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Großkundgebung für Freilassung İmamoğlusMachtdemonstration der türkischen Zivilgesellschaft

Die Proteste gegen die politisch motivierte Inhaftierung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu reißen nicht ab. Am Samstag kommen in Istanbul Massen zusammen.

Schon am kommenden Mittwoch könnte dieser ältere Herr schon wieder auf einer Demo in Istanbul zu finden sein Foto: Dylan Martinez/reuters

Istanbul taz | Es war eine Machtdemonstration. Wohl noch nie in der Türkei haben so viele Menschen für die Freilassung eines Politikers demonstriert wie am Samstag in Istanbul. Auch wenn die Behauptung des CHP-Vorsitzenden Özgür Özel, zwei Millionen Menschen seien zur Kundgebung in dem Istanbuler Stadtteil Maltepe gekommen, übertrieben war – eine halbe Million UnterstützerInnen des inhaftierten Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu waren sicher da. İmamoğlus Partei, die sozialdemokratisch-kemalistische CHP, hatte gerufen und alle kamen.

Traditionell hält die CHP in Istanbul ihre Großkundgebungen in Maltepe, auf der asiatischen Seite der Stadt, ab. Schon zwei Stunden vor Beginn der Kundgebung, die um 12 Uhr mittags starten sollte, drängten die Massen in Richtung Kundgebungsplatz. Um 14.30 Uhr, kurz bevor Özgür Özel als Hauptredner der Kundgebung loslegte, kamen immer noch Tausende mit der S-Bahn, mit Schiffen und Bussen an, die unbedingt noch auf den riesigen Kundgebungsplatz am Meer gelangen wollten.

Für die CHP war die Kundgebung ein enormer Erfolg. Sämtliche Oppositionsparteien einschließlich der kurdischen DEM waren vor Ort, aber wohl 90 Prozent der TeilnehmerInnen waren CHP-Mitglieder oder Sympathisanten der Partei. Unter ihnen sehr viele Frauen, die am meisten fürchten, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan die säkulare Türkische Republik in einen islamischen Staat verwandeln könnte. So war es denn auch nicht verwunderlich, dass auf dem weiten Rund des Kundgebungsplatzes Fahnen mit einem Porträt Mustafa Kemal Atatürks, des Gründer der säkularen Republik, dominierten. Bevor es richtig losging, ließen die Veranstalter dann auch noch den Unabhängigkeitsmarsch Atatürks erklingen, und Hunderttausende standen stramm und sangen mit.

In Istanbul lassen sich die Massen nicht davon abhalten, gegen Erdoğans Unterdrückung der Opposition zu demonstrieren Foto: Francisco Seco/dpa

Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit

Klugerweise ließ die CHP-Führung vor Özgür Özel erst einmal zwei Frauen reden. Die populäre Bezirksbürgermeisterin von Üsküdar, Sinem Dedetas, begann, und Dilek İmamoğlu, die Frau des eingesperrten Bürgermeisters, durfte dann fortsetzen. Beide beschworen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Freiheit, die die Republik bieten würde im Gegensatz zur islamischen Autokratie Erdoğans.

Özgür Özel hielt dann eine Rede, in der er sich sicher gab, dass Ekrem İmamoğlu bald wieder das Gefängnis verlassen und über kurz oder lang der nächste Präsident der Türkei sein wird. „Wir werden gewinnen, wir werden gewinnen“, versicherte er der begeisterten Menge. Präsident Recep Tayyip Erdoğan dringe trotz seiner Drohungen, trotz 2000 Festnahmen, trotz 400 Verhaftungen und massiver Repression gegen alle oppositionellen Medien bei den Leuten nicht mehr durch.

Hunderttausende sind auf der Straße und haben keine Angst mehr. Die CHP will das Momentum jetzt nicht aus der Hand geben. Trotz Bayram-Ferien soll die nächste Großkundgebung in Istanbul bereits am kommenden Mittwoch stattfinden, zusätzlich will die Partei an jedem kommenden Samstag in einer anderen türkischen Großstadt antreten.

Den Beginn wird Trabzon am Schwarzen Meer machen. „Wir werden die Proteste so lange fortsetzen, bis İmamoğlu aus dem Gefängnis kommt und Erdoğan den Weg für Neuwahlen freimacht“, erklärt Özel dieser Tage immer wieder. Nach der Machtdemonstration am Samstag hört sich das nicht mehr so unwahrscheinlich an wie noch vor einer Woche, als İmamoğlu verhaftet wurde.

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5 Kommentare

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  • Der Begriff "Zivilgesellschaft" hat in Bezug auf die Türkei offenbar eine andere Bedeutung als in Bezug auf Deutschland: Die türkische Zivilgesellschaft bedarf keiner finanziellen Förderung durch die Regierung, und sie erhält auch keine.

  • Die Frage ist doch nicht ob, sondern wie weit Erdogan den Druck erhöhen wird - und wann die CHP - Führung einknickt. Würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn die Partei Atatürks es schaffen würde, mit klarem demokratischen Kurs ein Bündnis für eine freie Demokratie zu schmieden.

  • Die Menschen in der Türkei sind einfach nur noch genervt von Erdogan und dem AKP-Klüngel. Wir haben einen Verwandten in Istanbul, der mit einem Kompagnon Jahrzehnte ein Lebensmittelgeschäft hatte, dass sie letztes Jahr schließen konnten weil vom Umsatz nichts mehr hängen blieb, weil sich die Menschen immer weniger leisten konnten und jedesmal wenn Erdogan sich in die Wirtschaft eingemischt hat die Inflation einen Sprung machte. Bei der Verhaftung von Imamoglu gingen auch mal wieder die Preise hoch. Die Türkei hat ein großes Potential, dass unter politischem (pseudoreligiösem) Haß und Filz erstickt.

  • Wie ich schon mal geschrieben habe, Demonstrationen in Istanbul werden in der Türkei nicht das geringste ändern.

    • @Manfred Peter:

      Inzwischen sind es keineswegs mehr nur Demonstrationen in Istanbul, sondern die Demonstrationen finden landesweit statt.

      'Im 'ganzen Land sind ... inzwischen Menschen auf den Straßen'.

      Neben Istanbul auch in Ankara, Izmir, Antalya, Sakarya, Eskişehir



      'und vielen weiteren Städten'.

      (TAZ vom 23.03 2025, 20:43 Uhr.)



      taz.de/Protestbewe...-Tuerkei/!6074661/