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Streitgespräch über VeteranentagWürdigung oder Militarisierung?

Ist es passend, dass Hamburg den Veteranentag am Sonntag auf dem Rathausmarkt feiert? „Ja“ sagt Sina Imhof (Grüne), „nein“ sagt David Stoop (Linke).

Stillgestanden: Soldaten beim Appell Foto: Stefan M. Prager/imago
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Frau Imhof, die Grünen und die SPD stellten vor einem Jahr den Antrag, dass der erste Veteranentag in Hamburg besonders begangen wird. Nun gibt es eine Feier auf dem Rathausmarkt. Was erwartet uns da?

Sina Imhof: Es wird auf dem Rathausmarkt einen Beförderungsappell geben und im Anschluss im Rathaus einen Empfang des Senats, mit dem Sol­da­t*in­nen gewürdigt werden sollen.

taz: Ist das nur für Medien?

Imhof: Der Beförderungsappell ist leider eine Veranstaltung mit hohen Sicherheitsvorkehrungen. Es werden aber geladene Bür­ge­r*in­nen anwesend sein. Wir stellen die Mitglieder der Bundeswehr in den Mittelpunkt und würdigen ihren Einsatz.

taz: Ist der öffentliche Appell das, was Ihnen vorschwebte?

Imhof: Der Veteranentag findet bundesweit statt, das ist keine Hamburger Idee. Aber Hamburg ist eine Stadt mit einer Bundeswehruniversität, mit einem Bundeswehrkrankenhaus, mit der Führungsakademie und zahlreichen Bundeswehreinrichtungen. Deshalb forderten wir den Senat auf, sich da einzubringen.

taz: Herr Stoop, warum ruft die Linke zu einer Demo auf?

David Stoop: Wir finden es falsch, dass in der Öffentlichkeit das Militär gefeiert wird. Es gibt in Deutschland gute, historische Gründe, sich mit öffentlichen Paraden, Appellen und Zeremonien zurückzuhalten. Und wir teilen die Einschätzung nicht, dass es jetzt eine ‚geistige Zeitenwende‘ braucht, um Kriegstüchtigkeit herzustellen. Aber in den Kontext ordnen wir dieses Beförderungsgelöbnis und die Feier zum Veteranentag ein. Das ist ein unguter Weg. Wir sollten eine Friedensorientierung in der Gesellschaft stärken.

Bild: Die Linke Hamburg
Im Interview: David Stoop

41, ist Co-Vorsitzender der Hamburger Linksfraktion und Sprecher für Haushalt, Öffentlichen Dienst und Frieden.

taz: Frau Imhof, geht es um die ‚geistige Zeitenwende‘?

Imhof: Wir rücken hier die Menschen in den Mittelpunkt und würdigen ihren Einsatz für die Sicherheit dieses Landes. Es geht hier nicht um eine Militarisierung. Es ist ja auch keine Militärparade, wie man sie aus anderen Ländern kennt. Das ginge in Richtung Glorifizierung. Es gibt dort aber keinerlei Gerätschaften oder ähnliches zu sehen.

Bild: Grüne Hamburg
Im Interview: Sina Imhof

46, ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft und Sprecherin für Innenpolitik.

Stoop: Aber Verteidigungsminister Boris Pistorius argumentiert in dem Sammelband „Operation Zeitenwende“ sehr deutlich, dass es darum geht, eine Kriegstüchtigkeit in der Gesellschaft zu etablieren. Und in diesem Kontext, er ist ja hier nach Hamburg eingeladen, ordnet sich eben so ein Gedenken ein. Wir sind auch dafür, dass Soldatinnen und Soldaten, die dienen und in Kriegseinsätzen waren, gut versorgt werden und eine vernünftige psychologische Betreuung erhalten. Aber es gab eine Tradition der zivilen Orientierung der Bundeswehr. Die sehen wir in Gefahr. Denn es soll in der Gesellschaft darauf hingewirkt werden, Kriegstüchtigkeit herzustellen. In dem Buch heißt es, bis 2029 soll das passieren. Und dazu gehört die Einstimmung auf kommende Kriege.

Imhof: Es geht nicht um geistige Kriegstüchtigkeit, sondern eine neue Realität. Durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die ­Ukraine ist etwas eingetreten, was sich viele von uns nicht mehr vorstellen konnten: Dass wir im 21. Jahrhundert auf dem europäischem Kontinent ein Land haben, das militärische Auseinandersetzungen als gerechtfertigt ansieht. Deutschland liegt sehr zentral in Europa. Wir haben aber Nachbarn wie Finnland, die eine lange Grenze zu Russland haben und sich in einer ganz anderen Bedrohung sehen. Das rückt die Bundeswehr in den Mittelpunkt, weil es eben nicht mehr nur um Friedenseinsätze oder Hilfe im Katastrophenschutz geht. Und insofern geht es mir statt geistiger Kriegstüchtigkeit eher darum: Ist unsere Bundeswehr in der Lage, militärische Unterstützung zu leisten, sollte sie gefordert sein? Das bezieht sich dann auf Gerätschaften etcetera, nicht um die Geisteshaltung der Bevölkerung.

Ein Appell und drei Demos

Der Veteranentag wurde vom Bundestag beschlossen. Fortan werden am 15. Juni die rund zehn Millionen aktiven und ehemaligen Soldaten gewürdigt.

Auf Hamburgs Rathausmarkt werden am Sonntag ab 13 Uhr etwa 420 Soldaten und Soldatinnen zum Leutnant befördert. Der Appell findet sonst in der Bundeswehruni statt.

Gegen das Gelöbnis protestiert ab 12 Uhr das

an der Reesendammbrücke, Motto „Veteranentag – Nein Danke!“. Die Linke und das „Bündnis gegen Militarisierung und Krieg“ rufen für 12 Uhr zur Kundgebung an der Bergstraße auf. Titel: „Gelöbnix – gegen Militarisierung der Öffentlichkeit“. Ab 12.30 Uhr protestiert die Linksjugend an der Poststraße.

Stoop: Es ist schon auffällig, dass das für andere Berufe nicht geschieht und hier das Soldatische in besonderer Weise hervorgehoben wird. Das geht einher mit einer Ausweitung öffentlicher Präsenz der Bundeswehr. Wir hatten im letzten Jahr Bundeswehrwerbung im Freibad. Wir haben regelmäßig Bundeswehr an Schulen. Wir haben die Debatte beim Jobcenter. Wir sehen es als Problem, wenn die Bundeswehr ihre Aktivitäten ausweitet. So zieht militärisches Denken in die Zivilgesellschaft ein. Rückt man Militärisches ins Zentrum der Öffentlichkeit, drängt dies friedensorientierte Lösungen zurück.

Imhof: Aber es geht nicht darum, die Bevölkerung im Kopf kriegstüchtig zu machen.

Stoop: Das wird von Ihrem Koalitionspartner vorgetragen.

Imhof: Aber hier ist doch die Frage, wie wir dazu stehen. Ich teile die Ansicht, dass es viele Berufsgruppen mit herausfordernder Tätigkeit gibt, etwa Lehrkräfte. Aber wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen.

taz: Man könnte Lehrer auch auf den Rathausmarkt bitten.

Imhof: Da ist die Frage, ob sie sich das wünschen. Aber es überzeugt mich nicht zu sagen, man darf die einen nicht würdigen, weil man es für andere auf diese Weise nicht tut.

Stoop: Das Soldatische bekommt hier eine Sonderstellung.

taz: Brauchen wir denn mehr Soldaten?

Imhof: Wir brauchen eine Armee, die arbeitsfähig ist. Die Bundeswehr hat, wie eigentlich alle Institutionen in diesem Land, einen Nachwuchsmangel und wirbt für sich als Arbeitgeberin.

taz: Laut Umfragen ist eine Mehrheit für die Wehrpflicht, nur nicht bei unter 39-Jährigen.

Imhof: Das kann ich verstehen. Die jungen Leute wären ja betroffen. Dass ich mit 70 da eine andere Abwägung im Kopf hätte, ist völlig klar.

Stoop: Für die, die nicht eingezogen würden, ist es leicht, für eine Wehrpflicht zu sein. Leichter als für die, die im Zweifelsfall zum Sterben an die Front geschickt würden.

taz: Brauchen wir denn eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts?

Imhoff: Das Ziel muss eine arbeitsfähige Bundeswehr sein. Wir kennen alle die Geschichten über die schlechte Ausstattung und kaputte Hubschrauber. Das hat man lange belächelt. Aber da haben wir als Gesellschaft die Fürsorgepflicht gegenüber einer Parlamentsarmee vernachlässigt und hätten reagieren müssen.

taz: Aber gab es nicht bereits eine Budget-Steigerung?

Stoop: Ja, eine ausufernde. Militärausgaben wurden von der Schuldenbremse komplett ausgenommen. Wir befürworten die nicht, aber dass nur das Militärische den Freifahrtschein bekommt, halten wir für falsch, auch angesichts der Rüstungsausgaben anderer Länder. Das setzt eine Rüstungsspirale in Gang, die unsere Zukunftsperspektiven bedroht. Der Klimawandel und andere globale Sorgen erfordern ein Mehr an Kooperation. Darum müssten wir uns auf Abrüstung verständigen.

taz: Ihr Parteichef sagt, jedes Land soll zehn Prozent Rüstungsausgaben reduzieren.

Stoop: Jan van Aken macht halt gute Vorschläge. Angesichts des hohen Etats der Bundeswehr müssen wir auch darüber reden, wie die Beschaffung funktioniert und welche Waffensysteme besorgt werden. Es gab in der letzten Dekade eine Orientierung auf Einsatzfähigkeit in weit entfernten Ländern mit Großtransportern. Das braucht man nicht zur Landesverteidigung. Die Bundeswehr wurde von einer Verteidigungsarmee zur Interventionsarmee umgebaut. Wir sollten diskutieren, was eigentlich der Charakter der Bundeswehr ist. Da sagen wir ganz eindeutig: Landesverteidigung, punkt – und nicht Intervention irgendwo auf dem Globus und dann gegebenenfalls noch Beteiligungen an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen.

Imhof: Aber wir sind Teil der Nato und insofern im Bündnisfall verpflichtet. Das ist ja die Idee dieses Militärbündnisses, sich zur Seite zu stehen. Verteidigung kann man im 21. Jahrhundert nicht mehr nur auf die eigenen Landesgrenzen reduzieren.

Stoop: Eben solche Fragen wären zu diskutieren, wenn man diese Rüstungspakete auflegt.

taz: Als Veteran gilt übrigens jeder, der mal beim Bund war, egal ob im Einsatz oder nicht. Warum ist das so weit gefasst?

Imhof: In der Tat gibt es andere Länder, da muss man für diese Bezeichnung in einem Einsatz gewesen sein. Unsere Definition gibt es schon länger. Sie wurde nicht für den Veteranentag neu erfunden. Es ist gut, dass wir mit unserer Definition den Menschen in den Mittelpunkt stellen und nicht die Einsatzerfahrung.

taz: Herr Stoop, haben Menschen, die beim Bund waren, keine Ehrung verdient?

Stoop: Wir brauchen eine Bundeswehr zur Landesverteidigung und selbstverständlich müssen die, die dort diesen Dienst leisten, vernünftig versorgt sein. Dass sie, wenn sie in Einsätzen traumatisiert werden, eine psychologische Nachversorgung bekommen und all das, was dazugehört. Wo wir nicht für sind, ist, das Militärische mit Appellen und Paraden zu feiern und damit militärische Logiken nach vorne zu stellen. Denn zelebriert man öffentlich militärische Stärke, treten zivile Konfliktlösungen in den Hintergrund. Es gibt in Hamburg kein großes Friedensfest, das der Senat ausrichtet.

taz: Aber die Stadt Bremen, wo die Linke mitregiert, feiert auch den Veteranentag.

Stoop: Es gibt dort einen Empfang im Rathaus. Aber keinen inszenierten öffentlichen Appell. Das hat eine andere Qualität.

Imhof: Aber es wird ja auch in Hamburg nichts Militärisches zelebriert. Es rollen da keine Panzer, da stehen Menschen in Uniform. Und wir haben eine Parlamentsarmee. Die Legislative entscheidet über die Einsätze. Und ich glaube, so ein Tag kann auch dazu führen, dass Bundeswehr und Gesellschaft sich begegnen und Verständnis entwickeln.

taz: Geht es nicht darum, dass die Jugend, die nicht zur Armee will, die gut findet?

Imhof: Es wird ja niemand zur Bundeswehr gezwungen. Sie rückt durch die geopolitischen Veränderungen für viele Menschen mehr ins Bewusstsein. Aber dieser Tag ist keiner der Rekrutierung, sondern des Verständnisses.

Stoop: Da Sie von Begegnung sprechen. Ich habe den Senat gefragt, ob es im Rahmen des Veteranentages dialogische Veranstaltungen gibt? Die Antwort war: Nein, gibt es nicht, sondern nur Appell und Empfang. Aber insbesondere die Frage von Abrüstung und von Frieden ist ja gerade für Soldatinnen und Soldaten relevant, weil sie im Kriegsfall sterben würden. Man könnte diesen Tag inhaltlich gestalten. Das plant der Senat aber nicht.

Imhof: Es geht ja auch nicht um eine abstrakte Debatte, sondern darum, die Menschen in den Vordergrund zu stellen.

taz: Das war 40 Jahre nicht nötig. Warum heute?

Imhof: Wir könnten darüber streiten, ob es ein Fehler war, das in den letzten Jahrzehnten hinter die Kasernenmauern zu drängen. Wir haben eine Bundeswehr, die sich dieser Gesellschaft verpflichtet fühlt, da halte ich eine stärkere Sichtbarkeit für sinnvoll.

taz: Fragt sich auch, wer geehrt wird. Es gab in einem Papier der Bundeswehr den Vorschlag, dazu auch Männer zu zählen, die sich im Zweiten Weltkrieg hervortaten. Das Papier wurde zurückgezogen. Ein ganz anderer Vorschlag sah vor, statt eines Veteranentages lieber den 2003 von der UNO ausgerufenen „Tag der Peacekeepers“ zu begehen, der Menschen ehrt, die sich an UN-Friedensmissionen beteiligen. Wäre das eine Alternative?

Imhof: Die Bundeswehr wurde mit dem klaren Auftrag gegründet, sich von der Tradition der Wehrmacht und deren Verbrechen abzugrenzen. Das muss immer der Maßstab sein. Und klar: So ein Peacekeeper-Tag wäre auch eine Option, dann aber mit einer ganz anderen Ausrichtung.

Stoop: Das wäre etwas grundsätzlich anderes. Also, ob ich eine Friedensorientierung mit zelebriere oder nicht, macht einen riesigen Unterschied. Unser Erster Bürgermeister Peter Tschentscher hat sich zum Beispiel der Agenda der 'Majors for Peace’, der Bürgermeister für den Frieden, verpflichtet. Die sieht diverse Aktivitäten vor wie zum Beispiel Jugenddelegationen zu Friedenskonferenzen, Kurse zu Hiroshima und Nagasaki an den Hochschulen und den Einsatz für atomare Abrüstung. All das macht der Senat überhaupt nicht, sondern antwortet, wenn ich ihn dazu befrage, lapidar: „Der Hamburger Senat macht keine Außenpolitik.“ Dann frage ich mich aber, weshalb Hamburg überhaupt Teil dieses globalen Netzwerkes ist. Da gibt es angesichts des Veteranentags eine große Schieflage.

Imhof: Beim Veteranentag geht es um die Menschen in der Bundeswehr und deren Würdigung. Dieser Tag steht daher nicht im Konflikt zu anderen Aktivitäten dieses Senats.

Stoop: Ginge es um die Menschen, dann würde ja ein Empfang reichen. Dann müsste man keine öffentliche Inszenierung organisieren. Es mag ja sein, dass Sie das nicht tun. Aber auch in der Bundeswehr wird es diskutiert, dass dies Teil der Herstellung von Kriegstüchtigkeit ist.

taz: In Hannover dürfen die Veteranen an diesem Tag umsonst in die Museen. Wäre das nicht auch eine Option?

Imhof: Das kann man machen, es geht hier aber nicht um Geschenke, sondern wahrzunehmen, dass Menschen eben diesen Dienst verrichten und das notfalls auch unter Einsatz des eigenen Lebens tun.

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