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Die WahrheitWerkühe in der Zeitenwende

Die Verwandlung von Menschen in Bestien ist ein mythologischer Evergreen. Doch neben dem Wolf gibt es viele reizvolle Wertierarten.

E s ist an der Zeit, den Werwolf wiederzuentdecken. Seine Kokurrent:innen, die popkulturell erfolgreicheren Erzbösewichte Hexen und Vampire, sind auserzählt, im Werwolf stecken die aktuelleren Diskurse: Der Ausspruch des Dichters Plautus, „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“, stimmt wie nie zuvor, und entlang des meist männlich gelesenen Raubtiers lassen sich trefflich Genderdebatten führen, die sogar das Thema Körperbehaarung abbilden. (Ein Werwolf ist viel attraktiver als ein Problemwolf.)

Die letzten Werwolfprozesse fanden in der frühen Neuzeit statt – Männer gestanden, so genannte Lykanthropen zu sein, sich also in einen Wolf verwandeln zu können. Die Lykanthropie gehört zur Therianthropie, welche das Wertier, in das sich verwandelt wird, nicht näher bezeichnet. Bekannt sind allerdings die Unterarten Kynan­thro­pie (Verwandlung in den Werhund), Tigranthropie (Wer­tiger), Galeanthropie (Werkatze) und Boanthropie (Werkuh).

Vor allem letzteres Wertier ist faszinierend. Denn selbst wenn man sich nicht an den Werwolf herantraut, ließe sich mit einer Herde Werkühe ein großartiger Horrorfilm inszenieren, der moderne Themen streift. Ich denke an ein Alpendrama: Das erste Opfer ist Bauer Hanussek, den wir als misogynen, gewalttätigen und raffgierigen Mann kennenlernen. Obwohl seine Kühe zusammengepfercht in den Massentierstallungen darben und nie auf die Weide dürfen, hört Hanussek um Mitternacht Kuhglocken aus dem Tal. Verwundert klappt er die Fensterläden auf, kann aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Er knipst die Taschenlampe an und stapft los. Ein paar Jumpscares und schwankende Lichtkegel später hängt der Bauer tot über dem Zaun, die Eingeweide quellen heraus, daneben dampfen sieben Kuhfladen. Eine junge Bäuerin aus dem Nachbartal, die Hanussek überzeugen wollte, seinen Hof nachhaltiger zu führen, begibt sich auf Spurensuche – und lernt im Rahmen ihrer Recherche sieben Frauen kennen, denen Hanussek einst großes Leid zugefügt hatte …

Um die Biodiversität zu feiern, sollte man aus den Wertierfilmen vielleicht eine Reihe machen: Im zweiten Teil werden die Mit­ar­bei­te­r:in­nen eines Unternehmens dezimiert, das Brasiliens Regenwald abholzt. Zunächst scheinen die fiesen nächtlichen Morde in Zeitlupe zu geschehen, doch es stellt sich heraus, dass Wer­faul­tiere verantwortlich sind, die sich am Tag in Mitglieder eines werhaften, Entschuldigung, wehrhaften indigenen Stammes zurückverwandeln. Im dritten Teil kämpft ein erbarmungsloser Werfrosch gegen die Trockenlegung eines ostfriesischen Moores und produziert dabei jede Menge Moorleichen. In Menschengestalt handelt es sich bei dem Werfrosch übrigens um den lokalen Meteorologen. Der Arbeitstitel des Films lautet darum auch „Der Werwetterfrosch“. Aber ich lasse dahingehend mit mir reden.

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3 Kommentare

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  • Werkühe in der Zeitenwende. Jenny Zylkas Fabulierkunst macht Spaß. Und noch ist nicht alles verloren? Da ist noch *Die Kuh Lieselotte* auf ihrem Bauernhof, die noch Hörner tragen darf. Jeder kennt sie. Dort nimmt die Geschichte von der Kuh, die ein wehrhafter Hofhund sein will und mit Lust den Briefträger ärgert noch ein gutes Ende!



    Aber furchtbare Menschen bahnen mit Lügen-Lügen- Lügen ihren furchtbaren Träumen Wege in die Wirklichkeit. Mit den bombardierten Häusern verbrennen die Menschen und ihre Bücher, die von solchen Kühen erzählen konnten. Ach was, sind ja nur Kinderphantasien.

    American Werewolf - A bad Moon rising:

    “I see the bad moon risin′



    I see trouble on the way



    I see earthquakes and lightnin'



    I see bad times today” (1) (2)

    Quellen: Creedence Clearwater Revival: „Bad Moon rising”

    Text: www.songtexte.com/...sing-23d1ec77.html

    Song: www.youtube.com/watch?v=uiqbJ0Gtb44

  • Und was sagt Herr Höge dazu?

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Sie sagen es! Ich denke so vor mich hin: Das wäre doch mal ein "literarisches Experiment" zweier ganz unterschiedlicher Wahrheitsautoren wert. Jenny Zylka und Helmut Höge schreiben zusammen in einem Artikel *Die Wahrheit*, der sich Autorin und Autor aus ganz unterschiedlichen Richtung nähern.