Mongolische Selbstvergewisserung: Die alte Klage der Pferdekopfgeige
In der Mongolei sieht man die Zeit als kriegerische Macht vorbei und setzt nun auf Soft Power. In Berlin durfte man dabei von erfundener Tradition hören.

E igentlich lohnt es sich in Berlin meist kaum, groß auf die Kleidung zu achten, in der die Menschen auf ein Konzert kommen. Weil man in der Stadt eher keine großen Unterschiede macht, ob es nun in ein Metal-Konzert geht oder doch in die Philharmonie. Casual wear. Geht immer.
Insofern war das Konzert letzthin im Auditorium der James-Símon-Galerie auf der Museumsinsel schon deswegen ein besonderes Ereignis, weil es bereits beim Publikum was zu gucken gab. Schicke Kleider, farbenfroh und trotzdem dezent, raffiniert im Schnitt.
Die Leute hatten sich also in Schale geschmissen, weil es ja was Besonderes zu hören gab an dem Abend mit der mongolischen Musik. Eine schöne Gelegenheit für die Community, mal die schicken mongolischen Kleider auszuführen. Und auch für andere, die so ein Teil vielleicht mal auf einer Urlaubsreise erstanden haben in dieses ferne Land, von dem man möglicherweise weiß, dass es die Heimat der Pferdekopfgeige ist. Sie ist das wichtigste Musikinstrument der Mongolen, gilt als ein nationales Symbol, deren Musik in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen ist. Und möglicherweise ist dieses Instrument mit dem charakteristischen hölzernen Pferdekopf, wie auf Wikipedia zu lesen ist, gar nicht so ewig alt, sondern eine „erfundene Tradition“.
Beim Stichwort Mongolei
vormerken kann man sich bereits den Oktober des nächsten Jahres: Dann soll nämlich auf der Berliner Museumsinsel die große Schau „Dschingis Khan und die Welt der Mongolen“ eröffnet werden.
Bevor die Pferdekopfgeige aber ihr Lied singen durfte, musste erst noch der mongolische Botschafter auf die Strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und der Mongolei, die vor einem Jahr der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Ulan Bator besiegelt hat, verweisen. Und dass man in der Mongolei nun, da die Zeit als kriegerische Macht doch vorbei sei, mehr auf „Soft Power“ setze.
Die Kultur soll es also richten. Und weil Kultur ja was mit Reflexion zu schaffen hat, kann man doch bitte mal kurz überlegen, wen und was man da auf die Bühne bitten würde bei der Aufgabe, in einem eineinhalbstündigen Musikprogramm mit Tracht und Tanz Deutschland zu repräsentieren? Da könnte zum Beispiel der Bogen geschlagen werden von Beethoven über die bayerische Lederhose zum Berliner Gangster-Rap.
Das Problem der Mongolei: Es gibt dort halt keinen Beethoven, auf dessen Aufschriebe man in dem Land einfach so zurückgreifen könnte. Es fehlt bei der Musik an belastbaren Dokumenten. Die Überlieferungen sind vage.
Aber irgendwas geht ja immer, und so hat man beim Ensemble Khaan Nairal („Königliches Ensemble“) vom auch noch recht jungen Chinggis Khaan National Museum in Ulan Bator auf dem Weg dieser kulturellen Vergewisserung neben der doch als gesetzt geltenden Pferdekopfgeige schon mal etliche traditionelle Instrumente rekonstruiert, Tröten, Zithern und Lauteninstrumente, die auf der Bühne von den MusikerInnen in ihren prachtvollen Kostümen demonstrativ auch wirklich wie eine Erscheinung vorgezeigt wurden, und gespielt wurde darauf eine neuerfundene „alte“ mongolische Hofmusik, die man sich als eine Mischung aus hiesigem Mittelalter und Peking-Oper in einer Rondo-Veneziano-Stimmung vorstellen darf. Es war eine gefällig lächelnde und schon arg gephotoshopt wirkende Musik.
Meine Sitznachbarin meinte jedenfalls, dass sie als Mongolin nicht viel Mongolisches dabei gehört habe.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Aber neben diesem Stochern in erfundener Vergangenheit gab es ja noch im zweiten Teil des Konzerts die Gegenwart der mongolischen Musik mit den sehnsüchtigen Melodien und dem wiegenden Rhythmus, in den sich der Trab der Pferde eingeschrieben hat. Prima Country & Eastern. Die weite Landschaft der Mongolei mit den hohen Himmeln war darin zu spüren, vom Trab konnte das auch in den Galopp gehen, hin zu einer Art funkenschlagendem Jazzrock. Und wenn dann noch der Kehlkopfgesang dazu kam, dieses besondere Geheimnis der mongolischen Musik, bei dem aus einem Mund zwei Töne gleichzeitig zu hören sind, hatte diese Musik einen unglaublichen psychedelischen Kick.
Dafür gab es dann rundherum jubelnde Begeisterung und Standing Ovations. Wenn man so will: Traditionen verpflichten.
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