Abschiebung vorerst gestoppt: Atempause für kurdischen Aktivisten
Ein Gericht hat die Abschiebung von Mehmet Çakas in die Türkei in letzter Sekunde gestoppt – vorläufig. Die Bundesregierung schweigt zu dem Fall.

Damit hat das Gericht die Abschiebung aber nur vorläufig gestoppt. Endgültig entscheidet es am 8. September über den Fall des aktuell in Niedersachsen inhaftierten Çakas.
Laut Çakas’ Anwält*innen kam die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg in letzter Sekunde: Mittwoch früh um 6.10 Uhr. Kurz davor hätten Gefängnisbeamte ihrem Mandanten noch mitgeteilt, dass im Laufe des Tages die Vorbereitungen für die Abschiebung begännen. Eine für Mittwoch geplante Kundgebung vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Uelzen, wo Mehmet Çakas inhaftiert ist, haben seine Unterstützer*innen abgesagt.
Çakas war 2024 zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe wegen Unterstützung der trotz ihrer angekündigten Selbstauflösung noch immer verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Deutschland verurteilt worden. Gegen das Betätigungsverbot klagt die PKK, eine Entscheidung steht noch aus. Çakas’ Haftstrafe endet regulär Anfang Oktober.
Gericht will Bekenntnis zu Menschenrechten von Türkei
Seine Schwester Sevcan Çakas klingt am Telefon erleichtert. „Heute ist ein sehr wichtiger Tag für unsere Familie“, sagt sie. Sie habe heute mit ihrem Bruder telefonieren können und ihm die Nachricht überbracht. „Er war sehr glücklich“, sagt Çakas. Sie und zwei Brüder von Mehmet Çakas leben in Hamburg. Die Geschwister sind als Kurd*innen selbst vor politischer Verfolgung aus der Türkei geflohen und haben mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft, anders als ihr von Abschiebung bedrohter Bruder.
Dessen Abschiebung hat das Verwaltungsgericht Lüneburg zwar gestoppt, aber nicht grundsätzlich untersagt. Çakas darf nur abgeschoben werden, fand das Gericht, wenn die Türkei zusichert, dass die ihn dort erwartenden Haftbedingungen menschenrechtlichen Mindeststandards entsprechen.
Sein Anwalt Lukas Bastisch begrüßt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Allerdings hält er die Bedingung für eine Abschiebung, von der Türkei die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern, wie es das Gericht in Lüneburg fordert, für naiv. „Den Zusicherungen der Türkei kann nicht getraut werden“, sagt Bastisch. Ähnliche Zusicherungen gebe die Türkei routinemäßig ab.
In der Türkei erwarten Mehmet Çakas offene Haftbefehle. Die türkischen Behörden werfen ihm einen Verstoß gegen den umstrittenen Anti-Terror-Paragrafen 302 des türkischen Strafgesetzbuchs vor. Ihm droht eine darin vorgesehene „erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe“. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwaltsverein (RAV) spricht von „drohender Folter“.
Menschen, denen Oppositionsarbeit für die PKK vorgeworfen wird, hätten in der Türkei kein faires Verfahren zu erwarten, warnt der Flüchtlingsrat Niedersachsen. Das zeige ein von Pro Asyl in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten aus dem September 2024. Dieses weist nach, dass Strafverfahren in der Türkei, die auf terrorismusbezogenen Vorwürfen basieren, regelmäßig rechtsstaatliche Kriterien unterlaufen.
Der Fall von Mehmet Çakas weist über seine Person hinaus. Davon sind nicht nur seine Anwält*innen überzeugt, sondern auch der RAV, das Komitee für Grundrechte und Demokratie und die außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, Cansu Özdemir. Die geteilte Sorge: Eine Abschiebung könne zum Präzedenzfall für kurdische Oppositionelle in Deutschland werden.
Das Besondere am Fall von Çakas ist, dass er in die Türkei abgeschoben werden soll, obwohl deutsche Behörden schon mal entschieden haben, dass er wegen drohender politischer Verfolgung nicht dahin ausgeliefert werden darf. Seine Anwält*innen und Unterstützer*innen kritisieren, dass die deutsche Bürokratie sich in seinem Fall widerspricht.
Denn Auslieferung und Abschiebung sind zwei unterschiedliche Verfahren. Das Bundesamt für Justiz hat 2023 entschieden, einem Auslieferungsantrag der Türkei für Mehmet Çakas aufgrund von Bedenken hinsichtlich drohender politischer Verfolgung nicht stattzugeben.
Zwei Jahre später hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen Asylantrag von Mehmet Çakas endgültig abgelehnt. Das bedeutet: Er ist zur Ausreise verpflichtet und kann abgeschoben werden.
Im abgelehnten Asylbescheid von Mitte Mai, der der taz vorliegt, erwähnt das Bamf die Entscheidung gegen die Auslieferung von 2023 aber nicht. Die Ablehnung des Asylantrags begründet es mit aufenthaltsrechtlichen Formalia. Eine Klage dagegen war in mehreren Instanzen nicht erfolgreich. Mittlerweile läuft noch eine Beschwerde gegen die Einstellung vor dem Bundesverfassungsgericht.
Cakas’ Anwalt Lukas Bastisch kritisiert, dass die Türkei durch die Entscheidung des Bamf im Ergebnis bekommt, was sie mit dem internationalen Haftbefehl von Deutschland nicht bekommen hat: Mehmet Çakas.
Anhaltende Repression gegen kurdische Opposition
Nach der Selbstauflösung der PKK und einem beginnenden Friedensprozess zwischen Regierung und kurdischer Bewegung geht die Türkei weiter mit Repression gegen kurdische Politiker*innen vor.
Auch vor diesem Hintergrund müsse die Abschiebung von Mehmet Çakas in die Türkei dringend ausgesetzt werden, schreiben seine Unterstützter*innen in einem vergangene Woche veröffentlichten Brief an Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), Außenminister Johann Wadephul (CDU) und den niedersächsischen Ministerpräsidenten Olaf Lies (SPD).
Am vergangenen Freitag hat die Bundesregierung erstmals auf eine Anfrage der Abgeordneten Özdemir zum Fall geantwortet: Sie äußere sich grundsätzlich nicht zu Einzelfällen.
Cansu Özdemir kritisiert das Schweigen der Bundesregierung im Fall von Mehmet Çakas scharf: „Ein Bundesinnenminister, der ein rechtlich derart zweifelhaftes Verhalten unkommentiert lässt, handelt verantwortungslos.“ Nachdem das Verwaltungsgericht Lüneburg die Abschiebung nun vorläufig gestoppt hat, habe die Bundesregierung Zeit gewonnen, um einen Fehler zu korrigieren, sagt Özdemir. „Mehmet Çakas braucht ein faires Asylverfahren.“
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