Tierärzt*innen am Limit: Bluten für das Tierwohl
Angestellte der Veterinärmedizin an der FU klagen über schlechte Arbeitsbedingungen. Selbst ein Streik scheint möglich.
Um dessen Umsetzung einzufordern, erwägen sie nun einen Streik. In einem Schreiben, das der taz vorliegt, berufen sie sich auf die Auslegung des Streikrechts der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Der zufolge kann das Streikrecht zur Geltung kommen, wenn sich Arbeitgeber bewusst tarifwidrig verhalten.
In einem offenen Brief ans Präsidium haben technische und medizinische Fachkräfte, wissenschaftliche Mitarbeitende und Tierärzt*innen schon im März schwere Vorwürfe erhoben: So würden im Tarifvertrag vereinbarte Zuschläge für Nacht- und Feiertagsdienste sowie Überstunden teils nicht gezahlt – seit Jahren. Im Falle einer Tierpflegerin seien es über 10 Jahre mehr als 13.000 Euro gewesen, einer Tierärztin hätten in einem Jahr rund 6.800 Euro für Wechselschichten gefehlt.
Die Missstände bestehen schon lange. Bereits im Januar 2021 wies der Personalrat Dahlem, der die Beschäftigten der FU vertritt, darauf hin. Es habe Individualklagen gegeben, sagt Lukas Schmolzi von der Verdi-Betriebsgruppe der FU, der mit vielen Beschäftigten im Gespräch ist.
Überstunden durch Personalabbau
Zumindest der offene Brief hat etwas bewirkt: Anfang Juni beschloss das Präsidium, dass Ausstände einmalig für drei Jahre rückwirkend eingefordert werden können. Einreichungsfrist: der 30. September – weit weniger als die üblichen 6 Monate.
Für die Tierpflegerin würde das zwar eine Zahlung von rund 4.100 Euro bedeuten – gleichzeitig entgingen ihr über 9.000 Euro. Zumal die Zahlungen nicht das einzige Problem sind: Die Beschäftigten beklagen auch „stetigen Personalabbau“, die Arbeit aus gestrichenen Stellen sei einfach auf die verbliebenen verteilt worden.
Überstunden waren die einzige Lösung: „Jede nicht besetzte Schicht hätte zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung des Tierwohls geführt“, heißt es in dem Brief. Die ständige Überlastung führt auch dazu, dass Kolleg*innen kündigen. Wegen Personalmangels musste die 24/7-Notfallambulanz der Tierklinik bereits eingestellt werden.
Schwere Arbeitsunfälle
Doch gute Arbeitsbedingungen sind kein Luxus, sie sichern die Gesundheit der Beschäftigten ab. Was anderenfalls passieren kann, machte Anfang August ein schwerer Arbeitsunfall in der Abteilung für Tierernährung deutlich. Bei einer Begehung des Landesamts für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit sowie der Unfallkasse wurden mehrere Mängel festgestellt, darunter Arbeitszeitverstöße.
Der Personalrat weist darauf hin, dass er die Dienstpläne nicht überprüft konnte, weil sie ihm nicht vorlagen. Laut Verwaltungsgericht ist das eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts. Bereits 2017 hatte es einen schweren Arbeitsunfall im Zusammenhang mit Arbeitsschutz gegeben: Der Angestellte arbeitete allein in der Nachtschicht, seine Ablösung wäre erst zehn Stunden nach dem Unfall eingetroffen.
Verdi-Sekretärin Julia Dück, für die Hochschulen in Berlin und Brandenburg zuständig, sagt, die ausstehenden Zahlungen an der FU seien ein besonderer Fall. Personalmangel und Unterfinanzierung seien aber ein verbreitetes Problem: „Beschäftigte in Verwaltung und Technik arbeiten an der Belastungsgrenze. Das gilt auch für die Wissenschaft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen