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Druckerzeugnisse, leider vergessen

In den 1930er Jahren gab es in Deutschland eine breite jüdische Sportpresse. 1938 wurde sie verboten. Und nach 1945 wollte sich niemand mehr an sie erinnern

Martha Wertheimer in der Redaktion der „Offenbacher Zeitung“ um 1930, Fotograf unbekannt Foto: Fo­to: Jüdisches Museum Frankfurt

Von Martin Krauss

Da war ein Optimismus, im November 1938, der war schon wenige Tage später nicht mehr zu begreifen. Von einer unmittelbar bevorstehenden „Intensivierung der sportlichen Arbeit“ schwärmte die C.V.-Zeitung, das Organ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. „Je positiver die Mitarbeit aller bisherigen Helfer und Funktionäre ist, desto erfolgreicher wird der jüdische Sport die ihm verantwortungsbewußt gestellten Aufgaben zu lösen imstande sein.“ So stand es am 3. November 1938 in dem Blatt. Wenige Tage später wurde die C.V.-Zeitung verboten. Am 9. November fanden die Pogrome statt, von den Nazis orchestriert. Was als „Reichskristallnacht“ bezeichnet wird, war der Auftakt zur Schoah.

Und es war auch das Ende einer Phase in Deutschland, die viele Zeitgenossen als „Blütezeit“ des jüdischen Sports wahrgenommen hatten – und des Sportjournalismus. Seit 1933 hatte das Israelitische Familienblatt einen regelmäßigen Sportteil, seit 1935 die C.V.-Zeitung. Beide erschienen wöchentlich und beide waren durchaus auflagenstark. Die C.V-Zeitung hatte in der Weimarer Republik eine Auflage von etwa 70.000 Exemplaren aufgewiesen, nach 1933 waren es immer noch etwa 40.000. Das Israelitische Familienblatt, das keine Verbandszeitung war, sondern von einem privaten Verleger herausgegeben wurde, hatte Mitte der 1930er Jahre noch eine Auflage von etwa 30.000.

Im Sport präsent waren Juden und Jüdinnen vor 1933 sehr wohl, aber man nahm sie meist nicht als Juden wahr. Sie waren Mitglieder des bürgerlichen Sports mit seinen Verbänden wie Deutsche Turnerschaft oder Deutscher Fußballbund, oder sie gehörten Clubs des Arbeitersports an. Organisierter jüdischer Sport war klein. Er fand statt im Deutschen Makkabi-Kreis, im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (Schild), im Verband Jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine (Vintus) und in den wenigen Arbeitersportvereinen des Hapoel. Im Jahr 1933 waren in Makkabi-Vereinen etwa 3.000 Sportler und Sportlerinnen aktiv, bei Schild etwa 2.500, und die anderen waren sogar noch deutlich kleiner. Zum Vergleich: Der katholische Sportverband Deutsche Jugendkraft (DJK) hatte im Jahr 1930 fast 700.000 Mitglieder, sein evangelisches Pendant Eichenkreuz über 220.000. Anders als etwa im katholischen Milieu war für die meisten deutschen Juden in der Weimarer Republik Sport keine Veranstaltung, die an Religion gebunden war.

Doch im Frühjahr 1933 warfen die bürgerlichen Vereine ihre jüdischen Mitglieder hinaus. Das kam so überraschend und war so gründlich, dass es sogar der NS-Führung zu schnell ging. Die sorgte sich vor den Olympischen Spielen 1936 um ihr Image im Ausland. Da der Arbeitersport, ob sozialdemokratisch oder kommunistisch, 1933 auch verboten wurde, hieß das für jüdische Sportler und Sportlerinnen: Sie gingen in jüdische Vereine, in Makkabi oder Schild. Die hatten bald über 50.000 Mitglieder. Das brachte enorme Herausforderungen mit sich. Teils bauten sie in Eigenregie neue Sportplätze, leere Fabrikhallen oder Tanzsäle wurden gekauft und zu Turnhallen umgestaltet.

Das NS-Regime hatte im April 1933 mit Hans von Tschammer und Osten einen „Reichssportführer“ berufen. Der wandte sich im November an Makkabi und Schild. „Gegen sportliche Betätigung selbständiger jüdischer Vereine“, schrieb er, „habe ich nichts einzuwenden.“ Blätter wie das Israelitische Familienblatt druckten die Erklärung ab. In nichtjüdischen Zeitungen war von ihr nichts zu lesen.

Die jüdischen Zeitungen berichteten vor allem über das, was in Makkabi- und Schild-Vereinen geschah. Die waren einander spinnefeind. Noch im Juni 1934 fasste Makkabi einen Unvereinbarkeitsbeschluss in Bezug auf Schild. Und der Schild-Vorsitzende Leo Löwenstein schrieb im Mai 1933 sogar an Hitler, das neue Regime solle doch bitte alle jüdischen Vereine auflösen und einen gemeinsamen neuen Verband gründen – unter Leitung des Schild.

Während die meisten jüdischen Zeitungen als Verbandsblätter nur die jeweilige Klientel bedienten, kümmerten sich die C.V.-Zeitung und noch mehr das Israelitische Familienblatt um beide Flügel der jüdischen Sportbewegung. Im Familienblatt war mit Martha Wertheimer eine Sportjournalistin aktiv, die schon in der Weimarer Republik – als eine der sehr wenigen Frauen in diesem Beruf – bei der Offenbacher Zeitung über (Männer)-Fußball geschrieben hatte.

Als die C.V.-Zeitung mit ihrem „Sportblatt“, das einen eigenen Zeitungskopf bekam, an den Start ging, warb sie gleich in der ersten Ausgabe unter der Überschrift „Neutralität im Sport“ für ein Zusammengehen von Makkabi und Schild. Hier war Ernst Gottfried Lowenthal der verantwortliche Sportredakteur. Er war kein ausgebildeter Journalist, sondern promovierter Wirtschaftswissenschaftler, der für den C.V., den Central-Verein, gearbeitet hatte. „Wer trägt den Schaden?“, fragte Lowenthal bezüglich der Konkurrenz von Makkabi und Schild – und antwortete auch: „Der aktive Sportler, der auf Spielmöglichkeiten mit guten Gegnern des anderen Verbandes verzichten muß.“ Im Januar 1936 begann das „Sportblatt“ mit einer sich über mehrere Wochen ziehenden Reihe „Aufbauende Kritik“, in der Vorschläge für ein konstruktives Zusammengehen gemacht wurden. Nach einem Jahr Sportteil wurde im Oktober 1936 eine zufriedene Zwischenbilanz gezogen: „Das ‚Sportblatt‘ geht in ein zweites Jahr, entschlossen, am Weiterbau des jüdischen Sports in Deutschland zum Nutzen der jüdischen Jugend nach Kräften mitzuwirken.“

Das zentrale sportpolitische Thema des NS-Regimes waren die Olympischen Spiele 1936. Doch genau die fanden in den Sportteilen der jüdischen Presse kaum statt. „Unmittelbar vor, während und nach Ende der Wettkämpfe durften die Schriftleiter jüdischer Zeitungen keine Berichte über die Spiele veröffentlichen“, schreiben die Sporthistoriker Lorenz Peiffer und Henry Wahlig. Ihre Vermutung: Das NS-Regime wollte Olympia in jeder Hinsicht als eine arisch deutsche Veranstaltung präsentieren, bei der Juden nichts zu suchen hätten.

„Gegen sportliche Betätigung selbständiger jüdischer Vereine habe ich nichts einzuwenden“

Hans von Tschammer und Osten, Reichssportführer

Die NS-Sportpolitiker hatten auf Druck der internationalen Öffentlichkeit zugestanden, dass auch jüdische Athleten und Athletinnen im deutschen Team antreten durften. Da die aber schon aus den arisch-deutschen Vereinen hinausgeworfen waren, wurden sogar eigene jüdische Olympiavorbereitungslehrgänge organisiert. An einem nahm etwa die Hochspringerin Gretel Bergmann teil, die zur Weltklasse gehörte, aber letztlich vom Regime ausgebootet wurde. Auch der Zehnkämpfer Paul Yogi Mayer oder die Kugelstoßerin Inge Mello gehörten zu den deutsch-jüdischen Medaillenhoffnungen – bei Olympia dabei war letztlich niemand von ihnen. Teilgenommen hat in Garmisch-Partenkirchen der Eishockeyspieler Rudi Ball, der 1933 nach Italien gegangen war, und in Berlin die Fechterin Helene Mayer, die in den USA lebte. Beide galten in den Kategorien der Nazis als „Halbjuden“.

Die Nazi-Zensur sorgte dafür, dass die jüdischen Zeitungen nicht einmal von der Vorbereitung jüdischer Sportler auf Olympia berichten durften. „Während die gesamte Weltöffentlichkeit im August 1936 ihre Augen auf Berlin richtete“, beschreiben Peiffer und Wahlig die Situation, „durften die jüdischen Zeitungen in dieser Stadt nur über kleine Sportfeste berichten, die isoliert vom Weltsport auf dem Platz der Jüdischen Gemeinde im Grunewald ausgetragen wurden.“

Doch nicht nur. Zum einen hatten die Journalisten Ideen, wie sie diese Art der Sportpressezensur umgehen konnten, etwa in dem sie in Rückblicken auf die Erfolge jüdischer Athleten bei früheren Olympischen Spielen berichteten. Die Verbandszeitung Der Schild führte etwa ein Interview mit dem deutsch-jüdischen Olympiasieger von 1896, Alfred Flatow. Das Israelitische Familienblatt veröffentlichte gleich eine ganze Serie über jüdische Olympiasieger. Und zum anderen berichteten die Blätter ausführlich über die Erfolge jüdischer Sportler in aller Welt – auch solcher, die vor dem NS-Regime fliehen mussten. Über die Auftritte beispielsweise des Tennisspielers Daniel Prenn oder des Boxers Erich Seelig, der sich in den USA Eric Seelig nannte, war nur noch in den Sportteilen jüdischer Zeitungen etwas zu erfahren.

Jadwiga Wajs, polnisch-jüdische Weltklasseathletin, über deren Olympia-Silber 1936 die jüdische Sportpresse nicht berichten durfte Foto: imago/UIG

Nach den Olympischen Spielen 1936 nahm das NS-Regime immer weniger Rücksicht, die Repression wurde immer unverhüllter ausgeübt. Nach den Novemberpogromen 1938 schlug sie in offenen Terror um. Die jüdischen Sportverbände wurden verboten, die jüdischen Zeitungen ebenso, alles jüdische Leben in Deutschland.

Ernst Gottfried Lowenthal, der das „Sportblatt“ der C.V.-Zeitung verantwortet hatte, blieb noch bis April 1939 und konnte erst im letzten Moment nach England fliehen. 1946 kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete für jüdische Einrichtungen.

Martha Wertheimer, die beim Israelitischen Familienblatt den Sport betreut hatte, kümmerte sich in der Israelitischen Waisenanstalt in Frankfurt/Main um die Kinder, die dort in immer größerer Zahl lebten. 1942 wurde sie nach Sobibor deeportiert. Ihr genaues Schicksal ist nicht bekannt: Vielleicht nahm sie sich das Leben, vielleicht wurde sie unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.

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