Rückgabe von NS Raubkunst: Museen im Zwielicht, Minister obenauf
Nazis, gestohlene Kunst, sexuelle Belästigung: Der Chef der Staatsgemäldesammlungen ist nicht länger im Amt. Der Christsoziale Markus Blume aber bleibt Bayerns Kunstminister.
Der Generaldirektor der staatlichen Gemäldesammlungen in München räumt seinen Posten. Doch mit der mutmaßlichen Verschleppung bei der Aufklärung von Raubkunstfällen habe das nichts zu tun, sagte der bayerische Kunstminister Markus Blume (CSU) in der vergangenen Woche.
Bernhard Maaz, immerhin seit zehn Jahren Chef der staatlichen Gemäldesammlungen, wird ans Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte versetzt. Seinen alten Posten übernimmt vorläufig Anton Biebl, bisher Kulturreferent der Landeshauptstadt und künftiger Museumsmanager.
Tatsächlich tut sich nach der offensichtlichen Verschleppung bei der Rückgabe von NS-Raubkunst ein zweiter Skandal auf, in dem es um sexuelle Belästigungen in den Räumen von Museen der Staatsgemäldesammlungen geht, zu denen auch die weltberühmten Pinakotheken gehören.
„Ein rechter Verhau“
Dazu und zu der Frage, warum Generaldirektor Maaz durch Biebl ersetzt wurde, mochte sich Kunstminister Blume nicht näher äußern. „Es sind Vorwürfe in der ganzen Breite. Und man kann es auf Bairisch kurz machen: Es ist ein rechter Verhau“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk.
Mindestens zwei minderjährige Schülerinnen beklagten nach Informationen des Senders, sie seien sexuell bedrängt, nach Telefonnummern gefragt, körperlich berührt und durch Räume bis ins Museumscafé verfolgt worden. Videoanlagen sollen zudem zur Überwachung von Beschäftigten missbraucht worden sein. Aus einem Lagerraum seien Imitate von Reisepässen, die für ein Ausstellungsobjekt angefertigt worden waren, entwendet und an Mitarbeitende verteilt worden.
Zudem gebe es den Vorwurf mangelnder Sicherheitsstandards. Auch ist von rassistisch motivierten Belästigungen die Rede. Insgesamt soll es sich um 19 intern dokumentierte Vorwürfe handeln, berichtete der Deutschlandfunk.
Der neue Skandal in den Museumsräumen gab Kunstminister Blume die Möglichkeit, sich vom Chef der Staatsgemäldesammlungen zu trennen, ohne dass die Finger auf ihn selbst gerichtet wurden. Bei der Debatte um verschleppte Ansprüche auf Nazi-Raubkunst steckt der Minister schließlich selbst mit im Sumpf.
Streit für Rückübertragung von Klee-Werken
Blume hat dafür gesorgt, dass Kunstwerke wie die berühmte „Madame Soler“ von Pablo Picasso einer Überprüfung durch eine unabhängige Kommission entzogen wurden, obwohl Hinweise dafür vorliegen, dass es sich um das Eigentum von verfolgten Juden im NS-Staat handelte. Gleiches gilt für eine Reihe von Werken, darunter zwei Gemälden von Paul Klee, bei denen Nachfahren des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim für ihre Rückübertragung streiten.
Zuletzt machte eine ominöse hausinterne Liste der Staatsgemäldesammlungen aus dem Jahr 2020 Furore, die an die Süddeutsche Zeitung (SZ) geleakt worden war. Ihr zufolge sollten knapp 200 Werke der Staatsgemäldesammlungen unter dem dringenden Verdacht stehen, als NS-Raubkunst ab 1933 ihren Besitzern gestohlen worden zu sein. Tatsächlich, so Blume, stünden aber „nur“ 97 Kunstwerke unter diesem Verdacht, der nunmehr eher vage sein soll.
Anwälte der Nachfahren verfolgter Jüdinnen und Juden beklagen, sie seien nicht über diese Fälle informiert worden, wie es eigentlich verpflichtend vorgesehen ist. „Die Vorkriegseigentümer und ihre Erben sollten ermutigt werden, ihre Ansprüche auf Kunstwerke, die durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückgegeben wurden, anzumelden“, heißt es dazu eindeutig in den Washingtoner Prinzipien zur Rückgabe von NS-Raubkunst, die die Bundesrepublik unterzeichnet hat.
Israelitische Kultusgemeinde schaltet sich ein
Die Affäre um NS-Raubkunst im Besitz des Freistaates Bayern versetzte in den vergangenen Wochen diverse Amtssessel in gefährliche Schwingungen. Im März hatte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, den Finger in die Wunde gelegt.
„Das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Politik und Museen in Sachen Restitution geraubten Gutes ist erschüttert“, schrieb sie in der SZ, „es darf nicht verspielt werden.“ Bekenntnisse zur historischen Verantwortung habe man lange genug gehört. Knobloch rief dazu auf, „schnellstmöglich Klarheit“ zu schaffen.
Einer moralischen Instanz wie Knobloch können sich in München auch Minister schlecht entziehen. Markus Blume versprach denn auch, dass ein neues Team die bisher in den Staatsgemäldesammlungen unternommene Provenienzforschung untersuchen werde.
Daraus soll im Sommer ein Gremium erwachsen, dem auch Vertreter von Opferverbänden angehören und das wiederum eine Kommission „Historische Verantwortung“ vorbereiten soll. Wer diese Kommission leiten werde, vermochte Blume nicht zu sagen. Eine weitere „Reformkommission“ soll Empfehlungen für eine Organisationsreform der bayerischen Kunstmuseen vorschlagen.
„Minister Blume schiebt wieder einmal Verantwortung ab und spielt weiter auf Zeit“, erklärte dazu Rechtsanwalt Markus Stötzel, der Anspruchsberechtigte in NS-Raubgutfällen vertritt. Man wisse schon gar nicht mehr, wie viele Gremien, Kommissionen und Beauftragte es gebe. Stötzel beklagte, dass der Minister Informationsanliegen seit Wochen nicht beantworte.
Die Kläger sterben weg
Seine Klienten werden nicht jünger. Einer der Erben von mutmaßlich Alfred Flechtheim entzogenen Kunstwerken heißt Michael Hulton und ist 78 Jahre alt. Mit-Erbin Penny Hulton ist im vorigen Jahr im Alter von 96 Jahren verstorben. Für sie kommt jede Reform zu spät.
Doch unabhängig davon, welche Änderungen am Ende in München bei der Rückgabe von NS-Raubkunst herauskommen – einen Erfolg wird sich Kunstminister Blume nicht mehr nehmen lassen. Er hat durch sein Veto dafür gesorgt, dass Picassos „Madame Soler“ nicht der beratenden Kommission NS-Raubkunst vorgelegt wird.
Diese Kommission steht in diesem Jahr vor der Auflösung. Ersetzt wird sie nach Zustimmung aller Länderkabinette und des Bundeskabinetts durch ein Schiedsgericht. Mit Ansprüchen von Erben Verfolgter befasste Rechtsanwälte befürchten, dieses könnte in seinen Entscheidungen deutlich den Vorstellungen von deutschen Museen zuneigen – und den Nachfahren von Opfern weniger Gehör schenken.
Blume hat einer Befassung von „Madame Soler“ durch das Schiedsgericht schon zugestimmt.
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