Unterricht an Hamburgs Schulen: Gewerkschaft fordert Alternative zum Fach Religion
In Hamburg gibt es bis Klasse 6 nur das Fach „Religion für alle“. Eine Petition soll nun ein Philosophie-Angebot durchsetzen.
Hamburgs Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nimmt das nicht mehr hin. Sie hat jüngst eine Onlinepetition „für eine Alternative zum Religionsunterricht in den Klassen 1 bis 6“ gestartet. Auch für jüngere Jahrgänge müsse ein Fach angeboten werden, das sich mit Sinn- und Existenzfragen befasst, sagt GEW-Landes-Chef Sven Quiring. Über so ein Angebot, welches in vielen anderen Bundesländern existiert, gehörten die Eltern „transparent und aktiv“ informiert.
Die GEW will das Thema mit Flyern und Plakaten in der Stadtgesellschaft bekannt machen. Denn während Philosophie in den älteren Stufen beliebt sei, fehle ein Pendant in den unteren Klassen. Und das, obwohl über die Hälfte der Hamburger keiner Religion mehr angehören.
Zudem sei Abmelden schwierig: Wollten Eltern ihr Kind von Religion befreien, gehe der Antrag zur Schulleitung. „Diese setzen sich dann mit den Eltern in Verbindung, damit der Antrag wieder zurückgezogen wird“, so die GEW. Meldeten die Eltern ihre Kinder trotzdem ab, schicke man sie vor die Tür oder beschäftige sie „mit wenig anspruchsvollen Ersatzaufgaben“.
Religiöse Lehr-Erlaubnis erforderlich
Dass es in Hamburg einen „Religionsunterricht für alle“ (Rufa) gibt, ist schon länger so. Eine Kontroverse darum gibt es, seitdem dieser nicht mehr nur von der Evangelischen Kirche verantwortet wird, sondern mit dem Erzbistum Hamburg, der Jüdischen Gemeinde, den drei islamischen Religionsgemeinschaften und der Alevitischen Gemeinde gemeinsam. Das bildete sich nicht nur 2022 in neuen Bildungsplänen ab, sondern führt auch dazu, dass die Rufa-Lehrkräfte von ihren religiösen Organisationen eine explizite Lehrerlaubnis brauchen.
Der neue Religionsunterricht habe zwar den Anspruch, auch nicht religiös erzogenen Kindern gerecht zu werden, sagt Ex-Schulleiter und GEW-Mitglied Gerhard Lein. „Dies wird hier aber ausschließlich durch die Brille religiöser Organisationen gefiltert angeboten.“ In der Lehrerschaft gab es darum heftige Debatten, denn dort gilt der gemeinsame Religionsunterricht als wichtige Errungenschaft. Das betonte jüngst der Bildungsjournalist Peter-Ulrich Meyer im Hamburger Abendblatt und warnte, der Vorstoß der GEW würde den Ansatz, bei den Jüngsten ein gemeinsames Verständnis für religiöse Toleranz zu wecken, unterlaufen.
Dem gegenüber stärkt der Theologe Hartmut Kreß in der Zeitschrift Weltanschauungsrecht Aktuell der GEW den Rücken. Sie könne sich zu Recht auf das Grundgesetz berufen, das eine individuelle Glaubensfreiheit „einschließlich der negativen Religionsfreiheit“ gewähre. Diese werde vom Hamburger Staat „missachtet“, schreibt Kreß. Die GEW mache auf eine „schwerwiegende Schulpolitische Fehlentwicklung“ aufmerksam. Kreß stellt auch das Konzept des multireligiösen Religionsunterrichts infrage, weil dieser laut Bundesverfassungsgericht ein „bekenntnisgebundener Unterricht“ sein müsse, der Schülern eine „ganz bestimmte religiöse Wahrheit nahezubringen“ habe.
Zwar gebe es ein Gutachten, wonach das Hamburger Konzept mit dem Grundgesetz im Einklang sei. Dies werde aber in der juristischen Literatur einhellig infrage gestellt. Kurzum, so Kreß, rücke die GEW „treffsicher“ akuten Reformbedarf und eine „umsetzbare Lösung“ ins Licht.
Senat hält Alternativ-Fach für entbehrlich
Auch der Landesschulbeirat und die Lehrerkammer haben die Schulbehörde gebeten, Alternativen zu prüfen. Allerdings ist das schon drei Jahre her. Änderungen am bestehenden Modell „sind aktuell nicht geplant“, sagt der Sprecher der Behörde, Peter Albrecht. In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage aus dem Jahr 2023 führt der Senat aus, er sei nicht verpflichtet, ein Alternativfach anzubieten. Zudem gebe es so wenige Abmeldungen, das dies „entbehrlich“ scheine.
Die GEW will nun bis zum Herbst 10.000 Unterschriften sammeln, in der Hoffnung, dass der Petitionsausschuss der Bürgerschaft das Thema auf die Tagesordnung setzt. Das Echo von dort ist verhalten. Die Grünen möchten am Modell festhalten. Der Wert des Rufa liege in seiner verbindenden Kraft, sagt Fraktionschef Michael Gwosdz. „Kinder erleben bis zur sechsten Klasse Religion und Weltanschauung nicht als etwas Trennendes“. Der Rufa sei bundesweit einmalig, sagt auch SPD-Schulpolitiker Nils Hansen. Man werde das Modell aber weiterentwickeln und nehme GEW-Vorschläge „grundsätzlich ernst“.
Die Linken-Schulpolitikerin Sabine Ritter indes unterstützt die Kampagne. Der Rufa sei zwar wichtig für den interreligiösen Dialog, werde aber eben nur mit religiöser Beauftragung unterrichtet. Angesichts der großen Zahl nicht religiöser Kinder müsste ein Alternativfach „allermindestens geprüft werden“.
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