Gescheitertes UN-Plastikabkommen: Viele Beteiligte wollen weiterverhandeln
Ölstaaten haben einen Pakt gegen die Kunststoffkrise blockiert. Der Frust ist bei vielen Beteiligten groß – aber auch der Wunsch, weiterzuverhandeln.

Deutschland trage dabei eine besondere Verantwortung, „weil hierzulande mit rund 18 Millionen Tonnen die EU-weit größte Menge an Verpackungsmüll verursacht wird“, so die DUH. Umweltminister Carsten Schneider (SPD) müsse Mehrwegverpackungen durch eine Abgabe von mindestens 20 Cent auf Einweg-Getränkeverpackungen und Plastikflaschen sowie 50 Cent auf Einweg-Takeaway-Verpackungen fördern.
Die Verhandlungen der 180 beteiligten Staaten über ein UN-Plastikabkommen waren am Freitagmorgen ohne eine Einigung zu Ende gegangen. Die „Sitzung wird vertagt und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt“, sagte der Konferenzvorsitzende am Freitagmorgen, nachdem die ganze Nacht durchverhandelt worden war.
Ein Datum für neue Verhandlungen nannte er nicht. Zu diesem Zeitpunkt ist das auch noch verfrüht. Der letzte in der Nacht zum Freitag vorgelegte Kompromisstext hatte nach zehn Tagen intensiver Verhandlungen noch mehr als hundert zu klärende Punkte enthalten.
Das Scheitern des Abkommens habe „gravierende Folgen“, teilte der Umweltverband BUND mit: „Bis 2060 müssen wir mit einer Verdreifachung der Plastikproduktion rechnen“. Dann werde „weniger als ein Fünftel des Materials recycelt werden können“, so der BUND. „Die über 4.200 problematischen Zusatzstoffe, die in Plastik stecken, werden weiter unsere Gesundheit bedrohen und können Krebs erzeugen oder die Fruchtbarkeit einschränken“.
In Genf sei eine Lösung „konsequent von der Öl- und Gasindustrie blockiert“ worden, sagte Moritz Jäger-Roschko, Plastikexperte von Greenpeace. Aber kein Abkommen sei besser als ein schlechtes Abkommen. Er hoffe nun auf eine „weitere Verhandlungsrunde, die den Weg für ein ambitioniertes Plastikabkommen ebnet“,
„Es lohnt sich, weiterzuverhandeln“
Das Scheitern sei „enttäuschend“, aber „es lohnt es sich, weiterzuverhandeln“, erklärte Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. „Unterschiedlichen Interessen“ hätten auch in dieser sechsten UN-Verhandlungsrunde die Einigung erschwert.
„Am einen Ende des Spektrums sind die kleinen Inselstaaten, die mit immenser Plastikverschmutzung an den Küsten und in den Meeren konfrontiert sind, ohne selbst wesentlich zur Verschmutzung beizutragen“, so Flasbarth. Am anderen Ende seien „diejenigen Länder, deren Wirtschaft von Erdöl oder den Ausgangsprodukten für Plastik dominiert wird.“ Auch EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall sagte, Genf habe „eine gute Grundlage“ für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen geschaffen.
Ölförderländer wie Saudi-Arabien, der Iran und Russland liefern den Rohstoff für Plastik, das Öl. Für sie war jede in Genf auch nur angedachte Erwähnung einer Beschränkung der Produktion ein rotes Tuch gewesen. Sie malten dann gerne das Szenario eines Verbots von Plastik an die Wand, obwohl das niemand vorgeschlagen hatte. „Schauen Sie sich um: Wenn hier im Raum alles aus Plastik entfernt würde, säßen die meisten Leute hier praktisch nackt auf dem Boden“, meinte ein Delegierter.
Kein Plastikabkommen komme einer „ökologischen Katastrophe“ gleich, sagte Henning Wilts, Kreislaufwirtschaftsexperte vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Ohne einen geeigneten globalen Rahmen werde es „nicht dazu kommen, Investitionen in Richtung einer nachhaltigeren Nutzung von Plastik zu lenken. Stattdessen werden wir den prognostizierten Anstieg der Produktionsmengen und damit auch der Abfallmengen sehen, mit denen auch ein verbessertes Recycling nicht Schritt halten können wird“.
Weniger Plastik oder mehr technische Innovationen?
Der letzte Verhandlungsentwurf habe „zwar einige Verbesserungen“ enthalten, erklärte Melanie Bergmann, Meeresökologin vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut. Allerdings habe es die auch „von vielen Unternehmen geforderten klaren, globalen Verpflichtungen in Bezug auf Ausstiegsstrategien, Produktdesign und erweiterte Herstellerverantwortung“ nicht umgesetzt. Der Text sei an vielen Stellen „schwach formuliert“ gewesen, aber immerhin hätten etwa 130 Länder die Maßnahmen unterstützt. Bergmann: „Eine gute Grundlage für weitere Verhandlungen.“
Im vergangenen Dezember waren bereits UN-Gespräche zum Plastik im südkoreanische Busan gescheitert. Diese Gespräche hätten eigentlich bereits die letzte Verhandlungsrunde für ein Plastikabkommen sein sollen. Doch der grundlegende Konflikt bei den Verhandlungen war auch schon damals: Während die eine Seite vor allem darauf setzte, die Produktion von Neuplastik deutlich zu verringern, zielte die andere eher auf technische Innovationen – insbesondere besseres und umfangreicheres Recycling.
Bei der Konferenz in Genf hatten die Unterhändler nun auf einen Durchbruch gehofft. Vergeblich. Auch Fragen der Regulierung der beigemischten Chemikalien oder der Finanzierung des Aufbaus von Recyclingkapazitäten in Entwicklungs- und Schwellenländern konnten nicht gelöst werden.
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