LGBTIQ+ in der Ukraine: Unter Beschuss von außen und innen
Nicht nur Russlands Angriffe gefährden die Kyjiwer Regenbogen-Gemeinde, sondern auch Queerfeindlichkeit innerhalb der geschundenen Gesellschaft.

Eingeklemmt zwischen Polizeiautos und Gefangenentransportern und umringt von Hunderten Polizisten versammeln sich an einem Vormittag Mitte Juni mehr als 1.000 Menschen auf der Kreuzung über der U-Bahn-Station „Teatralna“. Ein Banner begrüßt die bunte Menge mit dem diesjährigen Motto der Pride-Parade „Einheit durch Vielfalt“. In wenigen Minuten formieren sich Blöcke. Die Organisator:innen und der Verein LGBTQ military führen den Marsch für queere Gleichberechtigung an.
Dass Militärs die Queers unterstützen, ist für die Bewegung im Krieg besonders wichtig. Nach Russlands Invasion 2022 hatte sie schnell viel Zuspruch erfahren. Dass auch lesbische, schwule, bisexuelle und trans Personen in den Reihen der Armee gegen den Aggressor kämpfen, hatte beispielsweise einer Petition für die Ehe für alle überraschend Millionen von Unterstützungsunterschriften gebracht.
Der Umzug ist laut und politisch. Wechselnde Sprechchöre fordern Gleichbehandlung und Sicherheit für LGBTQ+ im Allgemeinen sowie gleiche Rechte für queere Soldat:innen im Besonderen. Denn wer unverheiratet seine:n Partner:in im Krieg verliert, hat bis jetzt keinerlei Recht auf Informationen, Beerdigung und Entschädigungszahlungen. Doch die Ehe steht als „freiwillige Verbindung von Mann und Frau“ in Artikel 51 der ukrainischen Verfassung, und die kann während des Kriegszustandes nicht verändert werden. Also bleibt eine zivile Partnerschaft, ein Gesetzentwurf dafür liegt seit 2023 vor.
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Schwierige Absprachen mit der Polizei
Dass die Parade in Kyjiw stattfinden kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Organisator:innen erleben heftigen Widerstand. Nicht nur wegen der seit Monaten zahlenmäßig zunehmenden russischen Luftangriffe mit Drohnen und Raketen. Sondern auch wegen der brutal auftretenden Pride-Gegner, mobilisiert von der nationalistisch-christlichen, wegen früherer prorussischer Umtriebe umstrittenen Partei Bratstwo, Bruderschaft, unter Dmytro Kortschynsky sowie der „Prawa Molod“, der Jugendorganisation des extremistischen „Rechten Sektor“. Offiziell positionieren diese sich für „Familie und traditionelle Werte“ und drohen damit, dass die Ukraine wegen LGBTQ+-Events keine militärische Unterstützung mehr von Trumps republikanischer US-Regierung bekommen könnte. Kortschynsky behauptet in einem Video gar, die Queers seien von Russlands Geheimdienst bezahlt.
Polizei und Militärverwaltung der Hauptstadt beriefen sich auf Sicherheitsbedenken, bauten Druck auf und drängten zur Absage der Veranstaltungen, erklärt Projektmanager Mychajlo Jurow von KyjiwPride. „Die Absprachen mit der Polizei im Vorhinein sind immer sehr schwierig. Während der Veranstaltung dagegen verhalten sich die Beamt:innen sehr gut und freundlich, einige sagten diesmal zu uns: ‚Wir schützen hier die Menschenrechte.‘“
Demonstrant bei der „KyjiwPride Park“
Eine Woche vor der Pride-Demo hatte bereits die Kulturveranstaltung KyjiwPride Park starkem Druck standhalten müssen. Geplant war ursprünglich ein Event mit Diskussionen, Infoständen, Kreativecken und Konzerten in einem Pavillon des glamourösen Messegeländes WDNH. Doch zwei Tage vorher meldete die Polizei, es sei ein Terroranschlag angedroht worden. Wenn das WDNH auf die Veranstaltung bestehe, müsse die Polizei sämtliche Ein- und Ausgänge für jenen warmen Juni-Samstag absichern. Das Messegelände knickte ein, KyjiwPride Park stand kurz vor der Absage.
Bis sich überraschend das ukrainische Außenministerium bereit erklärte, seinen Hof − malerisch und zentral gelegen − zur Verfügung zu stellen. Das Programm fand zwar um Stände und Konzerte gekürzt statt. Trotz Drohungen, Hitze, Ortswechsel und heftigster russischer Nachtbeschüsse kamen dennoch rund 1.200 Menschen, um über queere Rechte, EU-Integration und russische Desinformation zu diskutieren. Dabei sammelte KyjiwPride 140.000 Hrywnja für die Armee ein.
Auch queere Menschen kämpfen an der Front
Auch gegen Pride Park protestierten Rechtsnationale: Die Aggressivsten nahm die Polizei vor Veranstaltungsbeginn fest, übrig blieben einige Dutzend Jugendliche der Prawa Molod, die den Queers zubrüllten: „Kraft der Tradition, Gräber den Schwuchteln“ und „Wir sorgen für Ordnung.“
Seitdem der Gesetzentwurf für die zivile Partnerschaft eingebracht wurde, stagniert die Initiative. „Momentan scheint es realistischer, dass wir zuerst ein Gesetz gegen Hassverbrechen durchbekommen“, erklärt Mychajlo Jurow von KyjiwPride. Darum konzentriere man sich in der politischen Arbeit aktuell darauf. Auf den Pride-Events bleibt die zivile Partnerschaft aber ein Kernanliegen der Community: „Mein Partner kämpft an der Front“, wendet sich ein junger Mann an die Sprecher der Pride-Park-Diskussion zum Thema Queers und Armee. „Er könnte jeden Tag sterben. Wann bekomme ich endlich mein Recht, ihn im Ernstfall begraben zu dürfen?“
Leicht haben es die Queers nicht: Einerseits liegt der gesellschaftliche Fokus in der Ukraine auf der Unterstützung der Armee, damit diese möglichst erfolgreich die vorrückenden russischen Truppen im Osten des Landes abwehren und die Zivilbevölkerung vor Russlands massiven Luftangriffswellen mit regelmäßig Hunderten Kamikaze-Drohnen schützen kann. Gleichzeitig kämpft die Zivilgesellschaft für Verbesserungen für Veteran:innen, Kinder und Jugendliche, Frauen und Mädchen, Queers, Minderheiten. Und das unter anhaltenden russischen Desinformationskampagnen, die die Gesellschaft an strittigen, emotionalen Themen spalten und ermüden wollen.
„Homophobie ist noch immer weit verbreitet in der Gesellschaft“, räumt auch Mychajlo Jurow von KyjiwPride ein. „Wir sehen das an den Gegenprotesten oder auch daran, wenn manche Brigaden unsere gesammelten Spendengelder nicht annehmen wollen.“ Trotzdem zeigt er sich zuversichtlich: Trotz aller Rückschritte in Menschenrechtsfragen, die man aktuell ja auch in westeuropäischen Gesellschaften sehe, schaut er zuversichtlich auf die nächsten Jahrzehnte. „Langfristig gesehen, denke ich, alles wird gut.“
Nazisymbolik und Queerhass im Stadtzentrum
Mit der KyjiwPride 2025 sind Jurow und seine Mitstreitenden jedenfalls zufrieden: Die Aktion war dreimal größer und länger als 2024. Nach gut 45 Minuten und etwa 300 Metern Demostrecke begleitet die Polizei sämtliche Teilnehmende freundlich, aber bestimmt in die für das Event gesperrte U-Bahn-Station. Spätestens dort sollen alle ihre Plakate und Fahnen einpacken, Regenbögen und LGBTQ+-Symbolik verstecken, und mindestens eine Station wegfahren.
Denn nahezu zeitgleich starten etwa 500 Meter entfernt die rund 200 protestierenden Gegner in Richtung Pride-Treffpunkt. Mit Klatschchören, Fahnenstöcken aus Holz, Handschuhen, Skimasken und martialischem Auftreten. Die Queers bekommen sie nicht mehr zu fassen, dafür sorgt das große Polizeiaufgebot. Einige Beamte tragen „Tolerance“-Pins an der Kleidung.
Die Rechten können dennoch mit Nazi-Symbolik und Queerhass durchs Stadtzentrum demonstrieren. Niemand bedroht deren Veranstaltungen mit Anschlägen, also muss die Polizei sie nicht besonders schützen. Ihr Zug endet auf dem Maidan. Neben den Gedenkfähnchen für die Gefallenen des Krieges singen sie die ukrainische Hymne. In der Medienberichterstattung überwiegt zwar im Nachhinein die Pride, doch das Straßenbild bestimmten die Rechtsextremen.
Den Lautsprecherwagen der Rechten sieht man zwei Stunden später wieder auf der Straße: Er begleitet den Trauerzug für eine junge, feministische Drohnenpilotin, die Anfang Juni bei Pokrowsk im Kampf gefallen war.
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