: Seid fleißig!
Mehr Überstunden, weniger Teilzeit und arbeiten bis ins hohe Alter: ein Blick auf die Pläne der neuen Regierung zum Tag der Arbeit – und in die Welt
Von Barbara Dribbusch
Der junge Mann lümmelt auf der Couch in einem Pulli mit Lidl-Logo. „Championsleague gucken, ich bekomme Bürgergeld fürs Hinlegen. Schlafen, Heizung auf 5“, sagt „Herr Jobcenter“ auf Tiktok, „aber du musst hart arbeiten, Stapler fahren, deine verschwitzten Arbeitsschuhe anziehen. Dein Essen schmeckt nach Aral-Croissant!“ Was könnte besser sein, als von Grundsicherung zu leben?
Das passt auf Tiktok nicht allen. „Bürgergeld? Muss man abschaffen!“, fordert ein Gastronom, „Die Leute sollen arbeiten gehen.“ Über „Bürgergeld-Mamas“ lästert eine junge Frau, also über Alleinerziehende in der Sozialleistung. Und ungeachtet aller Realitäten verbreitet sich im Netz, dass fleißige Arbeitnehmer*innen weniger verdienen als Bürgergeldbezieher. Die Botschaft ist klar: Bürgergeld verleitet zum Nichtstun.
Die künftige schwarz-rote Regierung nimmt den Unmut und die Vorurteile auf, die von der Union schon im Wahlkampf befeuert wurden. Die kommende Koalition will, dass wir mehr arbeiten, und sie will das steuerlich fördern. Zuschläge für Überstunden sollen steuerfrei werden. Arbeitgeber können ihren Angestellten eine steuerfreie Prämie zahlen, wenn diese ihre Arbeitszeit aufstocken. Wer nach Erreichen des Rentenalters noch arbeitet, soll das Gehalt bis zu einer Grenze von 2.000 Euro im Monat steuerfrei bekommen.
Die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden soll außerdem abgeschafft und durch eine nur noch wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt werden. So können Arbeitgeber, etwa in der Gastronomie, überlange Schichten anordnen. Die dürfen Beschäftigte zwar ablehnen, Konsequenzen befürchten müssen sie dann aber trotzdem.
Zugleich soll das „Bürgergeld“ seinen Namen verlieren und nur noch „neue Grundsicherung für Arbeitssuchende“ heißen. Künftig soll für die Leistungsbezieher:innen der „Vermittlungsvorrang“ gelten, das heißt, sie sollen „schnellstmöglich“ eine Arbeit aufnehmen. Egal welche, und egal, ob sie vielleicht in einer Weiterbildung viel motivierter wären.
Die neue Politik sei für „die Fleißigen“, sagte CSU-Chef Markus Söder bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Und der künftige Kanzler Friedrich Merz ergänzte: „Wir wollen ein Land werden, in dem die Menschen Freude haben, zu arbeiten.“
Solche Reden zu den steuerlichen Förderungen von mehr Arbeit und dem Vermittlungsvorrang im Umgang mit Sozialleistungsbezieher:innen sind nicht nur sehr abwertend gegenüber den Empfänger:innen von Grundsicherung. Sie sind auch rückwärtsgewandt und realitätsfern. Von den erwerbsfähigen Grundsicherungsempfänger:innen sind schließlich nur 44 Prozent wirklich arbeitslos. Die anderen betreuen kleine Kinder, pflegen Angehörige, gehen zur Schule, sind Aufstocker:innen oder nehmen an einer Maßnahme teil.
Die Welt der „Arbeit“ ist vielfältiger geworden, als es die Reden vom „Fleiß“ vermuten lassen. Der Tag der Arbeit am 1. Mai ist ein guter Anlass, innezuhalten und einen Blick darauf zu werfen, wie und wodurch sich Arbeitswelt und Arbeitsethik in den vergangenen Jahren verändert und erweitert haben.
Was ist etwa mit unbezahlter Care-Arbeit? Väter und Mütter teilen sich Familienarbeit zunehmend auf, das war politisch so gewollt seit der Einführung des Elterngeldes – auch von der Union. „Mehr Überstunden“,„weniger Teilzeit“ ist für diese Arrangements nicht hilfreich.
Zudem gibt es große Unterschiede im Verschleiß und in der Selbstbestimmung bei der Arbeit. Eine Ärztin kann häufig noch nach Erreichen des Rentenalters Teilzeit in einer Praxis arbeiten, während es Zusteller:innen, Bauhandwerker:innen und Pfleger:innen im Job kaum bis zum Rentenalter schaffen. Dass bis zu 2.000 Euro Einkommen nach Eintritt ins Rentenalter steuerfrei sind, hilft dann wenig.
In der Pflege zum Beispiel, so erzählt es eine Abteilungsleiterin aus der Branche, haben manche Beschäftigte die Arbeitszeit reduziert, als der Stundenlohn erhöht wurde. Nicht aus Faulheit, sondern weil die Arbeit mit hilflosen Menschen in ständiger Unterbesetzung an Körper und Seele zerrt und die Stundenreduktion die einzige Möglichkeit ist, überhaupt die nächsten Jahre im Job zu bleiben.
Und was ist mit dem „Vermittlungsvorrang“ von Grund-sicherungsempfänger:innen? Wie sinnvoll ist es, Leute in irgendwelche Jobs zu zwingen, in der Zeitarbeit, im Warenlager, in der Gastronomie? Das widerspricht Erfahrungen etwa der Geflüchtetenintegration nach 2015. Damals und heute klagen Arbeitgeber, dass viele Geflüchtete lieber „McDonald’s-Jobs“ machen, für die man keine Ausbildung braucht, um möglichst schnell Geld zu verdienen. Dabei wären den Unternehmen im Mittelstand angesichts des allgegenwärtigen Fachkräftemangels neue Auszubildende lieber.
1,1 Millionen erwerbsfähige Menschen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern und aus der Ukraine sind derzeit im Bürgergeld, so die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Das ist viel, Integration braucht Zeit. Aber die Zunahme der Beschäftigung in den vergangenen 5 Jahren ist zu fast 90 Prozent auf Ausländer:innen zurückzuführen, so die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der AfD.
Ob Lagerarbeiter:innen, Zusteller:innen, Hilfspflegekräfte, Reinigungspersonal – Menschen mit Migrationshintergrund machen zudem oft die Arbeit, die Deutsche nicht machen wollen. Wenn der Aufenthaltsstatus an eine Beschäftigung geknüpft ist, werden sie erst recht ausbeutbar.
Die Demografie und das brüchig gewordene Aufstiegsversprechen verändern die alte Arbeitsethik. Auszubildende im Handwerk sind schwer zu bekommen. Auf Tiktok wirbt daher Malermeister Jens Hardt für die Arbeit im Handwerk. „Lasst euch nicht veräppeln, Leute! Nach der Ausbildung könnt ihr gutes Geld verdienen. Du hast immer gute Laune, hast immer Abwechslung als sexy Handwerker!“ Auch Hardt erlebt Veränderungen: „Kommt ein Bewerber zu mir, buntgefärbte Haare, Tattoos, gepierct, da sehen die Arbeitgeber mittlerweile drüber hinweg.“
Was die Arbeitsethik auch verändert, ist die Aussicht auf die Rente. Die Gen Z hat wenig Lust, für die Rente der Boomer zu zahlen, weil ihr Vertrauen ins Rentensystem gering ist. Vor allem aber: Die Aussicht auf den eigenen Aufstieg ist schlechter geworden. Stattdessen stößt die Gen Z auf große Ungerechtigkeiten in der Erbengesellschaft. In Metropolen mit hohen Wohnkosten kann man sich ein normales Leben mit einem bescheidenen Gehalt kaum noch leisten. Eine Immobilie lässt sich heute ohne Erbe kaum erwerben. Die Zufälligkeit in der Erbengesellschaft entspricht nicht irgendwelchen Fairnesskriterien, sondern ist ein Herkunftslotto. Ein Appell an eine Arbeitsethik kann den Frust nicht mildern.
Trotzdem ist die Erwerbsbeteiligung der 20- bis 24-Jährigen – was der Gen Z im Arbeitsmarkt entspricht – auf einen Höchststand seit Jahrzehnten geklettert, das sagt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Von Faulheit kann also keine Rede sein.
Eine Politik, die den Veränderungen in der Arbeitswelt und der Arbeitsethik gerecht werden will, muss daher auf mehreren Ebenen ansetzen. Sie muss den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen. Sie muss die Ungerechtigkeiten im Arbeitsverschleiß thematisieren. Sie muss dafür sorgen, dass Beschäftigte in Berufen mit Schichtarbeit, hoher körperlicher und nervlicher Belastung, früher abschlagsfrei in Rente gehen können als Beschäftigte in weniger belastenden Tätigkeiten.
Will man den vielen gesundheitlich angeschlagenen Grundsicherungsempfänger:innen gerecht werden, muss Teilzeitarbeit mit ergänzender Sozialleistung immer eine Option sein. Und natürlich kann man Vermögen und Erbschaften steuerlich mehr belasten.
Vielleicht weil die Dinge so kompliziert sind, will die Politik mit ein wenig „Fleißappell“ die Dinge vereinfachen. Nur kann so was nicht wirklich funktionieren. Sondern nur spalten.
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