anglerhut auf dem in deutschen Farben die Lettern „Weltkulturensohn“ prangen. Ich bin ein bisschen getröstet vom fernen Geist Schlingensiefs, der in seinen Augen zu glitzern scheint. Und so lange, wie der noch irgendwo in den enger werdenden Berliner Hinterhöfen spukt, sind Stadt und Gegenwart vielleicht doch nicht maximal verloren.

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Hilka Dirks
Redakteurin Berlinkultur
Redakteurin für Berlinkultur, freie Autorin und Grafikerin. Studierte Erziehungswissenschaften, Philosophie, visuelle Kommunikation und Grafikdesign in Berlin und promoviert an der UdK Berlin. Organisiert unregelmäßig Veranstaltungen im Bereich Kunst und Literatur.

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