piwik no script img

Stadtkuratorin startet GroßprojektVom All zum Allgemeingut

Das Hamburger Projekt „From the Cosmos to the Commons“ beschäftigt sich mit Bildern vom Himmel. Im Zentrum steht das komplexe Werk von Aby Warburg.

In das Planetarium zurück gekehrt: Aby Warburgs „Bildersammlung zur Geschichte von Sternenglaube und Sternkunde“ Foto: Daria Kulnina

Was ist das, das da nachts am Himmel funkelt, was bedeutet das? Heerscharen von Priestern und Wissenschaftlern, Astrologen und Astronomen haben seit Menschengedenken versucht, den Sternenhimmel zu erklären und mit mythischen Erzählungen, Kunst und gewaltigen Bauwerken seine Bedeutung für die Erde zu bestimmen.

Auch die Hamburger Stadtkuratorin Joanna Warsza beginnt ihr auf fünf Jahre angelegtes Großprojekt mit dem großen Ganzen: „From the Cosmos to the Commons – Vom All zum Allgemeingut“ ist ein schöner Titel für die Aufgabe, die die Hamburger Kulturbehörde mit der deutschlandweit ziemlich einzigartigen Position einer Kuratorin für zeitlich begrenzte Kunstinterventionen im öffentlichen Raum finanziert.

Außenskulpturen im Stadtpark, Ausstellungen im Planetarium und im Kunsthaus am Klosterwall, dazu ein Symposion im Warburg-Haus und zahlreiche Veranstaltungen sind ein Angebot zum Weiterdenken. Eindrucksvoll demonstriert das eine Videoarbeit, schon 1977 von Charles und Ray Eames realisiert: Vom Nullpunkt eines Quadratmeters wird das Universum in Zehnerpotenzen durchmessen, ins Große gezoomt zu einhundert Millionen Lichtjahre entfernten Sternen und in der Gegenrichtung zu kleinsten inner­atomaren Abständen.

Die Farbe des Kosmos, die Orientierung im All, im Alltag und im Neo-Kosmos virtueller Scheinrealitäten, das reale Auffinden der roten Pinnnadel der Google-Karten, bis hin zu einem traditionellen Sextanten: All das wird in der von Anna Nowak kuratierten Ausstellung „Between Stars and Signals“ im Kunsthaus Hamburg abgehandelt. Vieles ist auch heute noch mysteriös: Es sind Satelliten im Orbit, die auf Erden helfen, die nächste Ecke zu finden, es sind – wie schon seit jeher – nur wenige verständliche Formeln, die das Universum bestimmen sollen.

Hoda Tawakol ruft die altägyptische Himmelsgöttin Nut in Erinnerung: Sie verschlingt jeden Abend die Sonne und gebiert sie morgens wieder

Das Projekt von Joanna Warsza hat sein Zentrum in der „Bildersammlung zur Geschichte von Sternenglaube und Sternkunde“. Sie wurde vom Hamburger Kulturwissenschaftler Aby Warburg 1929 für das Planetarium konzipiert, bald eingelagert, und im Folgenden abwechselnd vergessen und wiederentdeckt. Jetzt ist sie im eindrucksvoll rohen Kesselsaal des Planetariums, einst ein Wasserturm, bis Ende August wieder zugänglich.

Ging es Aby Warburg in seinen Jahrtausende umfassenden Bildtafeln und Abgüssen zur Geschichte des Sternenkultes um die Überwindung eines nur magischen Himmelsbildes, so ist gerade das Spekulative und Irrationale für die aktuelle Kunst ein Anknüpfungspunkt. Formal geht es dann um forschende Notate und scheinbar präzise Geometrien, die einen vagen, wolkigen Grund überlagern – so wie einst die Verbindungslinien zwischen den Sternen, die die Himmelsfiguren erst vorstellbar machen. Und die sind kulturell sehr verschieden. So wurde das Sternbild des großen Bären zu verschiedenen Zeiten und in verschieden Kulturen auch als Wagen, Wurfschaufel, Pflug, Hüfthorn, Kochtopf oder beladenes Boot gedeutet.

Diese Kunst lotet mit teils erklärt antiwissenschaftlichem Impuls neue Zugangsweisen der Kosmosorientierung aus: Das indische Raqs Media Collective stellt eine Monduhr vor, die Künstlerin Agnieszka Polska baut Oktopus- oder Schmetterlingsuhren. Eine mythische Muttergottheit zeigt Hoda Tawakol im Kunsthaus und mit ihrer Zelt-Skulptur im Park ruft die französisch-ägyptische Künstlerin die altägyptische Himmelsgöttin Nut in Erinnerung: Sie ist die Sternenbrücke der Nacht, verschlingt jeden Abend die Sonne und gebiert sie morgens wieder neu.

Die fünf persönlichen Sterngottheiten der Roma-Künstlerin Malgorzata Mirga-Tas in den Außennischen des Planetariums wiederum sind ein starkes Statement mit aufwendig erläuterbaren Bezügen zu den Monatsfiguren in den einst rätselhaften Fresken des Renaissance-Palastes „Schifanoia“ in Ferrara. Die konnte erstmals Aby Warburg durch eine ägyptisch-indisch-arabische Traditionslinie erklären.

Die Ausstellungen

„From the Cosmos to the Commons“: Planetarium Hamburg, Stadtpark/Linnering, Do–So, 13.30–18.30 Uhr, bis 31. 8.; Arbeiten außen am Planetarium und im Stadtpark: bis 24. 8.;

„Between Stars and Signals“ Kunsthaus Hamburg, Klosterwall, Di–So 11–18 Uhr, bis 17. 8.;

Die vier goldenen arabischen Schriftzeichen rechts und links daneben verweisen nicht nur auf den starken Einfluss, den orientalische Gelehrsamkeit seit dem Mittelalter auf Europas Himmelskunde hatte. Es sind heute unlesbare Kalligraphien des Astrologen Ibn Muqla aus Bagdad, schon seit dem 10. Jahrhundert verloren und nun vom deutsch-iranischen Künstler Timo Nasseri dem errechneten damaligen Sternenstand nachempfunden.

Aber ob das alles so hochgebildet Hergeleitete diejenigen auch erreicht, die den Park zum Picknicken oder Hundeausführen, fürs Radfahren und andere seltsame Sportarten nutzen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!