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Emanzipation im SportWie feministisch ist der Frauenfußball?

Marie Gogoll
Essay von Marie Gogoll

Frauenfußball ist mittlerweile beliebt, vermarktbar und sexy. Kann etwas, das so sehr Ware ist, Feminismus sein?

Inklusiver, aber auch immer noch feministisch? Foto: Shutterstock/imago

N ach dem Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich radle ich nach Hause. Ich komme von einer Kneipe in Berlin-Wedding, hier zeigen sie jedes EM-Spiel. Frauenfußball in der Kneipe schauen und fast keinen Platz mehr bekommen, weil es so voll ist – diese Vorstellung wäre vor ein paar Jahren noch völlig crazy gewesen. Ich bleibe an einer roten Ampel stehen und denke darüber nach, was das über Fußball, über Frauen, über Medien und Patriarchat aussagt. Ich spiele mit dem Bremsgriff meines Klapprads, schaue hoch und sehe eine riesige Leuchtreklame am Straßenrand. Giulia Gwinn bewirbt Adidasschuhe. Awesome, denke ich.

Es wird grün, ich fahre wieder los. Feminismus und Frauenfußball. Ist das noch ein Match? Früher, denke ich, da war die Sache klar. Vor gut hundert Jahren wurden Lotte Specht, Gründerin des 1. Deutschen Damen Fußball Clubs und ihre Mitspielerinnen noch mit Steinen beworfen. Der Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen untersagte den Frauenfußball bald darauf ganz. In der Mitteilung von 1936 steht, der männliche Kampfcharakter, der dort erforderlich sei, würde der Frau die Würde des Weibes nehmen.

Im Nachkriegsdeutschland-DFB (dem „Wunder-von-Bern-DFB“) schreibt sich die Misogynie der Nazis fort. Auf einer Versammlung von 1955 heißt es: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“

What the fuck!

Im selben Jahr verbietet der westdeutsche DFB den Frauenfußball im Rahmen des Verbands. In der DDR war Frauenfußball erlaubt, wurde aber, anders als der Männerfußball, nicht gefördert. Wir halten fest: Von Männern geführte Verbände haben Frauen, zumindest in Westdeutschland, bis weit in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts hinein den Zugang zum Fußball verboten. Trotzdem Fußball zu spielen, war also ein feministischer Move. Klare Sache.

Unter die Fittiche des DFB

1970 hebt der DFB das Verbot dann auf. Das Motiv: Bevor uns die subversive Bewegung überrollt, gehen wir ein Stück auf sie zu, nehmen sie an die Hand und führen sie dort hin, wo wir sie haben wollen. Die aufmüpfigen Weiber kommen also an die Leine. Dem DFB blieb damals eigentlich gar nichts anderes übrig. Frauenfußball war einfach zu groß geworden.

In den 50ern gab es Spiele im Ruhrgebiet, zu denen, so heißt es, an die 10.000 Zuschauende kamen. Frauen organisierten EMs und WMs ohne Verbände. Mit der Aufhebung des DFB-Verbots hatten Frauen Zugang zu Sportstätten und konnten offiziell Vereinen beitreten, in eigenen Ligen spielen und eine Nationalmannschaft stellen. Als die 1989 die Europameisterschaft gewinnt, schenkt der DFB dem Team zur Würdigung des Titels ein Kaffeeservice.

Was Frauen in der Fußballwelt dürfen und was nicht, entscheiden also auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer noch Männer. Fußballspielen bleibt für Frauen eine feministische Tätigkeit.

Während ich mein Rad im Innenhof an den Zaun schließe, frage ich mich, was wohl aus dem Frauenfußball geworden wäre, wenn er seinen eigenen Weg gegangen wäre. Ohne DFB. Die selbstorganisierten Strukturen gab es ja. Ich schließe die Haustür auf und überlege: Gäbe es heute in Deutschland Frauen, die auf einem so hohen Niveau Fußball spielen, wenn der Frauenfußball nie Teil des DFB geworden wäre? Wer weiß? Vielleicht wäre aus dem Frauenfußball eine selbstorganisierte, emanzipierte Sportart geworden, wie der Rollschuhsport Roller Derby. Wo das Geschlecht der Ath­le­t:in­nen egal ist, sie sich lustige Fantasienamen geben und Wettkämpfe solidarisch austragen. Pyros schwingende Ultra-Boys (und dann ja vielleicht auch viel mehr Girls) wären Teil dieser coolen, feministischen Fußballkultur. Sie würden nicht mehr zu den Männerbundesligaspielen gehen. Deren Spieler würden sich zusammenschließen und sagen: Wir wollen auch so viel Aufmerksamkeit wie die Spie­le­r:in­nen dieser queeren, basisdemokratischen Alternativliga! Ich grinse ein wenig, als ich die Treppen zur Wohnung hochlaufe. So eine absurde Vorstellung. So lief’s beim Frauenfußball nun mal nicht. Er wurde Teil des DFB.

Fußballerinnen im Playboy

Und der vermarktete die Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland mit dem Spruch „20Elf von seiner schönsten Seite“. Ja glaubt man’s denn. Das Magazin Playboy veröffentlichte ein Cover mit fünf Nationalspielerinnen. Der Focus schreibt dazu: „Dass die Fußball-Damen nicht bullig, sondern anmutig, nicht unweiblich, sondern schön anzusehen sind – dafür ist mit dem Playboy-Shooting endlich der Foto-Beweis erbracht.“

Frauenfußball – Where are you heading at?

Etwas hat sich verändert. Frauenfußball ist jetzt nicht mehr der nervige Abklatsch des Männerfußballs, sondern etwas „Eigenes“. Frauen, die Fußball spielen, sind jetzt schön. Das männliche Urteil bleibt bestimmend. Und Frauenfußball bleibt … feministisch? Irgendwie keine klare Sache mehr.

Die Weltmeisterschaft bringt dem deutschen Frauenfußball viel Aufmerksamkeit. Die Anzahl der Mädchenteams schießt in die Höhe. Es ist auch die Zeit, in der Vereine, die erfolgreich im Männerfußball sind, beginnen in den Frauenfußball zu investieren. Und so langsam entsteht auch eine Debatte, die zu Zeiten von Lotte Specht undenkbar gewesen wäre: die Debatte um Gleichberechtigung im Fußball.

Fußballerinnen fordern bessere Trainingsbedingungen, mehr Bezahlung und eine professionelle Spielübertragung. Es dauert, es ist zäh und doch verbessert sich in dieser Hinsicht einiges im Laufe der 2010er Jahre. Mittlerweile muss keine Frau in der ersten Bundesliga mehr neben dem Fußball Vollzeit arbeiten. In den unteren Ligen sieht das noch anders aus. Trotzdem: Die Veränderung ist spürbar und anders als noch vor 50 Jahren ist das Thema präsent und weitere Verbesserungen der Strukturen denkbar.

Ist der deutsche Frauenfußball also doch eine feministische Erfolgsgeschichte?

Durch den Frauenfußball gibt es definitiv mehr weibliche Vorbilder im Sport. Mehr Möglichkeiten, „weiblich“ zu sein. Der Frauenfußball ist außerdem ein starker Bezugspunkt für die queere Community. Denn Queerness und Lesbischsein wird hier offen gelebt, ist normal. Frauen, die sich durch als „männlich“ geltende Merkmale wie Dominanz, Stärke und Durchsetzungsvermögen auszeichnen, sind Stars.

Natürlich gibt es viele Menschen, denen das nicht gefällt und es gibt noch immer Diskriminierung gegenüber Fußballerinnen. Noch immer wird Jungs mehr Raum zum wild sein und toben zugestanden als Mädchen, noch immer gilt ein muskulöser Körper als unweiblich. So gesehen ist der Frauenfußball trotz seiner Errungenschaften nach wie vor per se ein feministisches Projekt. Das Problem: So wie er heute auftritt, hinterfragt der Frauenfußball nie das große Ganze. Er möchte lediglich seinen Teil vom Kuchen.

Vermarktung der Emanzipation

Oben in der Wohnung lasse ich mich aufs Sofa fallen. Langsam wird mir schwindelig. Ist Frauenfußball jetzt was Feministisches, oder nicht? Ich denke daran, wie sich Profifußballerinnen bei Social Media vermarkten und mit Werbedeals Geld verdienen. Dass sich Unternehmen für Fußballerinnen als Werbeträgerinnen entscheiden, weil sie eine bestimmte Zielgruppe erreichen wollen: jung, weiblich, queer. Kann etwas, das so sehr Ware ist, Feminismus sein?

Dann denke ich daran, dass Lotte Specht und ihr Team vor hundert Jahren mit Steinen beworfen wurden. Und daran, welche Kämpfe Frauen führen mussten, damit ihr Fußball respektiert wird. Lotte Specht hat gesagt: „Meine Idee, die kam nicht aus der Liebe zum Fußballsport, sondern war vor allen Dingen frauenrechtlerisch.“ Und wahrscheinlich ist das der springende Punkt. Frauenfußball ist heute nicht mehr durch seine bloße Existenz feministisch. Er ist nur feministisch, wenn die Ak­teu­r:in­nen ein Bewusstsein entwickeln, Forderungen stellen und grundlegende Kritik üben.

Dieser Frauenfußball würde sich nicht damit zufriedengeben, dass es mittlerweile Frauen in wichtigen Positionen des DFB gibt. Er hätte nicht nur die Spitze, sondern alle Frauen im Blick. Denn die mangelnde Finanzierung und schlechte Ausstattung im Amateurbereich benachteiligt vor allem arme Mädchen und Frauen. Er würde auch fragen, warum es im deutschen Frauenfußball so wenige nicht-weiße Spielerinnen gibt, denn aktuell werden die strukturellen Ursachen dafür nicht untersucht.

Der Frauenfußball hat in Bezug auf Sichtbarkeit aktuell einen Peak. Spielerinnen, Trai­ne­r:in­nen und Fans könnten den nutzen.

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Marie Gogoll
Volontärin
Aufgewachsen in Duisburg, Psychologiestudium in Bremen, danach Journalismus in Dortmund und Sevilla. Schreibt seit 2020 für taz Nord & Sport, jetzt Volontärin im Sportressort.
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3 Kommentare

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  • Vielleicht wollen Frauen auch einfach Fußball spielen, haben Bock sich zu messen und finden es spitze, wenn das ganze die Miete zahlt?

  • "Ist der deutsche Frauenfußball also doch eine feministische Erfolgsgeschichte?"



    (...)



    "Fußballerinnen fordern bessere Trainingsbedingungen, mehr Bezahlung und eine professionelle Spielübertragung."



    (...)



    "wenn der Frauenfußball nie Teil des DFB geworden wäre (...) vielleicht wäre aus dem Frauenfußball eine selbstorganisierte, emanzipierte Sportart geworden"



    Ja aber dann ohne Geld. Geld wollen aber auch die Frauenfußballstars verdienen.



    Die Argumentation des Artikels lässt nur den Schluss zu, dass Kommerz und Feminismus ein unüberbrückbarer Spagat sind, siehe: "Kann etwas, das so sehr Ware ist, Feminismus sein?"



    Ja, warum denn nicht?



    Es gibt nicht nur den einen Feminismus.



    Wie alles hat auch Feminismus unzählige verschiedene Facetten.



    Open your mind, oder will die Autorin selbst wie einst der DfB "Die aufmüpfigen Weiber (...) an die Leine" nehmen?

    • @Saskia Brehn:

      Zustimmung. Vor Jahren wurde doch angeprangert, dass Frauen viel weniger beim Fußball verdienen als Männer. Der Umstand, dass sich für FF kaum Männer UND Frauen interessierte, wurde ignoriert, obwohl ja Firmen, die Männerfußball sponsern, das nicht aus Altruismus tun, sondern aus kommerziellen Interessen. Jetzt haben Frauen Aufmerksamkeit, das Einkommen steigt mit dem Interesse. Und jetzt ist das wieder nicht richtig. Diese Auffassung verstehe wer will.