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Ohne Opposition wird’s nichts

Wollen die Nord-Länder in den Genuss der gelockerten Schuldenbremse kommen, müssen sie erst ihre Verfassungen ändern. Schon jetzt zeigt sich in Niedersachsen und Bremen: Das könnte schwierig werden

Wollen keine neuen Schulden: Jan Vermöhlen (l.) vom Bund der Steuerzahler und Ulf Thiele, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, vor der niedersächsischen Schuldenuhr Foto: Ella Wenzel/dpa

Von André Zuschlag

Immerhin 0,35 Prozent: Nach den Plänen von CDU und Grünen im Bund sollen die Bundesländer künftig wieder Schulden in Höhe von immerhin 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen dürfen. Aber: Nur weil sich SPD und CDU im Bund darauf geeinigt haben, ist der Weg noch lange nicht frei, vor allem nicht für die Nordländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Hier machen die einst besonders strengen Selbstbeschränkungen bei der Einführung der Schuldenbremse eine Lockerung deutlich schwieriger als in anderen Ländern.

Es ist schon ein ziemlicher Geldregen, mit dem CDU und SPD im Bund die Länder mit dem geplanten Sondervermögen Infrastruktur ausstatten wollen: Über ein Fünftel der anvisierten 500 Milliarden Euro sollen die Länder und mit ihnen die Kommunen selbst verfügen können – und es in die Sanierung von Schulen, Krankenhäusern, Schienen oder Straßen stecken können.

Wie viel jedes Bundesland vom Kuchen abbekommt, ist noch nicht abschließend geklärt. Es dürfte sich aber am sogenannten Königsteiner Schlüssel orientieren, der festlegt, wie viel die einzelnen Länder bei gemeinsamen Finanzierungen einzahlen müssen oder umgekehrt erhalten. Der jeweilige Anteil errechnet sich aus der Einwohnerzahl und dem jeweiligen Steueraufkommen. Für Schleswig-Holstein wären das rund 3,4 Milliarden Euro, für Niedersachsen sogar mehr als 9 Milliarden. Hamburg könnte mit rund 2,6 Milliarden rechnen, Bremen immerhin mit knapp 1 Milliarde.

Um von der jährlichen Lockerung der Schuldenbremse profitieren zu können, müssen die Nordländer allerdings ihre Landesverfassungen ändern: Nachdem die damalige Bundesregierung die Schuldenbremse für Bund und Länder eingeführt hatte, nach der die Länder grundsätzlich keine Schulden mehr machen dürfen, unterwarfen sich viele Bundesländer noch schärferen Spar­zwängen. Dabei haben die Nordländer die Hürden für eine Änderung höher gelegt als andere: Während sich etwa Berlin, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und das Saarland darauf beschränkten, ihre Landeshaushaltsordnungen zu überarbeiten, hoben Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Schuldenbremse in den Verfassungsrang.

Die Folge: Wird die Schuldenbremse auf Bundesebene gelockert, können die Landesregierungen in Berlin oder Nordrhein-Westfalen ohne großen Aufwand die Haushaltsordnungen anpassen. Die Regierungen der Nordländer hingegen müssen die Oppositionsfraktionen mit ins Boot holen, um mit einer Zweidrittelmehrheit die Verfassung erneut zu ändern.

Denn ohne eine Anpassung auf Länderebene bliebe die Grundgesetzänderung in den Nordländern folgenlos: Eine Änderung der Schuldenbremse auf Bundesebene verpflichtet die Länder nicht zur Kreditaufnahme, sondern erweitert lediglich den Rahmen des Erlaubten. Der Hamburger SPD-Haushaltspolitiker Milan Pein spricht in dieser Frage zwar von „Verfassungsneuland“, zweifelt aber nicht an der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung. „Wir wollen zügig eine Einigung mit den anderen Fraktion herbeiführen“, sagt Pein.

Seit der Hamburg-Wahl ist es allerdings etwas komplizierter geworden. Zuvor verfügte die rot-grüne Koalition noch über eine Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft. Diese – wie auf Bundesebene geplant – vor der Konstituierung des neu gewählten Parlaments zu nutzen, kommt nach Peins Einschätzung in Hamburg nicht infrage. Dagegen spricht auch, dass erst das Grundgesetz geändert werden müsste, bevor die Hamburger Landesverfassung angefasst werden könnte. Dafür sei die Zeit zu knapp.

Niedersachsens Oppositionsführer Sebastian Lechner (CDU) hatte bereits vergangene Woche Widerstand gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse angekündigt: „Dass wir die Schuldenbremse in der Landesverfassung lockern, sehen wir aktuell nicht.“ Vielmehr wolle er über das „unverantwortliche Finanz- und Haushaltsgebaren der Landesregierung“ sprechen, das unnötige Haushaltslöcher verursache. Darauf müsse die rot-grüne Landesregierung reagieren, denn: „Klar ist, ohne die CDU ist keine Lockerung der Schuldenbremse möglich.“

„Dass wir die Schuldenbremse in der Landesverfassung lockern, sehen wir aktuell nicht“

Sebastian Lechner, Fraktions- und Landesvorsitzender der CDU in Niedersachsen

Auch im rot-grün-rot regierten Bremen ist die Zustimmung der CDU notwendig. Sie hat dem Senat bereits einen „Investitionskonsens“ angeboten. Wenn sie einer Verfassungsänderung zustimmt, will sie anschließend auch mitentscheiden, wohin die Mittel fließen. „Eine Änderung der Schuldenbremse nur auf Zuruf wird die Bremer CDU auf keinen Fall mittragen. Sondern nur konditioniert, dass es eine Verständigung darüber gibt, was mit den dadurch ermöglichten Kreditaufnahmen im Ergebnis finanziert wird“, stellte der Bundestagsabgeordnete ­Thomas Röwe­kamp klar.

In Schleswig-Holstein wiederum ist die schwarz-grüne Landesregierung unter Daniel Günther auf die SPD angewiesen. Doch die zeigt sich zumindest zeitweise ziemlich verärgert über den Ministerpräsidenten: „Zwar hat Daniel Günther immer wieder mal angedeutet, dass man über eine Reform der Schuldenbremse reden könnte“, sagt Landeschefin Serpil Midyatli. Gleichzeitig habe seine Fraktion im Landtag aber in der Vergangenheit jeden Vorstoß der SPD zu einer Reform der Schuldenbremse als unseriös abgelehnt. „Jetzt, da die öffentliche Debatte um die Schuldenbremsenreform nach der Bundestagswahl an Intensität gewinnt, versucht Günther sich als Vorreiter zu positionieren und die Initiative für sich zu beanspruchen“, kritisiert Midyatli.

Legt man das jeweilige BIP der Länder zugrunde, könnte Bremen künftig regelmäßig 140 Millionen Euro zusätzlich in den Haushalt einstellen, Hamburg bereits deutlich über 500 Millionen. In Schleswig-Holstein wären es 350 Millionen und in Niedersachsen etwas mehr als eine Milliarde Euro.

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