Arabischer Aufstand 1936: Boykott und Brutalität
Oren Kessler hat ein Buch über den Aufstand in Palästina im Jahr 1936 geschrieben. Er entdeckt darin eine übersehene Wurzel des Nahostkonflikts.

Wie sie mit ihren Beiträgen auf Social Media ungewollt dokumentieren, haben viele Leute wenig Ahnung von der Geschichte jenes schmalen Fleckens am östlichen Mittelmeer – wissen aber genau, wer am dortigen Elend schuld ist und wann es angefangen hat: 1948.
Den Journalisten Oren Kessler, der in Tel Aviv lebt, hat dieser Umstand möglicherweise dazu animiert, in seinem eben erschienenen Buch „Palästina 1936. Der Große Aufstand und die Wurzeln des Nahostkonflikts“ vor allem die Quellen sprechen zu lassen und sich mit Interpretationen des Geschehens zurückzuhalten. Angesichts der allgegenwärtigen Emotionalisierung eine kluge Entscheidung.
Die taz ist bei der Leipziger Buchmesse vom 27. bis 30. März mit einem eigenen Stand vor Ort in Halle 5, Stand G500. Dort werden auch wieder in zahlreichen Talks taz-Autor:innen lesen und diskutieren. Die taz Talks werden auf dem youtube-Kanal der taz live gestreamt. Zur Buchmesse erscheint am 27. März auch wieder die literataz, eine taz mit 12 Extraseiten. Die vergangenen Ausgaben können Sie hier downloaden.
Unser Programm
🐾 Donnerstag 27.03.25
11:00 Uhr: „Post-“ – Nachruf auf eine Vorsilbe – Dieter Thomä
11:45 Uhr: Lauf, Mama, Lauf! – Mareike Barmeyer
12:30 Uhr: Als wäre es vorbei – Katja Petrowskaja
13:15 Uhr: Macht im Umbruch – Herfried Münkler
14:00 Uhr: Zuhause ist das Wetter unzuverlässig – Carolin Würfel
14:45 Uhr: Das Deutsche Demokratische Reich – Volker Weiß
15:30 Uhr: Ginsterburg – Arno Frank
16:15 Uhr: Klapper – Kurt Prödel
19:00 Uhr @Galerie KUB: Was wäre, wenn wir mutig sind – Luisa Neubauer
🐾 Freitag 28.03.25
11:00 Uhr: Trotteln – Robert Seethaler, Rattelschneck
11:45 Uhr: Fischtage – Charlotte Brandi
12:30 Uhr: Russische Spezialitäten – Dmitrij Kapitelman
13:15 Uhr: Schwebende Lasten – Annett Gröschner
14:00 Uhr: Oh! Dalmatien – Doris Akrap
14:45 Uhr: Reise in die Mediengesellschaft USA – Julia Belzig
15:30 Uhr: Meine Sonnenallee – Jan Feddersen
16:15 Uhr: Digitale Diagnosen – Laura Wiesböck
17:00 Uhr: Traumaland – Asal Dardan
🐾 Samstag, 29.03.2025
10:15 Uhr: Edition Le Monde diplomatique: Indien – Modi und die Farbe der Macht – Sven Hansen, Jakob Farah
11:00 Uhr: Pazifismus, ein Irrweg? – Pascal Beucker
11:45 Uhr: Kipppunkte – Georg Diez
12:30 Uhr: Zuhören – Bernhard Pörksen
13:15 Uhr: Die dunkle Seite der Sprache – Tim Henning, Nikola Kompa, Christian Nimtz
14:00 Uhr: Norwegen, wir kommen auf Umwegen! – Wahrheitsklub mit Harriet Wolff, Andreas Rüttenauer, Rattelschneck aka Marcus Weimer, LAMINATOR
14:45 Uhr: Die Spree – Uwe Rada
15:30 Uhr: Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza – Muriel Asseburg
16:15 Uhr: Autoritäre Rebellion – Andreas Speit
17:00 Uhr: Frau Zilius legt ihr erstes Ei an einem Donnerstag –Friederike Gräff
🐾 Sonntag, 30.03.2025
10:00 – 13:00 Uhr: Hilfe in Sachen ePaper und Abo – taz Seitenwende
14:00 Uhr: Wruuum! Crash! Boom! – Comicworkshop mit Michel Esselbrügge
Der im Jahr 1982 geborene Kessler hat ein vorsichtiges, gut lesbares Buch geschrieben über ein historisches Kapitel, das wenig beachtet und in der arabischen Welt verdrängt wurde. Er zitiert den Historiker Mustafa Kabha, der glaubt, sich auf arabischer Seite mit der Zeit 1936 bis 1939 auseinanderzusetzen, würde „ein viel stärkeres In-sich-Gehen“ erfordern als die Erinnerung an die „Nakba“, die Katastrophe von 1948.
Der Aufstand, der 1936 begann, sei „für Israelis und Palästinenser bis heute nicht vorbei“, meint Kessler. Er hält die drei Jahre währende erste große arabische Revolte im britischen Mandatsgebiet für die Schablone, der seitdem alle „jüdisch-arabischen Zusammenstöße“ folgen. Nach der Lektüre seines Buchs kann man dem kaum widersprechen.
Der Aufstand ruinierte die arabische Gesellschaft
Der Aufstand, der die zionistische Bewegung ausschalten sollte, scheiterte und hat „stattdessen die Araber selbst zerschlagen“, wie Kessler schreibt. Ein sechs Monate dauernder Generalstreik ruinierte die arabische Wirtschaft in Palästina und beschleunigte die Unabhängigkeit der jüdischen. Die jüdische Gemeinschaft konnte bereits damals die demografische, geografische und politische Basis ihres künftigen Staates konsolidieren.
Zwar brachte der Aufstand unter der arabischen Bevölkerung erstmals eine starke palästinensische Identität hervor. Es zeigt sich in dessen Verlauf aber auch ein inzwischen bekanntes Muster palästinensischer Politik. Bewaffnete Gruppen folgten nicht einem zentralen Befehl, sondern ihrer eigenen Agenda; die radikale, kompromisslose und antisemitisch geprägte Politik des Anführers des Aufstands, des Großmuftis von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, brachte den Palästinensern am Ende gar nichts.
Seine Boykottpolitik gegenüber jedem politischen Lösungsvorschlag, der nicht auf arabische Dominanz hinauslief, war rigoros. Kompromissbereite arabische Stimmen ließ er ermorden. Das soziale Gefüge der Araber wurde zerschlagen, der Aufstand trieb die erste Welle von arabischen Flüchtlingen aus dem Land. „Britische Truppen erledigten den Rest, indem sie den Aufstand in einer Art und Weise bekämpften, die Tausende von Todesopfern und Zehntausende an Verwundeten forderte“, schreibt Kessler.
Die Fehler der Briten
„Palästina 1936“ schreitet chronologisch voran und blickt hinter die Kulissen der palästinensischen und der jüdischen Nationalbewegung sowie der britischen Mandatsmacht. Kessler hat sich dafür einige Protagonisten ausgesucht, darunter die zentralen Figuren des Zionismus jener Zeit wie Chaim Weizmann und David Ben-Gurion.
Auf britischer Seite treten unter anderem zwei Hochkommissare für Palästina, zwei Kolonialminister und die Nichte von Arthur Balfour, „Baffy“ Dugdale, auf. Stellvertretend für die palästinensischen Araber stehen die Figur des Großmufti, der als moderat geltende Musa Alami sowie der Intellektuelle George Antonius, Autor von „The Arab Awakening“.
Mit fortschreitender Lektüre wird deutlich, dass sich die gegenseitig ausschließenden politischen Ziele der Kontrahenten zu einem nur schwer lösbaren Konflikt führen mussten, der durch das Lavieren und eklatante Fehlentscheidungen der Briten wie die Einsetzung des Eiferers al-Husseini zum Repräsentanten der Araber im Land noch fatalere Folgen haben würde.
Pogrome gingen dem Aufstand voraus
Die Einwanderung von Juden nach Palästina hatte bereits 1920, 1921 und 1929 antijüdische Pogrome provoziert. Die arabische Oberschicht agitierte zwar gern gegen jüdische Einwanderung, profitierte aber zugleich davon, indem sie Juden Land verkaufte.
An einem Schabbat im August 1929, dem Krawalle vorausgegangen waren, „spielten sich Gräueltaten ab, wie Palästina sie bislang nicht gesehen hatte“, schreibt Kessler. An einem einzigen Tag wurden 67 Menschen getötet und mehr als fünfzig verwundet. Inmitten der Grausamkeit habe es aber auch „Fälle von Heldenmut“ gegeben: „Insgesamt öffneten zwei Dutzend Araber ihre Häuser und retteten so mindestens 250 Juden.“
Ben-Gurion hatte den Juden im Land stets „Havlagah“, Zurückhaltung, verordnet. Wenn sich die Juden besonnen zeigten, würden die Briten sie eines Tages zur Selbstverteidigung ermächtigen. Die Rechnung ging auf. Radikalen Anhängern von Zeev Jabotinskys revisionistischem Zionismus genügte das nicht. Sie griffen nun selbst zum Mittel des Terrors und ließen Bomben, etwa auf dem Gemüsemarkt von Haifa, explodieren. Eine 65 Pfund schwere Landmine tötete mindestens 53 Araber und verwundete beinahe ebenso viele.
Ben-Gurion verstand die Motive
Ben-Gurion analysierte den Aufstand kühl. Im Zentrum der Revolte stehe die Frage der Einwanderung. Er äußerte daher Verständnis: „Es ist unvorstellbar, dass sich ein Volk dazu entschließen würde, eine Minderheit zu werden.“ Das hebräische Wort „am“ für Volk hatte er dabei laut Kessler mit Bedacht genutzt.
Im Geiste der „Balfour-Deklaration“ von 1917, die den Juden eine „nationale Heimstatt“ versprochen hatte, hieß das britische Mandatsgebiet offiziell „Palästina/Eretz Israel“: auf Stempeln und Briefmarken waren hinter „Filastin“ die hebräischen Buchstaben Alef und Jud zu lesen, für „Eretz Israel“.
Bereits das empfanden die meisten Araber als Verrat. Sie beriefen sich auf einen Briefwechsel zwischen dem britischen Hochkommissar für Ägypten, Henry McMahon, und Hussein, dem Scherif der haschemitischen Dynastie zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Krone werde die arabische Unabhängigkeit anerkennen, mit Ausnahme von Teilen Syriens westlich der Distrikte Damaskus, Homs, Hama und Aleppo, die nicht ausschließlich von Arabern bewohnt würden, hieß es darin. Die Briten behaupteten, damit sei auch Palästina gemeint gewesen.
Eine „unrühmliche Persönlichkeit“
Der Aufstand von 1936 schreckte die Briten auf, die Peel-Kommission wurde einberufen. Zwar hatten die Briten die Quote für jüdische Einwanderer schon drastisch gesenkt, was die Zionisten erboste, weil das Leben für Juden in Europa immer gefährlicher wurde und niemand sie aufnehmen wollte, doch einmal mehr boykottierte der Großmufti den Versuch, eine Lösung zu finden. Die Peel-Kommission schlug erstmals einen Teilungsplan für das Land vor. Ihn hießen Emir Abdullah von Transjordanien und einige Palästinenser gut – bis der Großmufti sie als Verräter brandmarkte.
Al-Husseini hatte bereits 1933 Kontakt mit den neuen deutschen Machthabern aufgenommen. 1941 floh er nach Berlin, wo er von Hitler empfangen wurde und Heinrich Himmler kennenlernte. Über den Sender Zeesen verbreitete al-Husseini eine Mischung aus NS-Rassenantisemitismus, arabischem Nationalismus und islamistischer Propaganda in der arabischen und muslimischen Welt.
Kessler widmet sich der Ideologie al-Husseinis nur am Rand, macht aber mittels eines Zitats des libanesischen Gelehrten Gilbert Achcar deutlich, dass al-Husseini auch nach dem Krieg eine unheilvolle Rolle spielte: „Durch die zahlreichen Niederlagen unter Husseinis verhängnisvoller Führung hätten die Palästinenser nach 1945 die Katastrophe der Nakba nur verhindern können, wenn sie den politischen Einfluss dieser unrühmlichen Persönlichkeit ein für alle Mal gebrochen hätten. Dieser Weg wurde nicht eingeschlagen.“
Nach dem Krieg besorgte al-Husseini Nazis neue Jobs in arabischen Regimen, brachte eine neue arabische Übersetzung von Hitlers „Mein Kampf“ auf den Weg und ließ sich als Vorkämpfer der Dekolonisierung feiern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Regierungsbildung
Die kleine Groko hat einen Vertrauensvorschuss verdient
Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek
„Ich freue mich darauf, zu nerven“
Immer mehr Kirchenaustritte
Die Schäfchen laufen ihnen in Scharen davon
Zukunft des ÖPNV
Deutschlandticket trägt sich finanziell selbst
Trump-Zölle auf Autos
Als Antwort einfach mal X abstellen
Flüge mit Privatjets im Jahr 2024
Emissionen durch Bonzenflieger auf Rekordniveau