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„Die Leute sind radikaler geworden“

Katarzyna Werth aus Löcknitz engagiert sich auf vielen Ebenen für das deutsch-polnische Miteinander und die Sichtbarkeit polnischer Kultur in der Grenzregion. Angesichts immer aggressiverer Stimmung gegen Mi­gran­t*in­nen, blickt sie mit Sorge auf die Landratswahl in Vorpommern-Greifswald am 11. Mai

Brückenbauerin zwischen Polen und Deutschland: Katarzyna Werth im Gutshaus Ramin bei Löcknitz

Interview Uwe RadaFotos Christian Thiel

taz: Frau Werth, wir treffen uns im Gutshaus Ramin bei Löcknitz. Warum haben Sie diesen Ort für unser Gespräch vorgeschlagen?

Katarzyna Werth: Ich verbringe viel Zeit hier. Aufgrund meines Engagements, aber auch privat. Mit den beiden Gutsbesitzern bin ich befreundet. Die kommen ursprünglich aus Stettin, haben aber lange in Kiel gelebt.

taz: Nun haben die beiden das alte Gutshaus in privater Initiative saniert und zu einer Begegnungsstätte ausgebaut. Was findet hier statt?

Werth: Jugendworkshops zum Beispiel. Yoga. Es ist außerdem ein Zentrum des deutsch-polnischen Lebens in Vorpommern. Zur Zeit sind im Rahmen des europäischen Austauschs zwei Ehrenamtliche aus Rumänien und Spanien da.

taz: Was ist Ihre Aufgabe dabei?

Werth: Ich bin die Vorsitzende des Fördervereins. Meine Aufgabe ist es, das Gutshaus nach außen zu repräsentieren, Leute zusammenzubringen und Projekte zu gestalten. Ich mache hier auch ein Frauencafé.

taz: Sie sind in vielen Organisationen aktiv. In der deutsch-polnischen Gesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, Sie haben den Verein für Kultur und Integration geleitet, für die Stadt Pasewalk haben Sie die deutsch-polnische Zusammenarbeit organisiert. Wie dürfen wir Sie unseren Leserinnen und Lesern vorstellen? Als das polnisch-deutsche Gesicht Vorpommerns? Als Brückenbauerin auf beiden Seiten der Oder? Als Aktivistin?

Werth: Vielleicht von allem etwas. Als Brückenbauerin bin ich aber nicht nur zwischen Deutschland und Polen unterwegs, sondern versuche auch, die Leute hier miteinander in Kontakt zu bringen. Ich versuche, die Themen ehrenamtliche Arbeit, Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement stark zu machen, damit sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen können. Da sind seit der Pandemie viele Sachen weggebrochen.

taz: Trotzdem haben Sie mal gesagt, Sie haben das Gefühl, hier noch immer nicht angekommen zu sein. Dabei habe Sie schon ihr Abitur in Deutschland gemacht. Ist das auch ein Grund dafür, auf so vielen verschiedenen Hochzeiten zu tanzen? Müssen Sie jemandem etwas beweisen, dass Sie hierher gehören?

Werth: Vielleicht will ich damit zeigen, dass ich das kann. Dass ich das Recht habe, hierher zu gehören. Und gleichzeitig frage ich mich, warum die aufnehmende Gesellschaft dies immer wieder verlangt. Das alles ist mir aber erst bewusst geworden, als ich meine deutsch-polnische Blase verlassen habe. In dieser Blase war alles in Ordnung.

taz: Müssen Sie als Polin mehr Anstrengungen unternehmen, um akzeptiert zu werden als jemand, der aus Berlin nach Vorpommern zieht?

Werth: Die Berliner haben es genauso schwer wie die Polen.

taz: Sie selbst kommen aus Stettin.

Werth: Da bin ich 1979 geboren, weil es da das einzige Krankenhaus weit und breit gab. Aufgewachsen bin ich in Nowe Warpno am Neuwarper See am Stettiner Haff.

taz: In Löcknitz sind Sie dann auf das deutsch-polnische Gymnasium gegangen.

Werth: Ich war da eine der ersten Absolventinnen. 1995 habe ich angefangen, und ich habe gleich zweimal das Abitur gemacht. Einmal das deutsche, und dann auch das polnische. Das war damals Pflicht. Danach habe ich in Stralsund Betriebswirtschaftslehre studiert.

taz: In Löcknitz hat jeder fünfte einen polnischen Pass. Ist die Region inzwischen schon ein Region, in der die Grenzen fließend sind?

Werth: An optimistischen Tagen denke ich, ja. Dann aber habe ich wieder den Eindruck, dass wir immer noch auf dem Weg dahin sind – und das schon seit vielen Jahren. Dass wir uns im Kreis bewegen. Das war auch der Grund, warum ich meinen Job als Beauftragte für deutsch-polnische Angelegenheiten in der Stadtverwaltung Pasewalk aufgegeben habe. Vielleicht wollte ich zu viel.

taz: Sie hatten den Eindruck, gegen eine Wand gelaufen zu sein?

Werth: Ja. Vielleicht auch, weil ich festgestellt habe, dass ich mich verändert habe, die Region aber immer noch die gleiche ist. Die Leute sind oft so frustriert, ich frage mich immer, was ihnen eigentlich fehlt. Es gibt hier so viele Möglichkeiten, aktiv zu werden. Stattdessen wird gemeckert und gejammert. Durch meine Aktivitäten begegne ich aber Leuten, die die Sachen selbst in die Hand nehmen und für die Region kämpfen. Dies beispielsweise in dem neu entstanden Politischen Frauenstammtisch. Das motiviert.

taz: Haben Sie Ihr Ausscheiden in Pasewalk als Scheitern empfunden?

Werth: Ja, es frustriert mich immer noch. Für alles braucht man richtige Leute, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das wird immer weniger.

taz: Vorpommern ist, noch mehr als die brandenburgische Uckermark von Abwanderung geprägt. Auf der anderen Seite der Grenze ist die boomende Metropole Stettin. Weil dort Mieten und Preise für Wohnungen steigen, zieht es immer mehr polnische Familien auf die deutsche Seite der Grenze. In der Uckermark wird das inzwischen als Bereicherung empfunden, weil mit den Zuzüglern auch Arztpraxen wieder öffnen und neue Klassenzüge starten. Wie ist das in Vorpommern?

Werth: Auf deutscher Seite gibt es viele, die noch nie in Stettin waren. Die haben manchmal auch nicht das Geld dafür. Dann kommen die gutverdienenden Stettiner nach Vorpommern. Da treffen Welten aufeinander. Die Stimmung ist nicht gut. Dabei gäbe es ohne polnische Ärzte und Pflegekräfte das Krankenhaus in Pasewalk nicht mehr.

taz: Eigentlich müssten die Menschen dankbar sein.

Werth: Ich frage mich selbst, warum es anders gekommen ist. Neulich hat mir jemand erzählt, dass im Wartezimmer eines polnischen Arztes zwei Deutsche gesagt haben, man könne jetzt nicht mal mehr zum Arzt gehen, überall seien nur noch Polen.

taz: Wäre es denen lieber, gar keine Arztpraxis zu haben als eine, in der ein polnischer Arzt praktiziert?

Werth: Ja. Völlig irrational.

taz: Ist das Neid? Weil die Polen in der Region erfolgreicher sind? Weil sie als Gewinner der EU-Erweiterung gesehen werden?

Werth: Neid und Missgunst und auch ein Stückchen Minderwertigkeitsgefühl. Den Leuten geht es ja nicht schlecht, aber die saugen alles auf, was in den sozialen Medien an Nachrichten aufkommt. Mit manchen kann man sich gar nicht mehr unterhalten. Das hat mit der Pandemie begonnen. Die Leute sind radikaler geworden.

taz: Und Sie?

Werth: Ich bin auch radikaler geworden. Ich lasse mir nicht mehr alles ­gefallen.

taz: Für die einen ist sie eine von uns, für die anderen wird sie immer eine Polin bleiben. So hieß es in einem polnischen Medium über Sie vor den letzten Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Mit uns war gemeint, eine aus Löcknitz. Sie haben dort bei den Wahlen für das Amt der Bürgermeisterin kandidiert. War das für manche auch eine Provokation?

Werth: Das kann ich mir gut vorstellen. Manche haben gesagt, was nimmt die sich heraus. Andere meinten, toll, dass du den Mut hast. Ich hab es im Nachhinein­ nicht bereut. Das war eine Art europäischer Test für so einen kleinen Ort. Der demokratische Wettbewerb tut solchen Orten immer gut. Da werden endlich Sachen angepackt, die jahrelang unberührt blieben. Das ist eine Chance, diese Orte aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Alle profitieren davon.

taz: Ist es etwas anderes, wenn in Rostock ein Däne Oberbürgermeister wird und in Löcknitz eine Polin kandidiert.

Werth: Das sind andere Dimensionen. Rostock ist eine Universitätsstadt. Und dann ist Skandinavien für viele Deutsche sehr positiv besetzt. Anders als ­Polen.

taz: Sie sind auf Platz drei gelandet und nicht in die Stichwahl gekommen. Löcknitz hat den europäischen Test also nicht bestanden.

Werth: Es hat aber was mit dem Ort gemacht, die Politik beginnt sich nun zu bewegen. Sie wissen, dass sie sich anstrengen müssen. Das ist etwas ­Positives.

taz: Bei den jüngsten Bundestagswahlen hat mehr als die Hälfte ihrer Nachbarn die AfD gewählt. Wie groß war der Schock?

Werth: Das sitzt immer noch tief. Davon kann ich mich nicht so schnell ­erholen.

taz: Kam das überraschend für Sie?

Werth: Es war natürlich schon vorher zu spüren, dass sich die Gesellschaft zunehmend polarisiert. Dass immer mehr Menschen auch die Positionen der AfD übernehmen. Auch im persönlichen Gespräch wird da viel aufgeschnappt. Und was man alles im WhatsApp-Status sehen kann.

Herzlich willkommen im Gutshaus
Katarzyna Werth

Der Mensch

Katarzyna Werth wurde 1979 in Stettin geboren und wuchs in Nowe Warpno am Stettiner Haff auf. 1995 ging sie auf das deutsch-polnische Gymnasium in Löcknitz und machte dort das deutsche und polnische Abitur. Anschließend studierte sie Betriebswirtschaftslehre in Stralsund. Werth wohnt mit ihrem deutschen Mann in einem Dorf bei Löcknitz.

Die Botschafterin

Seit 30 Jahren engagiert sich Werth für die deutsch-polnische Zusammenarbeit. Sie ist im Integrationsbeirat des Amtes Löcknitz-Penkun aktiv und hat den Verein für Kultur und Integration geleitet. Lange war sie als Koordinatorin der deutsch-polnischen Beziehungen für die Stadt Pasewalk tätig. Inzwischen arbeitet sie als Fachpromotorin für Migration, Postmigration und Feminismus für einen Verein in Stralsund.

taz: Was zum Beispiel?

Werth: Da wurden Videos von Alice Weidel geteilt. Oder Angriffe auf die Bundesregierung. Ich erinnere mich noch gut, als vor vielen Jahren hier die NPD zum Volkstrauertag mit Pauken und Fackeln marschierte. Es war niemand auf der Straße, der dagegen protestiert hätte. Jetzt sehen wir: Die sind nicht verschwunden.

taz: Die NPD hat damals sehr mit antipolnischen Parolen auf sich aufmerksam gemacht. Wie ist das bei der AfD?

Werth: Sie nutzen eine andere Sprache. Sie sagen nicht Polen, sondern Migration. Aber im Grunde geht es ihnen um dasselbe, auch wenn sie es anders verpacken. Darauf fallen auch einige hier lebende Polen herein. Allerdings teilen sie nicht die prorussische Haltung der AfD.

taz: Was heißt das für den Alltag? Auch bei Ihnen auf dem Dorf, in dem sie ­leben?

Werth: Man grüßt sich. Manche grüßen auch nicht. Manchmal ist auch ein Kontakt, von dem ich dachte, dass er gut sei, abgekühlt. Ich rede auch nicht mehr über Politik, das würde mir den Tag vermiesen. Das hat auch mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine zu tun. Die prorussische Stimmung hier ist aggressiver geworden. Die Räume, in denen man sich offen austauschen kann, gibt es kaum noch.

taz: Dass der Riss mitten durch die Dörfer und teilweise durch die Familien geht, ist auch eine Erfahrung, die in Polen gemacht wird. Ist das ­vergleichbar.

Werth: Die Gesellschaft hier ist polarisierter als in Polen. In Polen gibt es noch die Familie. Die steht an erster Stelle. Das hat etwas Ausgleichendes. Diesen Ausgleich gibt es in Deutschland nicht. Hier denken viele Familien ohnehin das gleiche.

taz: Wie wird im Präventionsrat des Amtes Löcknitz-Penkum, in dem Sie sitzen, über diese Themen ­gesprochen?

Werth: Letztes Jahr im Sommer gab es diese Aktion mit den weißen Puppen, denen ein Messer in der Brust steckte und bei denen das Blut rauslief. Dazu stand: Migration tötet. Das habe ich angesprochen. Aber man will nicht wirklich damit umgehen.

taz: Man schaut weg? Sogar diejenigen, die das eigentlich genauso kritisch sehen wie Sie?

Werth: Es heißt dann, wir seien nur beratend tätig. Es sind auch nur noch zwei Bürgermeister im Präventionsrat. Gegründet wurde er, als es 2014 zu einer Einbruchsserie kam. Schnell hieß es, die Täter seien Polen. Der Präventions­rat war dann die Antwort auf eine Bürgerwehr, die am Entstehen war.

taz: Was sagt die Polizei zu den Puppen mit dem Messer in der Brust?

Werth: Es ist nur eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat.

Die AfD nutzt eine andere Sprache. Sie sagen nicht Polen, sondern Migration. Aber im Grunde geht es ihnen um das selbe, auch wenn sie es anders verpacken

taz: In Brandenburg hingen oft nachgebaute Ampeln an Galgen. Aber das mit den Puppen ist bedrohlicher, oder?

Werth: Ja. Am Anfang dachte ich, das richtet sich nur gegen dunkelhäutige Migranten, aus Afrika oder aus den arabischen Ländern. Wir als Polen haben uns lange, weil wir EU-Bürger sind, geschützt gefühlt. Inzwischen weiß ich, dass auch wir da als Polen damit ­gemeint sind.

taz: Während der Pandemie haben Sie Demonstrationen gegen die Grenzschließungen organisiert. Da kamen auch Lehrerinnen, die plötzlich nicht mehr an ihre Schule durften, Ärzte, die sich entscheiden mussten, in Deutschland bei der Arbeit zu bleiben, ohne zu wissen, wann sie wieder nach Polen zu ihrer Familie dürfen. Plötzlich wurde deutlich, wie sehr die Grenzregion auch von Pendlern lebt, wie sehr sie wirtschaftlich von der offenen Grenze profitiert. Das war doch auch etwas Positives?

Werth: Wir haben drei Demonstrationen organisiert. Ich hatte bis dahin null Erfahrung damit. Aber ich war so sauer auf die Regierung in Warschau, die plötzlich alles dicht gemacht hat. Wir wollten, dass Warschau erfährt, wie sehr wir hier von der offenen Grenze profitieren. Das war ein großer Erfolg.

taz: Im kommenden Jahr sind Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Wie sehr macht Ihnen das Angst?

Werth: Davor sind schon in diesem Jahr am 11. Mai Landratswahlen. Das macht mir schon Sorge. Das wird ein Testlauf dafür sein, wie es 2026 ausgeht.

taz: Was würde es bedeuten, wenn die AfD in Vorpommern-Greifswald den zweiten Landrat in Deutschland stellen würde?

Werth: Mir fehlt ein wenig die Vorstellungskraft. Andererseits ist das so real, dass wir es eigentlich genau wissen, was da kommt. Ich hab Angst um die polnische Community. Ich frage mich, inwieweit wir als Zivilgesellschaft weiter aktiv sein können. Welche geschützten Räume es noch geben wird. Ich würde mir wünschen, dass sich die Polen hier mehr einmischen.

taz: Haben Sie von manchen Polen schon gehört, dass sie wieder zurück in ihr Land wollen, wenn der Landkreis an die AfD geht? Oder wenn die AfD nächstes Jahr in Mecklenburg-Vorpommern mitregiert?

Werth: Es gibt da eher Diskussionen, noch weiter wegzugehen. Denn nicht nur die AfD bedroht uns, sondern auch Russland.

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