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SPD stellt sich neu aufBas hui, Klingbeil pfui

Die SPD wählt Bärbel Bas und Lars Klingbeil zur Doppelspitze. Bas erhält 95 Prozent Vertrauensvorschuss, Klingbeil wird mit 64,9 Prozent gedemütigt.

Da kann Lars Klingbeil nur applaudieren: Bärbel Bas ist die Vorsitzende der Herzen Foto: dpa

Berlin taz | Die SPD stellt sich neu auf. So halb. Auf ihrem Parteitag in Berlin wählten die Delegierten am Freitag Bärbel Bas und Lars Klingbeil zur neuen Doppelspitze. Während Bas tatsächlich neu im Amt ist und mit 95 Prozent viel Vertrauensvorschuss erhielt, startet Lars Klingbeil in seine dritte Amtszeit. Er bekam nur 64,9 Prozent – und damit gut 20 Prozentpunkte weniger als vor zwei Jahren. Das ist auch Ausdruck des Frustes über das historisch schlechte SPD-Wahlergebnis von 16,4 Prozent.

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatte die SPD so wenig Zuspruch. Und noch nie wurde ein sozialdemokratischer Parteivorsitzender ohne Gegenkandidat mit weniger Rückhalt ins Amt geschickt. Selbst der nie sehr beliebte Sigmar Gabriel erhielt 2015 noch neun Prozentpunkte mehr.

„Wir starten heute mit unserer Rückkehr“, hatte Tim Klüssendorf die über 600 Delegierten zu Beginn des Parteitags versucht zu motivieren. Auch er, der seit Mai kommissarischer Generalsekretär ist, wurde am Freitagabend offiziell ins Amt gewählt. Für ihn stimmten 90,8 Prozent, ein sehr ordentliches Ergebnis.

Bas und Klingbeil haben nun den schwierigen Job, den Trend umzukehren. Wie, das hatten sie zuvor in ihren Bewerbungsreden skizziert.

Bärbel Bas, die neue Parteichefin, versuchte es, indem sie nicht allgemein Leidenschaft beschwor, sondern ein konkretes politisches Ich etablierte. Als Frau. Saskia Esken geht, Bas kommt. Keine einfache Lage. Bas machte das Beste daraus. Frauen, sagte sie, „sind in der Politik diesem ganzen sexistischen Müll ausgesetzt“. Sie habe sich deshalb lange überlegt, ob sie kandidieren wolle.

Bas schrie nicht, wie es auf Parteitagen Usus ist, sie stellte einfach etwas klar. Die beiden Chefinnen, die die SPD bisher hatte, Esken und Andrea Nahles, sagte Bas, „haben sich mit gemischten Gefühlen aus diesem Amt zurückgezogen. Vorsichtig formuliert.“ Und: „Der Umgang mit ihnen war kein Glanzstück.“ Der Satz ging im Jubel fast unter. Bas drückte aus, was viele im Saal fühlten. Die Partei habe zu wenig Solidarität beim Umgang mit Esken gezeigt, sagte sie. So könne die SPD nicht Solidarität glaubhaft nach außen vertreten.

Klare Ansagen für Herz und Seele

Damit traf die Arbeitsministerin die Stimmung nach der Wahlniederlage und dem routinierten Weiterregieren. Sie lieferte keine funkelnde Analyse, sie zielte auf Selbstvergewisserung, konkret, maßvoll kritisch, ohne Floskeln.

Die Herzen der GenossInnen wärmte sie mit klaren Ansagen. Wer ArbeiternehmerInnen Faulheit vorwerfe oder Bezieher von Grundsicherung diffamiere, betreibe „Klassenkampf von oben“. Keine Namen. Aber damit dürfte die Union gemeint sein. Genossin Klartext.

Doch natürlich ist Bas auch Realpolitikerin. Die Arbeitsministerin lobte in höchsten Tönen die Mindestlohnkommission, die 14,60 Euro ab 2027 beschlossen hat. Das sei „die größte sozialpartnerschaftlich beschlossene Lohnerhöhung seit Einführung des Mindestlohns“ und „eine Erfolgsgeschichte der SPD.“ Kein Nebensatz dazu, dass die SPD im Wahlkampf 15 Euro versprochen und in der Koalition noch wochenlang behauptet hatte, dass Schwarz-Rot 15 Euro Mindestlohn 2026 beschlossen hätte. Selbstkritik, aber in Grenzen.

Das wenige Stunden vor Beginn des Parteitags bekannt gegebene Ergebnis der Mindestlohnkommission, nahmen viele der Ge­nos­sIn­nen mit ergebenem Kopfnicken hin. Der Einigung auf eine schrittweise Erhöhung von aktuell 12,82 auf 13,90 Euro im nächsten und schließlich 14,60 Euro im übernächsten Jahr sei „ein verdammt hartes Ringen“ vorausgegangen, erklärte DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi in ihrem Grußwort.

Gegen die Wand

Zuständig für die Festlegung ist nicht die Politik, sondern eine Kommission aus Ar­beit­ge­be­rIn­nen und ArbeitnehmerInnen. Fahimi verteidigte die dort erzielte Einigung als „schwierigen Kompromiss“, bei dem jedoch zentrale Ziele der Gewerkschaften erreicht worden seien. Sie wisse, dass die Erwartungen an die Verhandlungen teilweise höher waren, jedoch lagen die Positionen „sehr weit auseinander“.

Hoch gepokert und verloren. So fühlte sich für Klingbeil der Abend der Bundestagswahl an. „Wir sind gegen eine Wand gelaufen“. Der Parteivorsitzende übte sich in Selbstkritik, er habe Fehler gemacht. Und natürlich trage er Verantwortung für das Wahlergebnis. Welche Fehler genau, das blieb vage. Nur so viel: Ab 2023 ging es wirtschaftlich bergab. „Aber als die Krise da war, war die Sozialdemokratie nicht voll da.“ Man habe die Signale zu spät wahrgenommen. Hört, hört.

Seine Entscheidung, nach der verlorenen Bundestagswahl gleich den Fraktionsvorsitz zu übernehmen, sei nicht einfach für ihn gewesen. Er hätte damals nur zwei Möglichkeiten gesehen: „Entweder ich höre auf oder ich gehe voll in die Verantwortung.“ Er tat letzteres. Es sei schließlich darum gegangen, sofort Handlungsfähigkeit herzustellen und auf Augenhöhe mit Friedrich Merz zu verhandeln.

Am Ende ist also Friedrich Merz der indirekte Geburtshelfer für die neue Doppelspitze der SPD. Denn als feststand, dass Klingbeil wieder antritt, verengte sich die Zahl der Bewerberinnen rapide. Genau gesagt auf eine. Auf Bärbel Bas, die als Arbeits- und Sozialministerin als einzige genügend Machtfülle mitbringt, Klingbeil auf Augenhöhe zu begegnen.

Kultivierte Zerknirschtheit

Doch wie kompliziert die Balance zwischen Regierungsamt und Parteivorsitz ist, machte Klingbeils Rede ebenfalls deutlich. Der beklagte, dass das sozialdemokratische Versprechen, nämlich sich durch Fleiß und Anstrengung ein besseres Leben zu erarbeiten, unter Druck gerate, dass es in den Städten kaum noch bezahlbaren Wohnraum gebe. Da sei man irgendwann falsch abgebogen. Hat nicht die SPD seit 2013 mitregiert und in der vergangenen Legislatur nicht nur Kanzler und Arbeitsminister, sondern auch die Bauministerin gestellt?

Genauso hohl klang es, als der Parteivorsitzende schimpfte, es sei „grotesk“, wie in diesem Land über Migration geredet werde, man sei auf Zuwanderung angewiesen. Dass die SPD im Bundestag erst wenige Stunden zuvor den Familiennachzug für subsidiär Geflüchtete gestoppt und damit einen legalen Zuwanderungsweg gesperrt hat, erwähnte er nicht.

Die Abstimmung hatte Spuren hinterlassen. Sie habe noch nie so viele SPD-Abgeordnete weinen sehen, sagte eine Delegierte. „Und manchmal frage ich mich da schon, wofür machen wir das eigentlich.“ Eine andere bekannte: „Sie habe ein bisschen Bauchschmerzen, zwei Ministerinnen als Parteivorsitzende zu haben.“

In der Debatte herrschte kultivierte Zerknirschtheit vor, das schlimme Wahlergebnis wurde beklagt, gefolgt von Mutmachappellen. Die Jusos waren kritisch, die LandespolitikerInnen betonten pragmatisch die Bedeutung konkreter Verbesserungen. Alles wie immer.

Juso-Chef Philipp Türmer hatte ein Gespür für die Fallhöhe zwischen Routine und Rhetorik und versuchte die Ge­nossIn­nen aufzurütteln. „Die Normalität ist unser Feind“, so der Juso-Chef fast theatralisch. Mit Weitermachen sei die tiefste Krise der SPD seit 162 Jahren nicht zu reparieren. Die Aufgabe, die Partei zu retten, sei größer als jedes Ministeramt. Die SPD müsse sich trauen, „die Verteilungsfrage so laut zustellen, dass niemand sie überhören kann“.

Hubertus Heil wurde von Klingbeil als Arbeitsminister abgesägt und kandidierte nicht mehr als Vize-Parteichef. In einer Art Abschiedsrede lobte Heil, dass die SPD sich nach der Niederlage nicht selbst zerfleischt. Das neue Grundsatzprogramm, mahnte Heil, werde nur gelingen, wenn die Partei sich öffne. Und kritisierte: „Wir sind zu langweilig“. Auffälliger Beifall.

„Wahnsinnige Aufrüstung“

Recht kontrovers debattiert wurde das Manifest prominenter SPD-Politiker wie Rolf Mützenich und Ralf Stegner, die fordern, wieder stärker auf Russland zuzugehen. Mützenich war gar nicht zum Parteitag gekommen, was auch auf Kritik stieß. „Respektlos“ fand das ein Delegierter.

Aber Stegner meldete sich zu Wort. „Die Aufregung zeigt, dass die Debatte geführt werden muss“, sagte der Außenpolitiker. „Wir müssen darüber reden, ob diese wahnsinnige Aufrüstung der richtige Weg ist“. Deutschland würden durch die erhöhten Verteidigungsausgaben Mittel in anderen Bereichen fehlen.Auch er sei für Verteidigungsfähigkeit und halte Wladimir Putin für einen Kriegsverbrecher. Aber: Die SPD müsse wieder Friedenspartei werden.Verteidigungsminister Boris Pistorius antwortete keine zehn Minuten später. „Dieser Imperialist im Kreml will nicht verhandeln, er will keinen Frieden“, erklärte er. „Dazu muss ich nichts interpretieren, ich muss einfach die Fakten nehmen.“ Auch er wünsche sich Frieden, sagte Pistorius. „Aber nicht Frieden um jeden Preis, sondern Frieden in Freiheit.“

Auch der alte, neue Parteivorsitzende Klingbeil hatte zuvor erklärt: „Im Jahr 2025 eine Friedenspartei zu sein, bedeutet etwas anderes, als in den 80er Jahren.“ Putin sei nicht Gorbatschow. Man müsse also heute alles tun, um sich vor Putins Russland zu schützen. Es bleibt also beim Parteitagsbeschluss von 2023: Sicherheit vor Russland organisieren. Die SPD bleibt auch in diesem Punkt konstant.

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2 Kommentare

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  • Die SPD auf dem Weg der Selbstzerstörung



    Was soll der Wähler denken, wenn die SPD ihrem Vorsitzenden mit einer so erbärmlichen Mehrheit ausstattet? Die SPD ist auf dem besten Wege, sich mal wieder selbst zu zerlegen. Sie braucht keine Feinde, sie ist sich selbst der größte Feind.

    • @Hans Dampf:

      Was ist an 64 % erbärmlich? Ein Mehrheit ist über 50 Prozent.