Nach dem Erdbeben: „Ihr nennt es Myanmar, wir nennen es Hölle“
In Mandalay vergrößert Regen das Leid der Erdbebenopfer. In Trümmern Verschüttete haben keine Überlebenschance mehr. Leichengeruch breitet sich aus.

Myanmars zweitgrößte Stadt mit gut 1,5 Millionen Einwohnern liegt in unmittelbarer Nähe des Epizentrums des schweren Erdbebens vom 28. März. Zu sehen sind umgekippte Zelte. Bis zu den schweren Regenfällen am Wochenende waren das Notunterkünfte für Überlebende des Bebens, die nicht in ihre zerstörten oder beschädigten Häuser zurückkehren konnten. Auf einem Foto hängen Zeltstangen und grauer Zeltstoff in einem Baum.
Jessi studiert in der Hafenmetropole Yangon Sozialwissenschaft und beteiligt sich an humanitären Einsätzen einer Jugendgruppe. In den letzten Tagen brachte sie Essen und Wasser in besonders stark betroffene Gebiete im Zentrum des Landes. „Das Militär behindert die Hilfslieferungen, wodurch viele Menschen sterben mussten“, kritisiert die junge Frau. Ein chinesischer Hilfskonvoi sei sogar vom Militär beschossen worden.
Das Beben der Stärke 7,7 hat in dem Bürgerkriegsland schwere Verwüstungen angerichtet. Zuletzt wurden 3.514 Tote gezählt, davon allein 2.100 in Mandalay. 210 Personen werden noch vermisst. Überlebenschancen haben sie nicht mehr.
Militär kontrolliert die Hilfen
Das herrschende Militär achtet darauf, die Kontrolle über die Nothilfe zu behalten und keine Hilfe in Rebellengebiete zu lassen. Am 1. Februar 2021 hatten sich die Generäle in dem südostasiatischen Land an die Macht geputscht. Seitdem herrschen sie mit Gewalt, was eine breite Widerstandsbewegung bewaffneter wie ziviler Gruppen befeuert hat.
Seit dem Putsch ist es für westliche Journalisten so gut wie unmöglich, sich vor Ort ein Bild zu machen. Laut UN waren schon vor dem Beben 3,5 Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht und viele auf Hilfslieferungen angewiesen.
„Es kommt landesweit regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen und gewalttätigen Auseinandersetzungen, auch mit Schusswaffengebrauch“, schreibt das Auswärtige Amt auf seiner Webseite. Wer berufsbedingt nach Myanmar reisen muss, sollte sich vorher um sein Testament kümmern, heißt es dort weiter.
„Viele junge Menschen aus Myanmar, die derzeit im Ausland sind, wollen helfen, aber es wäre zu gefährlich für sie zurückzukehren. Sie könnten zum Militärdienst verpflichtet werden. Deshalb organisieren sie Unterstützung aus dem Ausland“, sagt Jessi.
„Bisher fließen Hilfslieferungen ausländischer Regierungen aber oft direkt an die Militärregierung – und nicht dorthin, wo sie gebraucht werden. Wer wirklich wirksam helfen will, sollte direkt an Organisationen spenden, die vor Ort arbeiten“, betont sie.
„Das Erdbeben vergrößert das Leid des Putsches“
„Der größte Bedarf besteht im Moment an Wasser, Unterkünften und der Bewältigung von Erdrutschen und eingestürzten Gebäuden“, berichtet die junge Frau. „Ihr nennt es Myanmar, wir nennen es die Hölle.“ Angesichts des starken Regens der letzten Tage befürchtet sie, dass das Leid nur noch größer wird.
Eine Person, die nicht nach Myanmar zurückkehrt, ist Ye. Er ist Ende 20 und arbeitet von Thailand aus für eine Hilfsorganisation in Myanmar. Seine NGO hilft jetzt bei der Bergung von Verschütteten. Ein großes Problem sei laut ihm der Mangel an Ausrüstung, um mit den eingestürzten Gebäuden umzugehen.
„Wir brauchen Lebensdetektoren und andere teure Geräte. Kurz nach dem Beben hatten wir keine und auch jetzt sind vor Ort nicht genug vorhanden“, sagt er.
Ye vergleicht die Lage mit der in Thailand, wo mehr Geld, Koordination und technisches Equipment zur Verfügung stehen, um die Folgen eines solchen Bebens zu meistern. Seiner Meinung nach ist auch mehr internationale Hilfe nötig – eben Menschen und Equipment von außerhalb. „Nicht nur das Erdbeben, sondern auch der Militärputsch ist schuld an dieser Lage“, sagt er. „Durch den Putsch leidet Myanmar bereits seit Längerem unter einem Mangel an medizinischer Versorgung und staatlichen Hilfen für Bedürftige. Das Erdbeben verschärft die Situation enorm.“
Der Mangel an Trinkwasser könnte zu Krankheiten führen
Als die Erde bebte, war der 22-jährige Win gerade in Mandalay an der Uni. Er rannte mit Mitstudierenden und Lehrkräften panisch aus den Gebäuden ins Freie. Sein erster Gedanke galt seiner Familie. Er erreichte seine Verwandten und Freunde – sie waren unversehrt. Doch das Elternhaus seiner Freundin lag in Trümmern.
Win sammelt jetzt von Mandalay aus Spenden über das Internet, um Wasserfilter für diejenigen zu bauen, die keinen Zugang mehr zu sauberem Wasser haben. Viele im Land sorgen sich, dass der Mangel an Trinkwasser zu einer Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen führen könnte. In den letzten Tagen half Win auch bei der Bergung von Verschütteten sowie bei Aufräumarbeiten.
Die Lage in Mandalay beschreibt er mit einem einzigen Wort: „erschreckend“. Die Kommunikation gestalte sich schwierig, da Telefonleitungen kaum funktionierten. Strom sei nur zwei, drei Stunden am Tag verfügbar. „Wer ins Krankenhaus muss, muss sich selbst dorthin begeben“, sagt er.
Große Kommunikationsprobleme
Ohne Strom sei auch das Telefonieren oder Absetzen eines Notrufs nicht möglich. Das Militär beschränkt zudem den Zugang zum Internet, das die Bevölkerung nur mit Verschlüsselung sicher nutzen kann. Wegen beschädigter Straßen und Kommunikationsproblemen erreichen Rettungsdienste oft nicht rechtzeitig die Bedürftigen. Vieles läuft bisher über Messenger-Dienste und per Facebook – die Menschen helfen sich selbst, weil ihnen kaum jemand hilft, zumindest nicht das Militär.
Eine große Herausforderung, sagt Win, seien die verschütteten Leichen, die bisher noch nicht geborgen werden konnten. Durch Mandalay ziehe ein unerträglicher Gestank, berichtet er. Außerdem fürchten sich viele Menschen vor Nachbeben. „Deshalb schlafen sie auf der Straße und an offenen Plätzen, um nicht von einstürzenden Gebäuden erfasst zu werden“, sagt er. Doch jetzt ist der Regen das große Problem.
Letzte Woche erklärte das Militär direkt vor einer Auslandsreise des Juntachefs Min Aung Hlaing eine Feuerpause und erwiderte damit eine Initiative des bewaffneten Widerstands. Damit wollte der vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesuchte General wohl für positive Stimmung bei seinen Gesprächspartnern in Bangkok sorgen. Doch gab es seitdem zahlreiche Berichte, dass das Militär weiterhin Orte unter Kontrolle der Rebellen beschossen hat.
„Es wird voraussichtlich fünf bis zehn Jahre dauern, bis wir uns von den Schäden erholen. Myanmar ist ein armes Land, finanzielle Mittel fehlen“, sagt Wind.
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