US-Deutsche Beziehungen unter Trump: Der Kollaps des Westens
Die „transatlantische Partnerschaft“ war immer schon ein vager Begriff. Heute taugt er nicht einmal mehr zum Selbstbetrug.

V iele aufmerksame Zeitgenossen hatten schon vor den US-Wahlen im vergangenen Herbst darauf hingewiesen, dass eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps radikal ausfallen würde. Genau so kam es. Regierungsämter wurden an Radikalinskis vergeben, das FBI ging an den ultraloyalen Trump-Bewunderer Kash Patel, Elon Musk fuhr wie ein Berserker durch die Ministerien. Dann knüpfte man sich die Universitäten vor, allen voran Harvard – ganz nach dem Prinzip: Wenn man eine prominente Institution medienwirksam fertigmacht, sind alle anderen mit eingeschüchtert. In die Straßen der Städte schickt man Militär, das auf Menschenjagd geht. Damit jeder in Schrecken versetzt wird, schoss die Innenministerin Selfies vor Internierungscamps in El Salvador. Und jetzt inszeniert man einen Aufruhr, um ihn mit autoritärer Repression niederschlagen zu können. Es läuft alles wie aus dem Lehrbuch: wie errichte ich eine Diktatur?
In wenigen Wochen wurden atemberaubende Schritte in Richtung Terror- und Unrechtsregime gemacht. Wir können lange analysieren, ob das jetzt der Weg in den Faschismus ist oder ob diese seltsame Allianz aus libertärer Staatsfeindschaft und autoritärem Repressionsstaat nach anderen Vokabeln ruft. Fakt ist: Es ist übel.
In der transatlantischen Allianz herrscht Katzenjammer. Transatlantische Allianz, das ist im engen Sinne die Nato als Verteidigungsbündnis, aber natürlich in einem weiteren Sinne dieser vage Gleichklang unterschiedlicher Nationen, traditionell als „der Westen“ bekannt. Verbunden durch „westliche Werte“.
Gewiss, man wagt das Wort nicht mehr aufzuschreiben. Nicht nur wegen des immer schon gültigen, Mahatma Ghandi zugeschriebenen Bonmots, der auf die Frage, was er denn von den westlichen Werten halte, geantwortet haben soll: „Ich hielte sie für eine gute Idee.“ Die Doppelmoral und Verlogenheit dieser Werte konnte man immer gut anklagen, bloß: Heute taugen sie nicht einmal mehr zum Selbstbetrug.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Danach der Zerfall
Sowohl die Außenpolitik als auch die Wirtschaftspolitik tappt nun im Dunkeln, weiß nur, dass das Alte nicht mehr funktioniert, und hat zugleich keine Ahnung, was künftig funktionieren könnte.
Sonderlich überraschend ist das nicht, blickt man auf all das einmal aus historischer Perspektive. Bis 1989 hatten wir die bipolare Welt, danach diesen kurzen Augenblick des Unilateralismus, einen triumphierenden Westen und die USA als globalen Hegemon. In den oberen Etagen meines Bücherregals verstauben die Texte aus dieser Epoche, Francis Fukuyamas Analyse vom Sieg der liberalen Demokratie und Studien, die den Hegemon USA als neues „Imperium“ charakterisieren. Danach kam der Zerfall und das Zerfransen an den Rändern, eine Bewegung hin zu einem Multilateralismus, dessen Fürsprecher gute und schlechte Argumente vorbrachten. Das Gute: Die Welt ist plural und kann nicht nur von einem imperialen Zentrum aus organisiert werden. Das Schlechte: Die Werte der anderen müssen geachtet werden, mögen sie auch finstere Autokratien oder religiöse Despotien etablieren.
Der nächste Schritt ist nun der Kollaps des Multipolaren in Kriegen und Chaos und das Überschwappen des Chaotischen auf den Westen selbst. Auch in westlichen Nationen sind die liberale Demokratie und der Wertepluralismus nur mehr eine Möglichkeit. Sie können ganz schnell von liberal in Richtung Autoritarismus kippen, manchmal liegt nur ein nationaler Wahlgang dazwischen.
Allianzen werden mobiler. Kanada, Australien und andere Länder sowie die Europäische Union verstärken ihre Fäden untereinander, wenn sich die USA abwenden. Westliche Autoritäre tun sich mit Javier Mileis Argentinien zusammen, westliche (Links-)Liberale eher mit Brasilien unter Lula. Jede Liaison ist fragil und temporär, sie verlangt mangels der Verlässlichkeit, die aus langer Dauer entsteht, auch so viel Beziehungsarbeit, dass sie die Akteure überfordert. Der Handelskrieg der USA macht China und die Europäische Union zu Partnern, da man sich wechselseitig als Absatzmarkt benötigt, was nicht nur in den europäischen Außenpolitikzirkeln für Diskussionen sorgt, sondern auch in China.
Hier zu manövrieren, eine neue Doktrin zu formulieren und ihr mit Nachdruck zu folgen, ist eine Aufgabe, die absolut nötig ist – und zugleich kaum zu bewältigen. Und würde jedenfalls Persönlichkeiten von wirklich historischer Statur erfordern, die Idealismus und totalen Pragmatismus vereinen müssten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Konflikt zwischen Israel und Iran
Israel erklärt Lufthoheit bis nach Teheran
Israels Angriff auf Iran
Bomben für den Machterhalt
Israelischer Militärschlag gegen Iran
Die Angst vor der Bombe
Urteil zu Gaza-Protest
Eine Frage als Holocaust-Verharmlosung
Rolf Schmachtenberg über Altersvorsorge
„Rentenkürzungen betreffen überwiegend die Jüngeren“
Neue Tierversuche
Nur wenig Glyphosat – trotzdem Krebs