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Unterricht an Hamburgs SchulenGewerkschaft fordert Alternative zum Fach Religion

In Hamburg gibt es bis Klasse 6 nur das Fach „Religion für alle“. Eine Petition soll nun ein Philosophie-Angebot durchsetzen.

Gab es in Rostock schon 2017: Philosophie-Unterricht in der vierten Klasse Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Hamburg taz | Eltern, die in Hamburg ihr Kind zur Grundschule anmelden, weist die Stadt in einer Broschüre auch auf das Fach Religion und dessen Möglichkeiten hin. Näheres regele Paragraf 7 des Schulgesetzes. Und dort heißt es, die Eltern entscheiden über die Teilnahme, und „soweit in der Stundentafel vorgesehen“, gebe es alternativ Ethik und Philosophie. Nur sieht die Stundentafel dies erst ab Klasse 7 vor.

Hamburgs Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nimmt das nicht mehr hin. Sie hat jüngst eine Online­petition „für eine Alternative zum Religionsunterricht in den Klassen 1 bis 6“ gestartet. Auch für jüngere Jahrgänge müsse ein Fach angeboten werden, das sich mit Sinn- und Existenzfragen befasst, sagt GEW-Landes-Chef Sven Quiring. Über so ein Angebot, welches in vielen anderen Bundesländern existiert, gehörten die Eltern „transparent und aktiv“ informiert.

Die GEW will das Thema mit Flyern und Plakaten in der Stadtgesellschaft bekannt machen. Denn während Philosophie in den älteren Stufen beliebt sei, fehle ein Pendant in den unteren Klassen. Und das, obwohl über die Hälfte der Hamburger keiner Religion mehr angehören.

Zudem sei Abmelden schwierig: Wollten Eltern ihr Kind von Religion befreien, gehe der Antrag zur Schulleitung. „Diese setzen sich dann mit den Eltern in Verbindung, damit der Antrag wieder zurückgezogen wird“, so die GEW. Meldeten die Eltern ihre Kinder trotzdem ab, schicke man sie vor die Tür oder beschäftige sie „mit wenig anspruchsvollen Ersatzaufgaben“.

Religiöse Lehr-Erlaubnis erforderlich

Dass es in Hamburg einen „Religionsunterricht für alle“ (Rufa) gibt, ist schon länger so. Eine Kontroverse darum gibt es, seitdem dieser nicht mehr nur von der Evangelischen Kirche verantwortet wird, sondern mit dem Erzbistum Hamburg, der Jüdischen Gemeinde, den drei islamischen Religionsgemeinschaften und der Alevitischen Gemeinde gemeinsam. Das bildete sich nicht nur 2022 in neuen Bildungsplänen ab, sondern führt auch dazu, dass die Rufa-Lehrkräfte von ihren religiösen Organisationen eine explizite Lehrerlaubnis brauchen.

Der neue Religionsunterricht habe zwar den Anspruch, auch nicht religiös erzogenen Kindern gerecht zu werden, sagt Ex-Schulleiter und GEW-Mitglied Gerhard Lein. „Dies wird hier aber ausschließlich durch die Brille religiöser Organisationen gefiltert angeboten.“ In der Lehrerschaft gab es darum heftige Debatten, denn dort gilt der gemeinsame Religionsunterricht als wichtige Errungenschaft. Das betonte jüngst der Bildungsjournalist Peter-Ulrich Meyer im Hamburger Abendblatt und warnte, der Vorstoß der GEW würde den Ansatz, bei den Jüngsten ein gemeinsames Verständnis für religiöse Toleranz zu wecken, unterlaufen.

Dem gegenüber stärkt der Theologe Hartmut Kreß in der Zeitschrift Weltanschauungsrecht Aktuell der GEW den Rücken. Sie könne sich zu Recht auf das Grundgesetz berufen, das eine individuelle Glaubensfreiheit „einschließlich der negativen Religionsfreiheit“ gewähre. Diese werde vom Hamburger Staat „missachtet“, schreibt Kreß. Die GEW mache auf eine „schwerwiegende Schulpolitische Fehlentwicklung“ aufmerksam. Kreß stellt auch das Konzept des multireligiösen Religionsunterrichts infrage, weil dieser laut Bundesverfassungsgericht ein „bekenntnisgebundener Unterricht“ sein müsse, der Schülern eine „ganz bestimmte religiöse Wahrheit nahezubringen“ habe.

Zwar gebe es ein Gutachten, wonach das Hamburger Konzept mit dem Grundgesetz im Einklang sei. Dies werde aber in der juristischen Literatur einhellig infrage gestellt. Kurzum, so Kreß, rücke die GEW „treffsicher“ akuten Reformbedarf und eine „umsetzbare Lösung“ ins Licht.

Senat hält Alternativ-Fach für entbehrlich

Auch der Landesschulbeirat und die Lehrerkammer haben die Schulbehörde gebeten, Alternativen zu prüfen. Allerdings ist das schon drei Jahre her. Änderungen am bestehenden Modell „sind aktuell nicht geplant“, sagt der Sprecher der Behörde, Peter Albrecht. In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage aus dem Jahr 2023 führt der Senat aus, er sei nicht verpflichtet, ein Alternativfach anzubieten. Zudem gebe es so wenige Abmeldungen, das dies „entbehrlich“ scheine.

Die GEW will nun bis zum Herbst 10.000 Unterschriften sammeln, in der Hoffnung, dass der Petitionsausschuss der Bürgerschaft das Thema auf die Tagesordnung setzt. Das Echo von dort ist verhalten. Die Grünen möchten am Modell festhalten. Der Wert des Rufa liege in seiner verbindenden Kraft, sagt Fraktionschef Michael Gwosdz. „Kinder erleben bis zur sechsten Klasse Religion und Weltanschauung nicht als etwas Trennendes“. Der Rufa sei bundesweit einmalig, sagt auch SPD-Schulpolitiker Nils Hansen. Man werde das Modell aber weiterentwickeln und nehme GEW-Vorschläge „grundsätzlich ernst“.

Die Linken-Schulpolitikerin Sabine Ritter indes unterstützt die Kampagne. Der Rufa sei zwar wichtig für den interreligiösen Dialog, werde aber eben nur mit religiöser Beauftragung unterrichtet. Angesichts der großen Zahl nicht religiöser Kinder müsste ein Alternativfach „aller­mindestens geprüft werden“.

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9 Kommentare

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  • In Berlin und Brandenburg gibt es die Lebenskunde als Alternative zum Religionsunterricht. Ich bin selbst LK-Lehrer. Wir machen eigentlich genau das, was in Hamburg fehlt: konfessionsfreie Wertevermittlung in der Grundschule auf humanistischer Basis. Wäre vielleicht auch für Hamburg eine Option?

  • Solange kein alternativer Fach angeboten wird, melden die Eltern ihre Kinder natürlich nicht vom Unterricht ab. Die wollen ja nicht, dass sie irgendwo herumsitzen oder vielleicht stattdessen spazieren gehen.

    Ich war damals die einzige, die sich von Religion abgemeldet hat. Ich hatte dann ein Schuljahr einfach zwei Freistunden. War okay, ich war alt genug für Freistunden. Bei Grundschülern ist das anders.

    Als es dann mehr Abmeldungen gab, hat meine Schule Werte und Normen Unterricht angeboten. Fand ich nicht so toll. Hätte lieber weiter frei gehabt.

    Nur weil 50% der Hamburger nicht in der Kirche sind, heißt das übrigens nicht, dass sie nicht religiös sind. Vielleicht wollen sie nur Kirchensteuer sparen.

  • Wertorientierung ist enorm wichtig. Ob das nur Religion vermitteln kann, sei angezweifelt.

    Ich erlebte bei zwei Professoren mein Philosophiestudium als religiöseren Moment denn meine Erziehung auf dem Kirchen-Internat oder den Konfirmandenunterricht mit Schlägen auf den Hinterkopf. Gottesvergiftung nannte man das damals in den 70er und 80ern.

    Der Philosophieprofessor war ein Überlebender aus russischer Kriegsgefangenschaft, der sagenhaft gut Dostojewski auslegen konnte, und hunderte Studenten hingen an seinen Lippen, wenn er über den Baum vorm Fenster im Schneegestöber und Stalingrad philosophierte.

    Philosophie vermittelt gleichwohl Werte wie Religion, weil sie sich auch mit den Fragen des Seins beschäftigt und dabei ein moralisches Grundgerüst vermitteln kann. Zugegeben schwerer auszuwählen als Religion - aber seien wir ehrlich, das Alte Testament eignet sich auch nicht sonderlich für Fragen des Moralischen.

    Es ist überfällig, dass Philosophie gleichberechtigt neben Religion in der Schule angeboten wird. Und schwieriger als Religion ist sie auch nicht, wenn Weischedels Philosophische Hintertreppe oder Jostein Gaarders Sofies Welt oder spezielle Kinderbücher eingesetzt werden.

  • Wie sagte schon Sun Tzu: "Nur wer seinen Feind kennt, kann ihn besiegen." Insofern ist die Kenntnis der Religion durchaus wichtig.

  • Ich fürchte ja, hier wird wieder viel allgemeines Religionsbashing kommen, das mit dem Sachthema des Artikels nichts zu tun hat (bis jetzt ist nur ein Kommentar veröffentlicht, der daran, wohlwollend gelesen, gerade so vorbeischrammt).

    • @Klara K:

      Ihre Befürchtungen referieren wohl Ihrerseits die eigenen Stereotype.

      Die Frage, ob die Kirchen (Rufa) oder der Staat (GEW) für die Inhalte zuständig sind, ist wohl relevant. Sobald der Staat zuständig ist, kann die Gewerkschaft mitreden.

      Der Staat agiert bei diesem Thema aber erstaunlich defensiv. Dass hierfür historische Gründe angeführt werden, erstaunt immer mehr. Denn immer weniger spricht für diese Absenz. Die Uneinigkeit und Beeinflussung muslimischer Gemeinschaften von außen ist ein Politikum, Philosophie als Alternative zu Religion in immer säkulareren Zeiten eine staatliche Aufgabe. Die Vorwürfe der GEW bzgl. gefilterter Erzählungen haben Substanz. Ein bloßes Eintreten für den Status quo negiert Schwachstellen der Rufa. Man darf durchaus fragen, ob der Fokus auf das Gemeinsame im Sinne der Rufa nicht zu eindimensional ist.

  • Eine Gewerkschaft sollte sich um die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder kümmern. Die Frage der Fächer ist doch allgemeinpolitischer Natur. Was mischt sich da die Gewerkschaft ein?

    • @DiMa:

      "... Meldeten die Eltern ihre Kinder trotzdem ab, schicke man sie vor die Tür oder beschäftige sie „mit wenig anspruchsvollen Ersatzaufgaben“. ..." Das ist schon mal ein organisatorisches Problem. Weiterhin bauen ja später andere Fächer auf ein gewisses religiöses oder philosophisches Grundwissen auf. Lehre und Bildung sind schon etwas komplexer als Getriebefertigung am Fließband, da benötigt man die Rückkopplung vom Personal u.a. auch vertreten durch die Gewerkschaften und Verbände.



      Kinderverwahranstalten kann keiner ernsthaft wollen.

  • Rufa ist die richtige Richtung, aber nicht das Ziel.



    Religion ist die Grundlage unserer heutigen Gesellschaften. Daher sollte Religion auch als das betrachtet werden. Den Kinder sollte nicht gelehrt werden auf eine bestimmte Art und Weise an etwas fiktives zu glauben. Man kann ihnen auch lehren wie Religion entstand, wie wichtig sie für die jeweiligen Gesellschaften waren und sind und was all die verfeindete Religionsgemeinschaften doch verbindet.



    Religion, Grundlage unseres Daseins und der meisten Konflikte