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Tier­ärz­t*in­nen am LimitBluten für das Tierwohl

Angestellte der Veterinärmedizin an der FU klagen über schlechte Arbeitsbedingungen. Selbst ein Streik scheint möglich.

Überstunden für das Tierwohl sind bei Angestellten der Veterinärmedizin an der FU keine Seltenheit Foto: Monika Skolimowska/dpa

Berlin taz | Was nutzt ein Tarifvertrag, der nicht umgesetzt wird? Die Beschäftigten am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität (FU) klagen über schlechte Arbeitsbedingungen: Personalmangel, Marathonschichten, Arbeiten ohne die vorgeschriebenen Ruhezeiten, und das für weniger Geld, als es ihnen der Tarifvertrag zusichert.

Um dessen Umsetzung einzufordern, erwägen sie nun einen Streik. In einem Schreiben, das der taz vorliegt, berufen sie sich auf die Auslegung des Streikrechts der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Der zufolge kann das Streikrecht zur Geltung kommen, wenn sich Arbeitgeber bewusst tarifwidrig verhalten.

In einem offenen Brief ans Präsidium haben technische und medizinische Fachkräfte, wissenschaftliche Mitarbeitende und Tier­ärz­t*in­nen schon im März schwere Vorwürfe erhoben: So würden im Tarifvertrag vereinbarte Zuschläge für Nacht- und Feiertagsdienste sowie Überstunden teils nicht gezahlt – seit Jahren. Im Falle einer Tierpflegerin seien es über 10 Jahre mehr als 13.000 Euro gewesen, einer Tierärztin hätten in einem Jahr rund 6.800 Euro für Wechselschichten gefehlt.

Die Missstände bestehen schon lange. Bereits im Januar 2021 wies der Personalrat Dahlem, der die Beschäftigten der FU vertritt, darauf hin. Es habe Individualklagen gegeben, sagt Lukas Schmolzi von der Verdi-Betriebsgruppe der FU, der mit vielen Beschäftigten im Gespräch ist.

Überstunden durch Personalabbau

Zumindest der offene Brief hat etwas bewirkt: Anfang Juni beschloss das Präsidium, dass Ausstände einmalig für drei Jahre rückwirkend eingefordert werden können. Einreichungsfrist: der 30. September – weit weniger als die üblichen 6 Monate.

Für die Tierpflegerin würde das zwar eine Zahlung von rund 4.100 Euro bedeuten – gleichzeitig entgingen ihr über 9.000 Euro. Zumal die Zahlungen nicht das einzige Problem sind: Die Beschäftigten beklagen auch „stetigen Personalabbau“, die Arbeit aus gestrichenen Stellen sei einfach auf die verbliebenen verteilt worden.

Überstunden waren die einzige Lösung: „Jede nicht besetzte Schicht hätte zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung des Tierwohls geführt“, heißt es in dem Brief. Die ständige Überlastung führt auch dazu, dass Kol­le­g*in­nen kündigen. Wegen Personalmangels musste die 24/7-Notfallambulanz der Tierklinik bereits eingestellt werden.

Schwere Arbeitsunfälle

Doch gute Arbeitsbedingungen sind kein Luxus, sie sichern die Gesundheit der Beschäftigten ab. Was anderenfalls passieren kann, machte Anfang August ein schwerer Arbeitsunfall in der Abteilung für Tierernährung deutlich. Bei einer Begehung des Landesamts für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit sowie der Unfallkasse wurden mehrere Mängel festgestellt, darunter Arbeitszeitverstöße.

Der Personalrat weist darauf hin, dass er die Dienstpläne nicht überprüft konnte, weil sie ihm nicht vorlagen. Laut Verwaltungsgericht ist das eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts. Bereits 2017 hatte es einen schweren Arbeitsunfall im Zusammenhang mit Arbeitsschutz gegeben: Der Angestellte arbeitete allein in der Nachtschicht, seine Ablösung wäre erst zehn Stunden nach dem Unfall eingetroffen.

Verdi-Sekretärin Julia Dück, für die Hochschulen in Berlin und Brandenburg zuständig, sagt, die ausstehenden Zahlungen an der FU seien ein besonderer Fall. Personalmangel und Unterfinanzierung seien aber ein verbreitetes Problem: „Beschäftigte in Verwaltung und Technik arbeiten an der Belastungsgrenze. Das gilt auch für die Wissenschaft.“

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1 Kommentar

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  • Leider sehr verbreitetes Problem - wer in D an Uni oder ähnlichem arbeitet, kennt das. Arbeitsbedingungen ala 50er Jahre, Bezahlung dito, und dazu kann man sich regelmäßig anhören dass es sowieso ein Gnadenbeweis sei, wenn man den Job überhaupt machen dürfe.



    Kommt halt gerne dort an die Oberfläche, wo der Kontakt zur "Außenwelt" unvermeidlich ist, wie Tier- oder Humanmedizin. In den (Natur-) Wissenschaften ist es teilweise noch schlimmer, aber das kriegt ja niemand mit.