Merz zu Besuch bei Macron und Tusk: Drei Männer in zerbrechlicher Mission
Polen und Frankreich setzen auf Merz und neuen Schwung in Europa. Die Erwartungen sind hoch, die Beziehungen porös. Der neue Kanzler versucht, sie zu kitten.

Dabei ist es nur gut 24 Stunden her, als es noch so aussieht, als müsste Merz die Reise absagen, die ihn erst nach Paris und am Nachmittag weiter nach Warschau bringen soll. Es ist kurz nach 10 Uhr am Dienstagvormittag, als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verkündet, was es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang noch nicht gab: Merz ist im ersten Wahlgang durchgefallen, zur Kanzlermehrheit fehlen sechs Stimmen. Ein Desaster. Auch wenn der 69-Jährige am Nachmittag im zweiten Wahlgang dann doch noch gewählt wird – Merz, der so vieles besser machen will als die notorisch zerstrittene Ampel, fährt nicht als strahlender Sieger nach Paris und Warschau, sondern angeschlagen. Als einer, bei dem auch nicht klar ist, ob seine Koalition hinter ihm steht. Dabei hatte man in Europa auf einen starken Kanzler gehofft.
Auch in Paris hat man das natürlich registriert. Anmerken lässt sich Macron davon nichts. Das Verhältnis zu Deutschland war unter Merz’ Vorgänger Olaf Scholz stark abgekühlt, zwischen dem Kanzler und dem französischen Präsidenten stimmte die Chemie einfach nicht.
Auch die Beziehungen zu Polen haben unter Scholz gelitten. Zu wenig Aufmerksamkeit, zu wenig Eindeutigkeit in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. Merz hat angekündigt, das zu ändern. Er wolle die Rolle Deutschlands in Europa neu definieren und die „europapolitische Sprachlosigkeit“ beenden, Deutschland solle zu einer „führenden Mittelmacht“ werden, so hatte Merz es bei seiner außenpolitischen Grundsatzrede im Januar bei der Körber-Stiftung formuliert. Am wichtigsten sei ihm dabei die „Reparatur“ der Beziehungen Deutschlands zu Frankreich und Polen. Das klingt ein bisschen nach den Zeiten, als Helmut Kohl noch Bundeskanzler war. Die Erwartungen an Merz sind also hoch. Zu hoch?
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Die Regierungsmaschine ist am Mittwoch noch nicht lange in der Luft, da kommt Merz nach hinten zu den Journalist*innen, die ihn auf seiner ersten Kanzlerreise begleiten. Er will ein paar Sätze zum Auftakt sagen, die dürfen zitiert werden, sogar die Kameras dürfen zu Beginn filmen. Das ist ungewöhnlich, bislang gab es in der Kanzlermaschine nur Hintergrundgespräche, die nicht verwendet werden dürfen.
Merz wirkt locker, die Niederlage vom Vortag merkt man ihm nicht an. Die Reise nach Paris und Warschau, sagt er, solle ein Zeichen setzen, „nach innen und außen“. Er wolle „einen Neustart“ in diesen Beziehungen. „Mir liegen diese beiden Länder sehr am Herzen.“ Das Weimarer Dreieck – das außenpolitische Gesprächsformat mit Polen und Frankreich – sei etwas, „das wir stark nutzen sollten“. Die Gespräche seien gut vorbereitet, auch durch persönliche Treffen mit Macron und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Doch reicht das?
Macron hofft auf eine europäische Antwort auf Trump
In Frankreich hat Merz das Image eines „überzeugten Europäers“. Macron möchte in ihm gerne einen Seelenverwandten sehen, der ähnliche Konsequenzen aus der von US-Präsident Donald Trump über den Haufen geworfenen Bündniskonstellation für Europa zieht. Er hofft, dass mit Merz „mehr als eine bloße Kooperation“ sichtbar wird, sondern eine Art „deutsch-französischer Reflex in allen Bereichen“.
Frankreichs Präsident plädiert seit Langem für eine eigenständige europäische Verteidigung und Sicherheitspolitik und will mehr Verständnis dafür, vor allem von Merz. Und der Kanzler teilt Macron dann prompt mit, dass eine deutsche Teilnahme an der nuklearen Abschreckung kein Tabu sei. Auch wenn er in einem atomaren Schutzschirm der französischen (oder britischen) Atomwaffen keinen Ersatz für die bisherigen Sicherheitsgarantien der USA und der Nato sehen könne.
Die Diskussion über eine autonome europäische Sicherheitsstrategie läuft also. In Paris wurde als erster Schritt die Schaffung eines gemeinsamen „Verteidigungs- und Sicherheitsrats“ angekündigt, der „gemeinsame operative Antworten“ auf die aktuellen Herausforderungen erarbeiten soll. Konkreter wird es nicht.
Aber Merz macht im Élysée auch klar, dass er in wichtigen Fragen weiter explizit auf Washington setzt: „Präsident Trump hat unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, ein Ende des Krieges herbeizuführen“, sagt Merz. Er meint damit den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. „Wir wollen, dass die Amerikaner an Bord bleiben“, sagt Merz.
Klar ist aber auch, dass bei etlichen Themen kumpelhaftes Schulterklopfen mit Macron nicht ausreichen wird. Zum Beispiel bei der Frage der Haushaltsdisziplin – einem zentralen Streitpunkt zwischen Frankreich und Deutschland seit Jahren. Die Schuldenbremse soll in Berlin aufgeweicht werden. Das bedeutet Stress in Brüssel. Berlin hatte Paris in der Vergangenheit mehrfach dazu ermahnt. Auch in den Bereichen Energie und Handelspolitik dürfte es Ärger geben.
Keine Umarmungen in Warschau
Ganz so herzlich wie in Paris wird Merz am Nachmittag in Warschau nicht empfangen. Nach dem militärischen Empfang gibt es statt Umarmungen ein eher nüchternes Händeschütteln. Tusk und Merz kennen sich, da ihre christdemokratischen Parteien CDU und Bürgerplattform PO seit Jahren im Europäischen Parlament eng zusammenarbeiten. „Ich freue mich auf den Neustart der deutsch-polnischen Beziehungen“, verkündet Tusk.
Doch seit Russlands Einmarsch in die Ukraine steht auch diese Beziehung vor neuen Herausforderungen. Polen kämpft schon seit 2021 einen hybriden Krieg an seiner Ostgrenze, die zugleich EU- und Nato-Ostgrenze ist. Fast täglich treiben dort der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko und seine Schergen Migrant*innen aus Asien und Afrika über die rund 400 Kilometer lange grüne Grenze nach Polen, mit dem Ziel, die EU zu destabilisieren.
Schon die Ampelkoalition verschärfte die Situation zusätzlich, indem sie auf Druck von CDU/CSU und AfD Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums einführte und Asylbewerber*innen mit laufendem Verfahren in einem anderen Land zurückweisen ließ. Polen musste gemäß Schengen-Recht tausende Asylbewerber*innen zurücknehmen, was in der Bevölkerung großen Unmut auslöste und von der rechtspopulistischen Opposition sofort ausgenutzt wurde. Um die Zahl der von Deutschland zurückgewiesenen Asylbewerber mit laufendem Verfahren in Polen zu minimieren, setzte Tusk mit Genehmigung Brüssels das Asylrecht an der polnischen Ostgrenze teilweise aus.
Am ersten Tag seiner Kanzlerschaft, so hatte es Merz im Wahlkampf wieder und wieder formuliert, werde er dauerhafte Grenzkontrollen anordnen und ein „faktisches Einreiseverbot“ für alle ohne gültige Einreisepapiere, das gelte auch für Menschen mit Schutzanspruch. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat in Berlin gerade entsprechende Maßnahmen angekündigt.
In scharfen Worten weist Tusk den deutschen Kanzler darauf hin, dass das hohe Gut der Reisefreiheit in Europa durch die deutschen Grenzkontrollen massiv eingeschränkt werde: „Unsere Sorge gilt dem Erhalt von Schengen.“ Kontrollen sollten vor allem an den Außengrenzen durchgeführt werden. Auch betont er, wie stark sich Polen bei diesem Schutz, insbesondere an der Grenze zu Belarus, engagiert hätte, mit „fast 10.000 Soldaten, Grenzwächtern, Polizisten“. „Schengen ist unser gemeinsamer Erfolg“, so Tusk, „und freie Grenzen im Interesse von Deutschland und Polen.“ Es sei also sinnvoller, wenn Deutschland seine Grenzpolizisten nicht an den eigenen Grenzen, sondern einige hundert Kilometer weiter östlich an der polnisch-belarussischen Grenze und damit an der EU- und Nato-Ostgrenze stationieren würde.
Anders als in Paris hat Merz einen Kopfhörer im Ohr, er hört Tusk in der Übersetzung der Dolmetscherin. Dessen Bedenken überraschen ihn nicht. Vor ein paar Tagen haben die beiden noch telefoniert und sich auch zu dieser Frage ausgetauscht. Merz weiß um die innenpolitische Lage in Polen, er will es dem liberal-konservativen Tusk nicht schwerer machen als nötig.
Zu Dobrindts Ankündigungen in Berlin sagt Merz nichts, dafür: „Wir werden Grenzkontrollen vornehmen in einer Art und Weise, die für unsere Nachbarn verträglich ist.“ Er habe noch auf dem Weg nach Warschau mit Dobrindt telefoniert und ihn gebeten, den Kontakt mit den europäischen Nachbarn jederzeit zu suchen. Stärker rhetorisch herunterdimmen kann Merz seine Forderungen nicht, will er nicht in den Ruf kommen, gleich das nächste Wahlversprechen preiszugeben. Die Union bietet an diesem Mittwochnachmittag die inneren Widersprüche ihrer Migrationspolitik auf offener Bühne dar.
Ob Grenzkontrollen nicht besser wären als eine AfD-Regierungsbeteiligung, will am Ende ein polnischer Journalist von Tusk wissen. Dieser steht selbst unter Druck, da in wenigen Tagen Präsidentschaftswahlen in Polen anstehen und die rechtspopulistische PS-Partei ihn vor sich hertreibt. „Die AfD ist Ihr Problem, Herr Bundeskanzler“, antwortet Tusk da. „Ich habe meine AfD hier, wir tun, was man kann.“
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