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Erregungsmaschine XEin falscher Satz, und eine engagierte Grüne muss gehen

Kommentar von Thomas Vogel

Organspende auch an AfD-Mitglieder? Diese Frage, gestellt auf der Plattform X, kostet eine Grünen-Politikerin und Gehörlosen-Aktivistin die Karriere.

Hat sich selbst in die X-Falle begeben: Julia Probst Foto: Daniel Reinhardt/picture alliance/dpa

S ie hat nicht aufgewiegelt, nicht beleidigt, Gott gelästert auch nicht. Julia Probst hat lediglich online eine Frage gestellt, die sie selbst sehr bald als toxisch erkannte und zurücknahm. Doch da war die Hetzmeute längst von der Leine gelassen, und die 43-jährige Gehörlose, die für die Grünen im Stadtrat von Weißenhorn sitzt, einem Städtchen in Bayerisch-Schwaben nahe Ulm, wurde zur ungeschützten Zielscheibe. Selbst ihr Kreisverband, dessen Landtagskandidatin sie war, hat sich angstvoll von ihr distanziert. Es war ja auch wirklich keine Gewinnerfrage.

Ob man bereit wäre zur Organspende auch an AfD-Mitglieder? So was fragt man besser im geschlossenen Rahmen eines Ethikseminars – nicht ausgerechnet auf der Dreckschleuder-Plattform X. Wo schnell die Behauptung daraus gedreht wurde, Probst wolle AfD-Wähler von der Organspende ausschließen. Das hat sie zwar niemals so gesagt, weder laut noch leise. Probst hat sich dazu ausführlich öffentlich erklärt, auf den privaten Rahmen verwiesen, die Unterstellungen als böswillig zurückgewiesen. Mit Bedauern räumte sie ein, die „Empörungslogik“ unterschätzt zu haben.

Doch da war der Geist eben schon aus der Flasche, und am Ende wurde Probst als Inklusionsbeauftragte abberufen. Bis auf zwei waren alle Räte dafür. Mittendrin im Proteststurm: der örtliche AfD-Landtagsabgeordnete Franz Schmid, den der Verfassungsschutz beobachtet.

Hört man sich unter ihren Rats­kol­le­g:in­nen um, so fällt es ihnen auffallend schwer, einen klaren Vorwurf an sie zu formulieren. Selbst Bürgermeister Wolfgang Fendt erklärte, er glaube ihr, „es so“ nicht gemeint zu haben. Was ihn nicht daran hinderte, Probsts Sanktionierung aus eigenem Antrieb voranzutreiben. Ganz im Sinne der Inklusionsverächter-Partei AfD, die im Netz eine ihrer Cancel-Culture-Kampagnen lostrat.

Andere „sagen lieber nichts“

Statt sich schützend vor seine Rätin zu stellen, ließ Fendt von sich aus die Möglichkeit ihrer Abwahl rechtsaufsichtlich prüfen. In Bayern ist dies schon nach mehrmaligem unentschuldigten Fehlen bei Sitzungen möglich. Propst war immer wieder mit ihm aneinandergeraten, weil sie aus Betroffenenperspektive sehr klare Vorstellungen einer inklusiven Stadt hat. Meldet sie sich im Rat zu Wort, rollen manche mit den Augen, wenn ihre Sprache ins Unklare abgleitet.

„Kaum verhüllte Diskriminierung“, so schildert es ein Ratskollege, der ihr wohlgesonnen ist. „Sehr sozial“ sei sie eingestellt, und sehr kompetent auf ihrem Gebiet. „Was wissen wir schon über die Bedürfnisse von Gehörlosen?“, stellt er als offene Frage in den Raum. Probst wirft ihre Forderungen am Ratstisch sehr selbstbewusst mit Karacho in die Runde. Freunde schafft man sich im politischen Kleinstadtbiotop damit eher nicht.

Andere, die man kontaktiert, „sagen lieber nichts“ – und schließlich doch etwas: Den Gedankengängen des Bürgermeisters zu folgen, sei oft nicht einfach. Abgestimmt aber haben sie dann doch mit großer Mehrheit in seinem Sinne. Es war der bequemere Weg, das toxische Thema zu umgehen und einer differenzierten Bewertung auszuweichen.

Probst saß in der Falle, da mochte sie noch so sehr beteuern, sie stehe für eine „offene, solidarische und inklusive Gesellschaft“, für Menschenrechte und medizinische Gleichbehandlung aller.

Weißenhorns Bürgermeister vertrage Widerspruch nur schwer, heißt es über ihn. Nicht wenige vermuten hinter seinem Vorgehen eine Retourkutsche. Als sich die Gelegenheit bot, drückte er die Klappe einfach zu.

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