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Tierärztin über psychische Gesundheit„Viele verlassen ihren Traumberuf“

Laut Studien sind Tier­ärz­t:in­nen psychisch stark belastet – bis zum erhöhten Suizidrisiko. Nun soll ein Kriseninterventionsteam im Norden helfen.

Tierischer Patient: kann süß gucken, aber nichts daran ändern, dass Tier­ärz­t:in­nen zunehmend unter Arbeitsbelastung leiden Foto: Monika Skolimowska/dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Frau Timmann, warum richten Sie ein Seelsorgeangebot für Tierärzte ein?

Doris Timmann: Tierärzte sind mental sehr belastet: Das Suizidrisiko ist hoch, es gibt immer mehr Ausfälle durch berufsbedingte Überlastung, Depression und Burnout. Die Gefahr besteht, dass es immer schwieriger werden wird, für sein Tier einen Tierarzt oder eine Tierärztin zu finden, wenn wir jetzt nicht etwas unternehmen. Das Erste, was umgesetzt wurde, ist eine telefonische Seelsorge. Dazu wurde die gemeinnützige „Vethilfe“ gegründet, die diesen Monat online gehen wird. Das zweite soll hier im Norden ein Kriseninterventionsteam für Hamburg und Schleswig-Holstein sein.

taz: Von außen würde man denken, der Beruf als Tierärztin und Tierarzt ist einer, wo man immer wieder die Erfahrung macht, helfen zu können. Warum sind dann gerade diese Menschen so belastet?

Timmann: Das Heilen und die Selbstwirksamkeit sind das Schöne an diesem Beruf. Aber aufgrund von Zeitknappheit kann man sich oft nicht so kümmern, wie man möchte. Und es sind oft Menschen mit sehr hohem Anspruch an sich selbst, die diesen Beruf ergreifen. Viele gehen in Teilzeit oder verlassen ihren Traumberuf aufgrund der Herausforderungen in der Praxis. Dazu kommt, dass es immer mehr Behandlungsmöglichkeiten gibt, die aber nicht alle von den Tierbesitzern bezahlt werden können. Das ist ein ethischer Konflikt und sehr belastend für alle, die involviert sind.

Im Interview: Doris Timmann

55, ist seit über 25 Jahren Tierärztin und hat eine Praxis für Neurologie, Schmerzmedizin und Rehabilitation in Pinneberg.

taz: Wie teuer kann eine Katzen- oder Hunde-OP werden?

Timmann: Die Bandbreite ist sehr hoch. Nicht nur bei einer Operation, auch bei einem Aufenthalt in einer Klink ohne Operation können die Kosten weit über 1.000 Euro liegen. Wie man sich vorstellen kann, sind die Kosten bei Pferden noch höher. Durch die automatische Übernahme der Kosten durch Krankenversicherungen in der Humanmedizin sind einem die Kosten für medizinische Behandlung oft nicht bewusst.

taz: Auf der einen Seite gibt es Hightechmedizin für Tiere und auf der anderen Seite kein Versicherungssystem wie in der Humanmedizin – ist da eine Lösung in Sicht?

Timmann: Die Praxen haben zum Teil hohe Kosten durch die Anschaffung von Geräten, die Fortbildungen dazu und das Personal, um sie zu bedienen. Wenn man sich für mehrere Hunderttausende Euro ein bildgebendes Gerät kauft, müssen die Kosten umgelegt werden. Da muss man sich als Tierhalter erst mal bewusst sein, wie weit die Tiermedizin vorangeschritten ist und welche Kosten auf einen zukommen. Wenn das Tier plötzlich krank ist, haben viele keine Versicherung. In Ländern wie England ist das schon lange anders.

taz: Bei einigen Zuchten entstehen mit Ansage Tiere mit Gesundheitsproblemen, wie zum Beispiel Atemnot bei kurznasigen Rassen.

Timmann: Das ist eine der vielen Belastungen für die Tierärzte: Sie sehen ein Tier vor sich, das aus einer Qualzucht stammt und fragen sich: warum schafft man sich als Mensch so ein Tier an, wenn man doch weiß, dass es nicht gut atmen kann? Trotzdem hilft man natürlich dem Tier.

Die Studie

Sowohl das Risiko für Suizid als auch das für Depressionen ist bei Tierärztinnen und Tierärzten deutlich erhöht.

Nach einer Studie an der FU Berlin aus dem Jahr 2020 ist das Suizidrisiko bei Tier­ärz­en dreimal höher als bei der allgemeinen Bevölkerungen. Die Zahl der Depressionen lag mit knapp 28 Prozent fast sieben mal höher als der Wert bei der Restbevölkerung.

Für Tier­ärz­te in Ausnahemsituationen soll ein Kriseninterventionsteam in Hamburg und Schleswig-Holstein aufgebaut werden. Der Verein Vethilfe e.V. bietet am dem Sommer einen seelsorgerlichen Telefondienst für tierärztliches Fachpersonal.

Haben Sie suizidale Gedanken? Dann sollten Sie sich unverzüglich ärztliche und psychotherapeutische Hilfe holen. Bitte wenden Sie sich an die nächste psychiatrische Klinik oder rufen Sie in akuten Fällen den Notruf an unter 112. Eine Liste mit weiteren Angeboten finden Sie unter taz.de/suizidgedanken im Internet.

taz: Wie belastend ist die Situation für Sie, wenn ein Tier eingeschläfert wird?

Timmann: Man sollte auf jeden Fall immer davon überzeugt sein, dass es das Richtige ist. Aber trotzdem berührt es einen. Es bleibt der Akt, durch den man einem Lebewesen das Leben nimmt. Damit geht jeder anders um. Der eine zeigt auch seine eigene Trauer und der andere sagt: Ich bin hier derjenige, der der Fels in der Brandung sein muss. Für den Tierhalter ist das auf jeden Fall ein traumatischer Moment, der ihm in Erinnerung bleiben wird. Wenn es einem als Tierärztin mehrmals am Tag passiert, guckt man, dass man sich möglichst noch mit etwas Positivem beschäftigt und freut sich, wenn danach vielleicht ein Welpe zum Impfen kommt.

taz: Was ist bei Ihnen häufiger: dass Sie den Leuten klarmachen müssen, dass es im Interesse des Tieres ist, eingeschläfert zu werden? Oder dass Leute sagen, die Behandlung ist mir zu teuer, schläfern Sie das Tier lieber ein?

Timmann: Es gibt beides. Es gibt aber auch noch die juristische Sicht, das Tierschutzgesetz, das sagt, dass es eines vernünftigen Grundes bedarf für die Euthanasie. Da gibt es durchaus eine Grauzone. Es gibt ja Menschen, die würden die Behandlung gerne machen lassen, aber sie können es einfach nicht bezahlen. Dann versuchen die Kollegen, doch noch eine Lösung zu finden. Bis zu dem Punkt, dass sie die Tiere selbst übernehmen, ich habe das auch schon gemacht. Aber das geht natürlich nur begrenzt.

taz: Werden Sie zornig, wenn Sie das Gefühl haben, die Leute können, aber wollen nicht?

Timmann: Ich möchte da nicht die Richterin sein. Vielleicht ist das ein Mensch, der andere Verpflichtungen hat, weil er familiär etwas bezahlen muss. Es geht viel um Fingerspitzengefühl, das ist gerade für die jüngeren Kol­le­gin­nen und Kollegen herausfordernd. Wenn man das 20 Jahre gemacht hat, dann hat man natürlich auch Erfahrungswerte. Aber nebenbei müssen Sie ja noch das eigentliche Handwerk machen: eine Operation durchführen, Diagnosen stellen, Differenzialdiagnosen durchdenken und den vielen Dokumentationspflichten nachkommen. Dann haben Sie manchmal keine Zeit dafür, sich mal kurz hinzusetzen und zu fragen: Was mache ich denn jetzt mit meinen Emotionen? Früher war nicht alles besser, aber da hat man immerhin mal herumgestanden und zwei Minuten lang gewartet, dass ein Röntgenbild fertig ist.

taz: Und heute?

Timmann: Heute haben wir einen Mangel an Tierärzten und auch an tierärztlichem Fachpersonal. Es gibt im Praxisalltag nur noch wenig Pausen. Viele haben einen Knopf im Ohr. Während der Pausen machen sie noch eine Whatsapp-Beratung und der Anspruch vieler Tierhalter ist oft, dass alles möglichst sofort passiert. Der Ton in der Praxis ist deutlich schärfer geworden, bis zu tätlichen Angriffen durch Tierbesitzer.

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