Diesmal meint es Peking ernst: China will Konsum ankurbeln
Das Reich der Mitte will, dass seine Bewohner mehr Geld ausgeben. Dafür brauchen viele von ihnen aber erst mal mehr davon.
Über die Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichte das Zentralkomitee und der Staatsrat am Sonntag ein Maßnahmenpaket zur Steigerung des Binnenkonsums, welches von chinesischen Ökonomen als umfassendste Richtlinie seit Beginn der Reformpolitik Ende der 1970er Jahre betitelt wurde. Die Hoffnungen sind zu Recht immens: Von der Steigerung der Mindestlöhne über die Ausweitung der Gesundheitssysteme bis hin zu höheren Renten umfasst der Plan sämtliche Punkte, die Ökonomen schon seit Jahren fordern.
„Frühere konsumpolitische Maßnahmen setzten in erster Linie auf der Angebotsseite an“, sagte Li Chunlin von der nationalen Reformkommission während einer lang erwarteten Pressekonferenz am Montag. „Dieses Mal stärkt unser Plan die Bemühungen auf der Nachfrageseite“.
Tatsächlich ist der schwache Konsum so etwas wie die Achillesferse der chinesischen Volkswirtschaft. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt gibt es keinen anderen Staat, in dem die Privathaushalte so viel sparen und so wenig ausgeben.
Weniger als 150 Euro pro Monat
Das hat weniger mit kulturellen Eigenheiten zu tun als mit ökonomischen Zwängen: In der Volksrepublik leben nach wie vor rund 600 Millionen Menschen, die mit umgerechnet weniger als 150 Euro pro Monat auskommen müssen. Und selbst weite Teile der gehobenen Mittelschicht müssen große Teile ihres Ersparten zusammenhalten, um sich für die Eventualitäten des Lebens zu wappnen: Wer seinen Arbeitsplatz verliert oder schwer erkrankt, endet in China oft im finanziellen Ruin. Die sozialen Netze sind nur rudimentär entwickelt.
Schon während des Nationalen Volkskongresses zu Beginn des Monats mehrten sich die Zeichen eines Kurswechsels bei der Regierung in Peking. Kein anderes Schlagwort erwähnte Premierminister Li Qiang in seinem Arbeitsbericht öfter als „Konsum“. Und Li Daokui, Ökonom und ehemaliger Berater der chinesischen Zentralbank, sagte damals in einem bemerkenswerten Fernsehinterview: „Die Strafzölle von Donald Trump sind, ehrlich gesagt, kein wirklich großes Problem für China mehr“.
Peking kenne das Rezept dafür, wie man mit dieser Herausforderung umgehen müsse: „den heimischen Konsum ankurbeln“. Und darüber, so Li, gäbe es innerhalb des chinesischen Führungszirkels bereits enorme Diskussionen: „Viele politische Maßnahmen werden schließlich auch umgesetzt werden.“
Technologische Erfolge
Auch wenn China zuletzt technologische Erfolge erzielen konnte – vom E-Auto Marktführer BYD bis hin zum revolutionären KI-Chatbot Deepseek – hat die chinesische Bevölkerung seit der Pandemie empfindliche Wohlstandsverluste hinnehmen müssen – in Form von Lohnkürzungen, Entlassungen und vor allem durch die Immobilienkrise. Denn aus Mangel an Alternativen haben die Privathaushalte im Schnitt 70 Prozent ihres Ersparten in einen Wohnungsmarkt gesteckt, dessen Preise in den letzten Jahren deutlich gefallen sind.
Gleichzeitig ist der schwache Binnenkonsum auch eine außenpolitische Angelegenheit geworden, und das nicht erst seit Donald Trump. Denn je stärker Chinas Volkswirtschaft von den nach wie vor boomenden Exporten abhängt, aber gleichzeitig immer weniger importiert, desto unausgeglichener fallen die Handelsbilanzen des Reichs der Mitte aus. So erzielt China immense Handelsüberschüsse sowohl gegenüber der Europäischen Union als auch den Vereinigten Staaten. Das sorgt für Spannungen und hat auch dazu geführt, dass immer mehr ausländische Unternehmen dem chinesischen Markt den Rücken kehren.
Experten fordern daher seit längerem, dass der Staat einen größeren Teil seiner Ressourcen an die Bevölkerung abgeben müsse – in Form von Löhnen und besseren Sozialleistungen. Nur so würden diese wieder mehr ausgeben können.
Ideologische Bedenken
Warum dies ausgerechnet im kommunistischen China nicht passiert, wurde ironischerweise oft mit ideologischen Bedenken begründet. „Xi Jinping will gar nicht zu viel Konsum. Er glaubt, dass es den Menschen besser geht, wenn sie sich abmühen und ein hartes Leben führen“, sagte etwa der renommierte Ökonom und jahrzehntelange China-Kenner Barry Naughton während eines Peking-Besuchs 2023. Schlussendlich ist die Konsum-Debatte vor allem eine Frage von Macht, Kontrolle – und ob die Regierung bereit ist, diese abzugeben.
Daran hat sich auch durch das jüngste Maßnahmenpaket nichts geändert. Denn der Plan des Staatsrats hat einen entscheidenden Haken: Die meisten Punkte sollen ausgerechnet von den Lokalregierungen getragen werden, die jedoch seit der Corona-Pandemie extrem verschuldet sind und nur wenig Möglichkeiten haben.
Dementsprechend skeptisch zeigen sich einige Experten. „China muss den Anteil der privaten Haushalte am Bruttoinlandsprodukt um mindestens zehn Prozentpunkte erhöhen“, argumentiert der US-Ökonom Michael Pettis, der an der renommierten Peking Universität forscht, auf der Plattform X. Bislang jedoch ist die Verteilungsfrage nicht geklärt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!