Sprache in Zeiten des Kriegs: Soll man das Wort „kriegstüchtig“ verwenden?
Wer kein Voll-Pazifist ist, sollte semantische Vermeidungsstrategien abstellen: „Kriegstüchtig“ sagt, worum es geht: einen Krieg führen zu können.

D ie Beschäftigung mit sicherheitspolitischen Fragen gilt bei Teilen von unsereins als moralisch verwerflich. Wer realisiert hat, dass die gemütlichen Jahre vorbei sind, und über militärische Verteidigung ernsthaft sprechen will, wird häufig keine argumentativ orientierte Auseinandersetzung auslösen, sondern kurz und knapp als „Bellizist“ eingestuft, der seine und unsere „Ideale“ verrät. Sehr schön zu sehen an Reaktionen auf den sich militärisch weiterbildenden Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter („Panzer-Toni“).
Diese etablierte Kultur war eine notwendige Reaktion auf zwei angefangene Weltkriege, den Holocaust und die unauslöschliche Schuld der Deutschen und trug vermutlich zur Zivilisierung und Demokratisierung der Bundesrepublik bei. Sie folgt zugespitzt der Nachkriegslogik, dass der Deutsche halt genetisch oder ethnokulturell kriegsgeil ist.
Wenn er aber niemand überfallen kann, kann auch keinem was passieren. Durch Putins Angriffskrieg auf Europa ist diese illusionistische Einschätzung in einem Wandlungsprozess, in dem von den Bewahrern jedes Wort vehement abgelehnt wird, das ebenjenen Prozess unterstützen könnte.
Das betrifft ganz besonders das Wort „kriegstüchtig“, das laut dem Potsdamer Militärexperten Sönke Neitzel lange Zeit allenfalls in internen Bundeswehrzirkeln benutzt wurde. Selbst Verteidigungsminister hätten die Begriffe „Krieg“ und „Kampf“ viele Jahrzehnte gemieden. Auch ich habe als Redakteur „kriegstüchtig“ stets aus Texten rausgestrichen und durch „verteidigungsfähig“ ersetzt, weil ich das Gefühl hatte, das Wort sei uns nicht zuzumuten und könne Abokündigungen zur Folge haben.
Sich dem „Zeitenbruch“ stellen
Es war Boris Pistorius, der aktuelle Verteidigungsminister (SPD), der „kriegstüchtig“ erstmals offensiv benutzt hat und damit einen Kulturwandel der Deutschen semantisch voranbringen will, der ihm angesichts des russischen Angriffskrieges und des unsicher gewordenen Schutzes durch die USA notwendig erscheint. Es geht dabei nicht darum, wieder andere Länder zu überfallen (es ist bezeichnend, dass man das sagen muss!), sondern, sich dem „Zeitenbruch“ (Joschka Fischer) zu stellen. Es ist allerspätestens seit 2022 nicht mehr alles gut, solange der Deutsche keine richtige Armee hat.
Die Entwicklung eines feinen und emanzipatorisch grundierten Sprechens markiert einen Fortschritt der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Gerade in Zeiten einer teilweisen Verrohung ist sprachliche Sensibilität essentiell. Gleichzeitig ist aber das verdruckste und euphemistische Sprechen nicht angemessen, wo es um Klarheit geht und nicht mehr prioritär um Rücksichtnahme auf kulturell geprägte Empfindsamkeit, die moralische Exzellenz mit Realitätsverweigerung verwechselt.
„Kriegstüchtig“ sagt unverbrämt, worum es geht und was Sache ist, nämlich mit zeitgemäß ausgebildeten Soldaten und Waffen einen militärischen Angriff tatsächlich abwehren zu können, also einen Krieg führen zu können. Wer kein Voll-Pazifist ist, der sollte in der Lage sein, seine semantischen Vermeidungsstrategien nicht als Tugend zu verstehen, sondern abzustellen. Das heißt alles nicht, dass man für Wehrpflicht sein muss und für einen jährlichen Wehretat von 153 Milliarden Euro, aber man muss in der Lage sein, den Dingen ins Auge zu sehen. Im Moment, sagt Sönke Neitzel, bliebe deutschen Soldaten bei einem ernsthaften Angriff nur eine Option: „Mit Anstand zu sterben.“
Ob das so bleiben soll oder wie genau man das ändert, darüber müssen wir sachlich sprechen können. Und doch zögere ich immer noch, das Wort „kriegstüchtig“ zu benutzen.
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