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Wenn aus Worten Taten werden

Weil er Menschen mit Pfefferspray, Tritten und Schlägen angegriffen hat, wurde der AfD-Lokalpolitiker Sven Ebert mehrfach verurteilt. Doch sein Fall zeigt auch, dass die Justiz die politische Dimension der Taten oft verkennt – denn Ebert ist kein Einzelfall in seiner Partei

Von Gareth Joswig (Text) und Oliver Sperl (Illustrationen)

Sven Ebert ist Umzugsunternehmer und sieht auch aus wie einer. Er ist eine imposante Erscheinung – breit, groß und schwer. Ebert selbst bezeichnet sich als „Punk“, der sich „noch mit richtigen Nazis rumgeschlagen“ habe. Mittlerweile steht er politisch jedoch auf einer ganz anderen Seite. Der 55-Jährige ist einer von vielen AfD-Politikern, die wegen Gewaltdelikten verurteilt wurden. Er sitzt für die AfD im Gemeinderat Schkopau in Sachsen-Anhalt und hielt Reden gemeinsam mit Neonazis wie Sven Liebich. Er hat Veranstaltungen des extrem rechten Instituts für Staatspolitik besucht und der Identitären Bewegung Geld gespendet.

Mehrfach hat der AfD-Politiker Menschen mit Pfefferspray attackiert. Zweimal wurde er zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Bei beiden Fällen gibt es klare Hinweise auf eine politisches Motiv.

Der Fall Ebert zeigt zum einen, wie sich AfD-Ideologie häufig bei männlichen Politikern der Partei in tatsächliche physische Gewalt übersetzt – und zum anderen, wie die Behörden bei der Verfolgung von rechter Gewalt eher nachsichtig sind. Die extrem rechte Partei treibt mit ihrer rassistischen Agenda nicht nur die Zahlen rechter Gewalt auf Rekordhöchststände, ihre Mitglieder und Funktionäre werden auch häufig selbst zum Täter.

Sven Ebert mangelt es nicht an Sendungsbewusstsein: Zu Sitzungen des Gemeinderats erschien er schon mit Trinkhorn, verglich dort Coronamaßnahmen mit Deportationen der Juden in der NS-Zeit, beschimpfte politische Gegner als „Nazis“ oder „Faschostalinisten“. Ende 2023 nannte er eine Holocaustüberlebende gar „ukrainische Tingeltangeltänzerin“.

Ebert wurde in mehreren Instanzen für einen gewaltsamen Angriff im Mai 2021 verurteilt. Er besprühte zwei Frauen mit Pfefferspray, versetzte einer von ihnen einen Tritt in den Bauch und schlug ihr ins Gesicht, wie die Mitteldeutsche Zeitung vom Prozess berichtete. Die Frauen hatten zuvor auf einem Parkplatz AfD-Wahlplakate mit Farbe übersprüht.

Das Amtsgericht Merseburg verurteilte Ebert wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Halle bestätigte das Urteil.

Er besprühte zwei Frauen mit Pfefferspray, versetzte einer von ihnen einen Tritt in den Bauch und schlug ihr ins Gesicht

Ebert stritt zwar alles ab, letztlich überzeugten das Landgericht aber Handyaufnahmen der Betroffenen, auf denen ein Fußtritt zu erahnen war, sowie Drohungen Eberts und Hinweise auf seine Nutzung von Pfefferspray. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, Ebert hat Revision eingelegt.

In dem zweiten Verfahren, das sich sogar schon seit 2019 hinzieht, kommt Ebert nun glimpflich davon. Zwar wurde er auch hier erstinstanzlich zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Aber der AfD-Lokalpolitiker ging dagegen in Berufung – und die lief aus seiner Sicht erfolgreich: Das Landgericht und die Staatsanwaltschaft Halle bestätigten der taz, dass das Verfahren gegen Ebert wegen eines weiteren mutmaßlichen Angriffs mit Pfefferspray gegen die Zahlung einer Geldauflage inzwischen eingestellt wurde. Eine Einstellung gegen Geldauflage bedeutet, dass offen bleibt, ob Ebert schuldig ist oder nicht. Er hat die Geldauflage von 2.000 Euro gezahlt. Ebert kommt in diesem Fall also ohne Vorstrafe, Freiheitsstrafe oder Bewährungsauflage davon.

Der Vorfall liegt mittlerweile fünf Jahre zurück. Die taz hat mit dem Betroffenen Nikolas Schulz gesprochen, der eigentlich anders heißt. Der heute 34-Jährige kannte den AfD-Politiker bereits aus der Uni-Mensa, wo Ebert mit einem Shirt der rechtsextremen Identitären Bewegung provoziert habe. Daraufhin kam es zu einer Szene und zu gegenseitigen Anzeigen wegen Beleidigungen.

Ein paar Wochen später habe Schulz Ebert zusammen mit einem Kommilitonen auf der Straße beim Falschparken gesehen und diesen auf seinen Parkverstoß hingewiesen – daraufhin sei Ebert ausgerastet, habe die beiden Studenten zunächst als „Nazis“ und „Stalinisten“ beschimpft. Schließlich habe er ein Pfefferspray hervorgeholt und die beiden Studenten damit angegriffen. Er und sein Kommilitone hätten sich anschließend im Krankenhaus behandeln lassen müssen.

Auch über fünf Jahre später spürt man noch, dass Schulz der Angriff nahe geht. „Ebert hat uns am helllichten Tag mit Pfefferspray angegriffen, und es passiert einfach nichts“, sagt er. Er fühle sich ohnmächtig. Gerade weil das Verfahren schon so lange laufe, verfolge ihn die Sache bis heute: „Dieser Angriff schränkt mein Sicherheitsgefühl extrem ein – mir geht der Glaube an den Rechtsstaat verloren. Wenn einem Gewalt auf offener Straße zugefügt wird, dachte ich immer, der Staat kümmert sich“, sagt Schulz.

Er gehe nun mit dem Gefühl aus dieser Sache, dass Menschen wie Ebert aggressiv auftreten können, ihnen aber nichts passiere – „ich glaube nicht, dass das für das Vertrauen in die Demokratie hilfreich ist“, sagt Schulz. Gerade mit Blick auf politisch motivierte Straftaten sei das fatal, findet er. Zumal die Geldauflage für Ebert als erfolgreichen Unternehmer „Peanuts“ seien. Besonders schwer verständlich sei dies aber, weil es bereits einen Termin für die Berufungsverhandlung gegeben hätte. Der sei aber wieder abgesagt worden, weil Ebert im Ausland gewesen sei. „So scheint es also möglich zu sein, der Strafverfolgung zu entgehen.“

Der Vizepräsident und Sprecher des Landgerichts Halle, Wolfgang Ehm, erklärt die Einstellung damit, dass der Fall juristisch nicht eindeutig sei. Absagen von bereits terminierten Prozessen kämen häufiger vor. Aber zur Einstellung durch die zuständige Richterin hätten mehrere andere Gründe geführt: Die Tat liege lange zurück, und die Beweislage sei nicht eindeutig. Der politische Hintergrund und damit ein gesteigertes öffentliches Interesse lägen nicht vordergründig auf der Hand – „auch wenn politische Gründe eine Rolle gespielt haben mögen“.

Außerdem sei der Angeklagte Sven Ebert zwischenzeitlich wegen des späteren Angriffs auf die beiden Frauen bereits zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Im Zuge dessen wäre beim Angriff auf die Studenten eine Gesamtstrafe zu bilden gewesen. Im Ergebnis wären die sechs Monate wohl nur „maßvoll“ um ein bis zwei Monate erhöht worden, wie Wolfgang Ehm schätzt: „Die Gesamtheit dieser Gesichtspunkte haben die Kammer dazu bewogen, auch unter Berücksichtigung der Interessenlage der Geschädigten und Nebenkläger eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen in Erwägung zu ziehen.“

Die taz fragte auch den AfD-Politiker Ebert per Mail an. Der meldete sich schließlich telefonisch zurück – aus Paraguay, wo er nach eigener Auskunft den Großteil des Jahres verbringt – im „politischen Exil“, wie er es nennt. Sein Blutdruck liege hier bei 130 statt bei 170 in Deutschland, wo er sich über vieles aufrege. Er habe dort eine Niederlassung gegründet, sein Umzugsunternehmen in Deutschland laufe weiter über Prokuristen.

Am Telefon redet Ebert wie ein Wasserfall, schweift immer wieder ab und schimpft über die Politik in Deutschland, politische Gegner oder erzählt Anek­doten über Schlägereien aus seiner „Punk-Zeit“. Gleich zur Begrüßung sagt er, dass er mal bei Bündnis 90 war, aber mittlerweile die Grünen für die gleichen Leute wie diejenigen halte, „die 1933 Hitler hinterhergerannt sind und sich nun gegen Corona impfen lassen“. Kurz darauf lobt Ebert die „zwischenmenschlichen Qualitäten“ seines „dicken Freundes“ Björn Höcke – nur um danach zu betonen, dass das Wort „N****“ für ihn eine ganz korrekte Bezeichnung für Schwarze sei.

Ebert habe die Geldauflage mittlerweile bezahlt, das Verfahren ist damit eingestellt. Zufrieden sei er dennoch nicht, wie er der taz sagt. Er sieht sich als das eigentliche Opfer. Als er auf die Tat zu sprechen kommt, regt er sich schnell wieder auf, beschimpft die Betroffenen als „Nazis“, „Stalinisten“ oder als „kriminelle Nazi-Fascho-Stalinisten“ und räumt auch ein, dass er eben das sowohl bei der ersten Begegnung in der Mensa als auch bei der zweiten Begegnung getan habe. Allerdings sei er in der Mensa zuerst angepöbelt worden, beharrt er, daraufhin sei die Situation eskaliert. Dass er ein T-Shirt der Identitären Bewegung getragen habe, gibt er zu – das habe ihm Identitären-Chef Martin Sellner persönlich geschenkt, sagt Ebert.

„Dieser Angriff schränkt mein Sicherheitsgefühl extrem ein – mir geht der Glaube an den Rechtsstaat verloren. Wenn einem Gewalt auf offener Straße zugefügt wird, dachte ich immer, der Staat kümmert sich“

Nikolas Schulz, Opfer

Bei der zweiten Begegnung sei er von den beiden Männern angegriffen worden, behauptet er. Die hätten gegen seine Scheibe geklopft, während er in seinem VW-Bus gesessen habe: „Ich habe für meine Begriffe witzig reagiert und gesagt: ‚Ich ahne, dass es schwierig ist, als junges, pubertierendes Mädchen im Körper eines jungen, pubertierenden Mannes heranzuwachsen. Einfach ist das nicht, ne?‘ “ Die Studenten hätten ihn regelmäßig gestalkt, behauptet er, was diese jedoch abstreiten.

Den Fortgang dieser Situation schildert Ebert dann mit einem Satz, der tief blicken lässt: „Dann dachte ich: Was mache ich jetzt? Setzt du dich jetzt so zur Wehr, dass die beiden zum Schluss mit zwei zerstörten Kehlköpfen zuckend am Boden liegen, und schaust zu, wie sie kälter werden? Oder nutzt du defensiv dein CS-Spray, um sie auf Distanz zu halten?“

Schließlich aber habe er sich „im letzten Moment“ entschieden, sich mit Pfefferspray zu verteidigen, als die beiden mit einem metallenen Gegenstand auf ihn zugekommen seien. Die beiden hätten angegriffen, obwohl er „Stopp“ gesagt und gewarnt hätte. „Ich gab dem einen die volle Ladung ins Gesicht – nicht mal Kehlkopfschlag, kein Nasenbein gebrochen, kein Kieferbruch – nur das Spray.“ Der andere habe noch mit seinem Roller nach ihm schlagen wollen, behauptet Ebert – und habe dann auch noch was abbekommen. Er habe dann noch so etwas gerufen wie: „Ihr habt in meinen Kreisen nichts zu suchen, ihr Dummbeutel, ihr fascho­stali­nistischen Triebtäter!“

Am Ende des Gesprächs sagt Ebert, dass er nichts falsch gemacht habe. Auf die Frage, warum er in erster Instanz für den Angriff verurteilt wurde, wenn es nur Notwehr war, antwortet er: „Weil wir keinen Rechtsstaat mehr haben.“ Der Richter sei ein „Antifa-Richter“ gewesen, ein „Inbegriff von Schlichtheit mit Lappen im Gesicht“, obwohl man gar keine Maske mehr hätte tragen müssen.

Die Staatsanwaltschaft nannte für die Einstellung des Verfahrens mehrere Gründe – unter anderem verwies sie auch darauf, dass die Kriterien für die Einstellung insbesondere die „Ausräumung der Wiederholungsgefahr“ seien, ebenso „die Person des Täters“, sein „straffreies Vorleben“ und „seine Wiedergutmachungsbemühungen“. Die Strafverfolgungsbehörde hält Ebert zugute, dass er nach der Verurteilung wegen des Pfeffersprayangriffs auf die zwei Frauen nicht erneut straffällig geworden sei. Die Durchführung eines Berufungsverfahrens sei gemessen an der erwarteten geringen Strafe „wenig verfahrensökonomisch.“

Sven Ebert ist kein Einzelfall. Die taz hat zusammen mit den Beratungsstellen von Betroffenen von extrem rechter Gewalt allein aus dem letzten Jahr viele vergleichbare Fälle recherchiert. Sie zeigen die strukturelle Dimension gewalttätiger AfD-Politiker.

In weiteren Fällen auch aus den Jahren zuvor zeigt sich darüber hinaus: Die Täter kommen häufig davon. Die politische Dimension und dadurch auch das öffentliche Interesse wird von der Justiz häufig nicht ernst genug genommen – und so kommt es, dass wie im Fall Ebert Verfahren erst verschleppt, dann eingestellt werden.

Das Opfer Schulz sagt dazu: „Ich bin mehr als frustriert und kann es einfach nicht glauben. Ich halte das für Justizversagen.“ Er halte Ebert weiter für einen gefährlichen Mann – „nach fünf Jahren des Wartens und der Ungewissheit ist die Einstellung einfach nur zermürbend“.

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