
Wüstenbildung und Trockenheit: Ein trockenes Paradies
Einst grün und voller Leben, werden die Oasen Marokkos heute vom Sand verschluckt. Doch die Bewohner wehren sich mit altem Wissen dagegen. Ein Ortsbesuch.
W ährend er über die ehemals grünen Parzellen seiner Familie in der Oase M’hamid el Ghizlane läuft, beklagt sich Halim Sbai: „Als ich ein Kind war, hatten wir Palmen, Obstbäume, Gemüse. Es war so grün hier, ich konnte nicht einmal das Haus unseres Nachbarn sehen.“
Heute ist das Gebiet mit Sand bedeckt, es wächst nichts mehr. Die Sahara breitet sich immer weiter aus, sodass Bauern und Dattelhändler ihre Häuser und ihre Lebensgrundlage aufgeben mussten. „Jetzt gibt es nur noch tote Stämme. Alles verwandelt sich in einen Friedhof“, sagt Sbai. Die Heimat des 54-jährigen Umweltaktivisten ist die entlegenste der vielen Oasen im Draa-Tal im Süden Marokkos, die einst ein Symbol für den florierenden Dattelhandel der Region waren. Die Oase, in der nur noch 8.000 Menschen leben, ist in den vergangenen Jahrzehnten um zwei Drittel geschrumpft. Was heute noch übrig ist, wird buchstäblich von der Wüste verschluckt.
Genau wie M’hamid stehen die Oasen weltweit an vorderster Front im Kampf ums Überleben in Zeiten des Klimawandels: In den vergangenen Jahrzehnten haben steigende Temperaturen und menschliche Aktivitäten zu einer tödlichen Kombination aus Dürren und Wüstenbildung geführt, mit verheerenden Folgen für das einzigartige Ökosystem und die Lebensweise der Bewohner. Besonders dramatisch ist diese Entwicklung in Nordafrika, einer der trockensten Regionen der Erde. Die Temperaturen dort könnten bis 2060 um bis zu 5 Grad Celsius steigen.
Allein Marokko hat in nur einem Jahrhundert zwei Drittel seiner Oasen verloren. Die Zahl der Palmen hat sich von 15 Millionen auf gut 6 Millionen mehr als halbiert. Gleichzeitig beherbergen Oasen weltweit immer noch mehr als 150 Millionen Menschen und bilden die direkteste und wichtigste ökologische Barriere gegen die Wüstenbildung. Eine Barriere, deren Bewohner einen enormen Wissensschatz zum Umgang mit Wasser, Landwirtschaft und Bauweisen besitzen. Für die Anpassung an den Klimawandel könnte das von unschätzbarem Wert sein, in Marokko und darüber hinaus.
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Die marokkanischen Oasen bedecken 15 Prozent der Fläche des Landes und beherbergen rund zwei Millionen Menschen. Die meisten liegen in einem weiten Wüstenbecken südlich des Atlasgebirges, entlang der Routen von Karawanen, die einst die Sahara mit den Mittelmeerküsten verbanden. Ihre Bewohner sind stolze Nachfahren der Nomadenstämme, die diese Gebiete in den vergangenen Jahrhunderten besiedelt haben. Sie fühlen sich diesem Flecken Erde noch heute tief verbunden.
An einem kalten Wintermorgen versammelt sich eine Gruppe der ältesten Bewohner von M’hamid unter einem Palmenhain am Rande der Oase, genau dort, wo die Wüste beginnt. In traditionellen weißen Gewändern gekleidet, beginnen sie im Rhythmus eines Trommlers zu klatschen und zu singen. Während sie um einen roten Teppich tanzen, stimmen sie einen alten Versöhnungsgesang an, um die Dürre zu beenden und der Oase neues Leben einzuhauchen. Später sitzen sie in einem Zelt und diskutieren über die Klimaprobleme in M’hamid. Sie eint ihre Bestürzung darüber, wie schnell sich die Oase in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat.
Bis Anfang der 90er Jahre unterschieden sich die Jahreszeiten in M’hamid sehr deutlich. Im Winter regnete es regelmäßig. Im Herbst herrschte reges Treiben, wenn Saisonarbeiter und Nomaden aus der Wüste zur Erntezeit kamen. Täglich fuhren Lastwagen voller Datteln in große Städte wie Marrakesch oder Casablanca. Nach der Saison feierten die Familien zahlreiche Hochzeiten und gemeinsame Mahlzeiten. „Jetzt können wir nur noch beten, dass die Dürre endlich vorbei ist“, erklärt einer der Ältesten.
Dattelpalmen sind das Herz der Oase
Für Tausende von Jahren waren Oasen ein lebendes Symbol für menschlichen Einfallsreichtum und nachhaltige Entwicklung. Ihre Bewohner konnten in einer vollständig vom Menschen geschaffenen Umgebung eine der unwirtlichsten Klimazonen der Welt bewohnen, indem sie ihre begrenzten Ressourcen optimal nutzten. „Oasen waren isolierte Ökosysteme“, erklärt der 30-jährige Abdelkarim Bouarif, Agraringenieur aus der Oase Skoura. „Die Menschen waren gezwungen, alles, was sie brauchten, selbst zu produzieren, und das gelang ihnen dank eines Know-hows, das sie in Jahrtausenden des Experimentierens erworben hatten.“
Oasen basieren auf einem einzigartigen landwirtschaftlichen System, dessen Mittelpunkt Palmen bilden. Diese liefern Datteln – das Hauptprodukt der Oasen – und spenden Schatten, wodurch die für den Anbau von Obstbäumen, Gemüse und Futterpflanzen notwendige Feuchtigkeit unter ihnen erhalten bleibt. Diese Vielfalt an Pflanzenkulturen machte Oasen früher extrem widerstandsfähig und anpassungsfähig an Wetterveränderungen. „Granatäpfel, Äpfel, Aprikosen, Pfirsiche, Oliven, Bohnen, Weizen, Gerste – in einer gesunden Oase kann alles wachsen“, erklärt Bouarif. „Es ist eine Ode an die Biodiversität. Alle Pflanzen leben in Synergie, mit der Palme als Dirigent des Orchesters.“
Oasen teilen Wasser auf Rotationsbasis zwischen Parzellen und Haushalten auf. Sie beziehen es aus Grundwasservorkommen, Bergen, Flüssen, Seen oder Quellen über ein komplexes Netz alter unterirdischer Kanäle, die Khettaras genannt werden. Sie maximieren die effiziente Nutzung von Wasser in trockenen Landschaften und fördern die Versickerung von Wasser in den Boden, wodurch der Feuchtigkeitsgehalt und die Fruchtbarkeit verbessert werden. Landwirtschaftliche Systeme können so widerstandsfähiger gegen Klimaschwankungen werden, da auch in den heißesten Monaten eine konstante Wasserversorgung gewährleistet ist.
In den vergangenen Jahren haben lokale Aktivisten und marokkanische Behörden begonnen, die Bedeutung dieser traditionellen Bewässerungssysteme für die Anpassung an den Klimawandel anzuerkennen und Maßnahmen zu ihrer Erhaltung ergriffen. Die Bemühungen werden im ganzen Land vorangetrieben. Etwa in der Region Draa-Tafilalet, wo Khettaras in zwölf Gemeinden saniert wurden, oder in der Region Errachidia, wo 400 Hektar Ackerland zurückgewonnen wurden.

Marokkanische Behörden und Aktivisten haben inzwischen auch begonnen, die Sanierung von Ksars zu fördern. Das sind traditionelle, befestigte Dörfer, die aus dicken Lehmwänden bestehen. Diese schützen die Häuser vor der sengenden Wüstenhitze und sorgen für eine natürliche Belüftung. Zu den kürzlich restaurierten Ksars gehören El Khorbat und Aït Benhaddou: Ihr Modell, das auf dem Erhalt des reichen kulturellen Erbes der Oasen und der Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus basiert, könnte als wertvolle Vorlage für das ganze Land dienen. Insbesondere für Orte wie M’hamid, wo der Tourismus zur wichtigsten wirtschaftlichen Aktivität der Region geworden ist und wo sich unzählige Bauern zu autodidaktischen Reiseführern für Besucher entwickelt haben, die die nahe gelegene Wüste erleben möchten. Sbai, selbst Teilzeitreiseleiter, ist sich des Spagats zwischen dem Erhalt der Oasen und der Öffnung für den Tourismus bewusst.
„Um die Oasen zu retten, muss man sich zuerst um die Menschen kümmern, die dort leben. Sie sind die Fußsoldaten in diesem Kampf gegen die Wüstenbildung, und die Sahara ist ein schneller Feind“, erklärt Sbai. Er hat sich auf eine Mission begeben, um die reiche Geschichte von M’hamid zu bewahren, die noch immer mündlich von Generation zu Generation durch Lieder und jahrhundertealte Gedichte weitergegeben wird.
Dürren waren bisher zyklisch
Jedes Wochenende versammeln sich Dutzende Kinder und Jugendliche aus M’hamid in Sbais Musikschule, um zu singen und die Gedichte zu lernen. „Diese Gedichte handeln von Liebe, der Wüste und der Schönheit des Lebens in der Oase“, erklärt Rashid Berazougui, ein 38-jähriger Gitarrist und Musiklehrer, der sie selbst als Kind von seiner Mutter gelernt hat. „Wir haben eine reiche Kultur, die wir bewahren und an die moderne Welt anpassen müssen. Sie ist unser Erbe, und es ist unsere Pflicht, sie weiterzugeben.“
Dürren waren schon immer Teil des Lebens in Oasen, aber dank ihrer bisherigen zyklischen Muster konnten die Gemeinden sie mit zusätzlichen Vorräten und sorgfältiger Einteilung des verfügbaren Wassers überstehen. Der Klimawandel stört dieses natürliche Muster, indem er die Temperaturen erhöht und Dürren verlängert. Marokko hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Dürreperioden erlebt. Die Dürre zwischen 2019 und 2022 war die schlimmste seit den 1960er Jahren. Unzählige Familien waren gezwungen, ihre Obstgärten, Parzellen und Palmen nach und nach aufzugeben.
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„Achtzig Prozent der Menschen in dieser Region sind Kleinbauern, die vom Dattelhandel leben, und jetzt ist dieser Ort nur noch ein Friedhof für Palmen“, beklagt Jamaal Akchbab, ein Umweltaktivist aus Zagora, der größten Stadt im Draa-Tal. „Es ist herzzerreißend.“ Die Dürren haben auch Waldbrände ausgelöst, die in den vergangenen Jahren Zehntausende Palmen im ganzen Land zerstört haben.
Doch während sich die Lage der Oasen im vergangenen Jahrhundert insgesamt verschlechtert hat, konnten einige Oasen trotz der zunehmenden Wasserknappheit weiter gedeihen. Der Mangel an wirtschaftlichen Perspektiven zwingt die Familien jedoch dazu, in die Großstädte abzuwandern, um dort im Baugewerbe oder als Saisonarbeiter in Hotels und Restaurants zu arbeiten. Heute liegen Hunderte von Ksars verlassen da und zerfallen unter dem Gewicht der vorrückenden Dünen.
Fint, eine abgelegene Oase mit nur 1.200 Einwohnern im Zentrum Marokkos, genießt dank eines durch den Ort fließenden Flusses das ganze Jahr über Wasser. Obwohl nur wenige Hundert Kilometer entfernt, sind die üppig grünen Felder von Fint eine andere Welt als die windgepeitschten, rissigen Parzellen in M’hamid. Mit seinen kristallklaren Wasserbecken, Wasserfällen und Bächen wirkt Fint wie ein Paradies auf Erden, eine Art erhaltene Nachbildung dessen, wie diese abgeschiedene Welt einst war.
In Skoura, einer weiteren Oase mit etwa 24.000 Einwohnern auf einem Plateau in der Nähe des Atlasgebirges, garantiert die Nähe zu den Bergen eine konstante Wasserversorgung. Hier spielt die Ernte von Datteln und Oliven nach wie vor eine wichtige Rolle für den Lebensunterhalt der lokalen Familien. Der junge Agraringenieur Bouarif kennt die Herausforderungen sehr gut und möchte seine Oase durch eine innovative Mischung aus Palmenanbau und nachhaltigem Tourismus erhalten. „Wir müssen zu dem zurückkehren, was unsere Vorfahren getan haben“, sagt er. „Die Palmen haben diesem Ort Leben geschenkt. Ohne sie gäbe es keine Oase.“
Bouarif ermutigt die Bauern vor Ort dazu, etwa bei der Fruchtfolge auf das Wissen aus der Vergangenheit zurückzugreifen sowie lokales Saatgut und natürliche Düngemittel einzusetzen. „Viele Bauern wenden diese traditionellen Techniken nicht mehr an. Sie wollen einfach nur jedes Jahr hohe Erträge mit den rentabelsten Kulturpflanzen erzielen“, fährt er fort. „Aber in Wirklichkeit brauchen wir in der Oase keine chemischen Düngemittel und müssen unsere Anbauflächen nicht übernutzen.“ Er will verhindern, dass durch die massive Abwanderung aus den Oasen Wissen verloren geht, das seine Vorfahren über Jahrhunderte erworben haben.
In den vergangenen Jahren hat sich Bouarifs Ansatz in ganz Skoura verbreitet. Die Region hat sich zu einem Zentrum für Experimente im Bereich der ökologischen Landwirtschaft entwickelt. Bauern probieren gerade aus, ob sich Olivenbäume mit Heil- und Gewürzpflanzen auf einer Fläche kombinieren lassen. Außerdem verwenden sie Mist und zerkleinerte Baumschnittreste als natürlichen Dünger, um das empfindliche ökologische Gleichgewicht der Oasen zu erhalten.
Vitro-Kulturen als letzte Hoffnung

Auf nationaler Ebene ist ein Eckpfeiler des marokkanischen Programms zur Rettung der Oasen die Entwicklung dürreresistenter Pflanzen, die den klimatischen Veränderungen in Marokko standhalten können. Auch die Weltbank unterstützt den Erhalt der Oasen und bezeichnete sie kürzlich als „unersetzliche Reservoirs des kulturellen, natürlichen und menschlichen Erbes“. Mit den marokkanischen Behörden will sie mehr als 200.000 Dattelpalmen aus Vitro-Kulturen verteilen, die in Oasen mit einem Minimum an Wasser produktiv bleiben sollen.
In der Zwischenzeit wendet Bouarif die nachhaltigen Praktiken, die er den lokalen Bauern beibringt, auch in seiner Familienkasbah an, die vor einigen Jahren zu einem Boutique-Gästehaus umgebaut wurde. „Wir beziehen das gesamte Gemüse, das wir brauchen, aus unseren eigenen Anbauflächen und vom lokalen Markt, um die lokalen Bauern zu unterstützen“, erklärt er. „Und wir verwenden das abgelassene Wasser aus dem Pool, um unsere Felder zu bewässern.“ Bouarif liebt es, Besucher durch die Palmenhaine zu führen und ihnen zu erklären, wie eine Oase funktioniert. Damit möchte er auch das Bewusstsein für die Notlage der Oasen in Marokko schärfen, so wie Sbai und Berazougui es in M’hamid tun.
Wie viele andere Männer aus M’hamid hatten beide die Möglichkeit, die Oase zu verlassen und anderswo ein besseres Leben zu suchen. Sie beschlossen jedoch, zu bleiben und für die Zukunft ihrer geliebten Oase zu kämpfen und ihr Wissen weiterzugeben. „Wir arbeiten an unserem immateriellen Erbe“, erklärt Sbai. „Sonst werden die jüngeren Generationen nie erfahren, was eine Oase überhaupt ist.“ Trotz der Herausforderungen blickt der Mann hoffnungsvoll in die Zukunft. „Es wird ein langwieriges Unterfangen, aber ich liebe es, das Lächeln auf den Gesichtern meiner Leute zu sehen.“
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