Brosius-Gersdorf wehrt sich: „Diffamierend und realitätsfern“
Die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Borsius-Gersdorf äußert sich zu den Vorwürfen gegen ihre Person. Die Koalitionskrise ist derweil ungelöst.

Tagelang wurde öffentlich über Frauke Brosius-Gersdorf geredet und geschrieben – und das mitunter ausgesprochen diffamierend und mies. Am Dienstagmorgen meldete sich die 54-jährige Potsdamer Staatsrecht-Professorin, die weiterhin Kandidatin für einen Posten am Bundesverfassungsgericht ist, mit einer schriftlichen Erklärung selbst zu Wort. Darin weist sie die Kritik an ihrer Person scharf zurück. Die Berichterstattung in Teilen der Medien sei „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ und von dem Ziel geleitet gewesen, ihre Wahl an das höchste deutsche Gericht im Bundestag zu verhindern.
„Die Bezeichnung meiner Person als ‚ultralinks‘ oder ‚linksradikal‘ ist diffamierend und realitätsfern“, schreibt Brosius-Gersdorf. Hätte man sich mit ihrer inhaltlichen Arbeit in der Breite befasst, hätte sich „ein Bild der demokratischen Mitte“ ergeben. Auch die Berichterstattung über ihre Position zur Reform des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch, die im Zentrum der Kritik stand, entbehre „der Tatsachengrundlage“.
Der Vorwurf, sie spreche dem ungeborenen Leben die Menschenwürde ab und wolle einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt legalisieren, sei „falsch“. Richtig sei, dass sie auf verfassungsrechtliche Dilemmata hingewiesen habe. Hintergrund ist die von der Ampel eingesetzte Kommission zu reproduktiven Selbstbestimmung, in der Brosius-Gersdorf mitgearbeitet hat. Die Kommission empfahl die Legalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Woche, die Union lehnt das ab.
Brosius-Gersdorf hätte am Freitag eigentlich vom Bundestag gemeinsam mit zwei anderen Kandidat*innen zu neuen Richter*innen für das Bundesverfassungsgericht gewählt werden sollen. Obwohl die Unionsführung das Personalpaket mit der SPD fest vereinbart hatte und alle drei Kandidat*innen vom Richterwahlausschuss des Bundestags bereits mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit nominiert worden waren, wurde die Abstimmung in letzter Minute abgesagt.
Verfahrene Situation
Der Grund: Nach einer massiven Kampagne von rechts verweigerten Unionsabgeordnete ihre Stimmen. Fraktionschef Jens Spahn hat inzwischen in einem Brief an die Abgeordneten von CDU und CSU eine Mitverantwortung an dem Debakel eingeräumt, das er so natürlich nicht nennt. Fest aber steht: Zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause steckt die schwarz-rote Bundesregierung in einer tiefen Krise – und bislang ist unklar, wie sie da wieder rauskommen will.
In ihrer Stellungnahme schreibt Brosius-Gersdorf nicht, ob sie weiterhin als Kandidatin zur Verfügung steht. Aus der SPD aber heißt es, dass die Staatsrechtlerin bei ihrer Kandidatur bleiben will, auch die SPD will den Vorschlag nicht zurückziehen. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hatte sich zuletzt festgelegt: „Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“ Ob ausreichend Unionsabgeordnete sich aber bereit finden werden, für Brosius-Gersdorf zu stimmen, ist bislang nicht absehbar.
Die Grünen forderten in einem Brief an Spahn und Miersch nun erneut, noch in dieser Woche eine Sondersitzung des Bundestags zur Wahl der drei Verfassungsrichter*innen zu ermöglichen. Doch danach sieht es nicht aus. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) betonte am Dienstag noch einmal, er wolle gemeinsam mit der SPD das Problem in Ruhe lösen.
Segensreiche Solidarität
Er dringt aber darauf, dass der Bundestag das Recht zur Wahl der neuen Verfassungsrichter*innen nicht an den Bundesrat abstritt. „Mein Wunsch wäre, dass wir im Deutschen Bundestag zu Lösungen kommen und dass wir nicht den Ersatzwahlmechanismus auslösen müssen“, sagte Merz am Dienstag nach einem Treffen mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf der Zugspitze. Über alles andere spreche man in Ruhe in der Koalition mit der SPD. Söder hatte dieser zuvor einen Austausch nahegelegt und gesagt, auf der Kandidatur von Brosius-Gersdorf liege „kein Segen“.
Solidarität mit ihr kommt nun aus einer anderen Ecke. In einer öffentlichen Stellungnahme kritisierten mehr als 300 Rechtswissenschaftler*innen den Umgang mit Brosius-Gersdorf. Dieser sei „geeignet, die Kandidatin, die beteiligten Institutionen und mittelfristig über den Verfall der angemessenen Umgangskultur die gesamte demokratische Ordnung zu beschädigen“, heißt es in der Erklärung. Zu betonen sei, dass Brosius-Gersdorf eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin sei: „Das ist in Fachkreisen völlig unstreitig.“
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