Serbien und Nordmazedonien: Das Dach stürzt ein, die Disco brennt: Korruption tötet
In Serbien und Nordmazedonien gehen die Menschen gegen Korruption auf die Straße. Das liefert endlich Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft.

S eit Donnerstag ist kalendarischer Frühlingsbeginn, auch in Südosteuropa. Doch dort demonstrieren nicht nur Vögel und Pflanzen ihre Superpower. In Serbien hatte vergangenes Wochenende der durch ein eingestürztes Bahnhofsdach ausgelöste Protest seinen Höhepunkt: Hunderttausende belagerten die Hauptstadt, um gegen Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit zu demonstrieren.
Nur wenige Stunden nach der größten Demo in der Geschichte des Landes passierte etwas weiter südlich etwas ganz Ähnliches. In der Stadt Kočani in Nordmazedonien brannte Samstagnacht eine Disco, 59 Menschen starben, die meisten zwischen 15 und 24. Im ganzen Land gingen Tausende unter dem Motto „Wer ist der Nächste?“ auf die Straße und klagten die Politik an, für die Katastrophe verantwortlich zu sein.
Die Regierung gestand sofort, dass die Lizenz des Clubs ungültig gewesen und durch „Bestechung“ erteilt worden sei. Da hatte sie den meisten natürlich nichts Neues erzählt: Laut Guardian hatte der ehemalige Bürgermeister Kočanis dem Club die Lizenz verweigert. Inzwischen wurden 15 Leute festgenommen, darunter Minister, Staatssekretäre und Behördenleiter.
Serbien wie Nordmazedonien teilen ähnliche Probleme: Die Bevölkerung schrumpft, die Gesellschaft sieht keine Zukunft, die Jungen wandern aus. Dass jetzt ausgerechnet die jungen Leute einen breiten Protest tragen, hätte bis vor Kurzem niemand geglaubt. Es herrschten Frustration und Resignation, weil selbst jene, die noch versuchten, etwas aufzubauen, am Ende immer an der durch und durch korrupten Bürokratie scheiterten.
Jeder ist von Korruption betroffen
In der Regel geht es in der Kritik an autoritären Strukturen immer um die Einschränkung von Presse-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit. Dass der Protest in Serbien und Mazedonien sich nun an der Korruption entzündet hat, ist der Grund, warum die Bewegung so breit ist. Denn jeder Einzelne ist davon betroffen. Einerseits hat jeder mit jedem noch irgendeine Rechnung offen. Denn jeder hat gegen jeden irgendwas in der Hand, weil jeder irgendwem mal Geld zugesteckt oder von irgendwem angenommen hat, meistens wegen Peanuts: eine Grundstücksmauer legalisieren, die ein paar Zentimeter zu breit ist, oder einen Behördenvorgang beschleunigen, der unzumutbar lange Zeit dauert.
Es ist an viel zu vielen Stellen aussichtslos, in diesen Staaten auf legale Weise durchzukommen. Dokumente zählen nichts, richterliche Entscheidungen werden plötzlich grundlos revidiert, mit fadenscheinigen Begründungen wird behördlich entschieden, und alle wissen, dass hier bestochen wurde, und meistens auch, von wem.
Gewaltige Ausmaße
Korruption hört sich harmlos an. Ein paar Scheine hier, ein kleiner Gefallen da. Aber Korruption hat im ehemaligen Jugoslawien auch abseits der beiden tödlichen Ereignisse von Novi Sad und Kočani schon lange gewaltige und gewalttätige Ausmaße. Die Politiker der Nachfolgestaaten Jugoslawiens wollten mit der politischen Korruption im Kommunismus aufräumen und wurden selbst zu korrupten Politikern und Beamten.
Seit Jahren konnte man dabei zusehen, wie das Vertrauen in die eigenen unabhängigen Staaten schneller schmolz als die Gletscher im Klimawandel. Zeitgleich verfiel auch das Vertrauen in Europa. Nicht nur in Serbien und Mazedonien, auch in Kroatien stauen sich Frust und Angst, weil mangelnde Unabhängigkeit der Justiz selbst innerhalb eines EU-Staats fast ungehindert immer weiter Blüten treibt.
Dass Korruption in Südosteuropa nicht länger beschwiegen wird, liefert – bei aller Tragik der Ereignisse – endlich mal wieder die Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft hier. Wenn nun die EU die Korruption konsequent verfolgen würde, könnte sie vielleicht noch ihren balkanischen Frühling erleben.
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