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Kiez, Krieg und Kinderpunsch

Mario Czaja von der CDU will sein Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf verteidigen, sein Parteikollege Danny Freymark will es in Lichtenberg erstmals holen. Im Wahlkampf setzen sie auf ihren „Heimatbonus“

Verzicht aufs Parteilogo: Wahlkampfstand von Mario Czaja in Marzahn Fotos: Wolfgang Borrs

Von Rainer Rutz

Da gibt es diese Ka­mi­kaze­radfahrer:innen auf dem Gehweg der Springpfuhl-Brücke. Irre sind die. Da muss doch was getan werden. Genauso wie gegen den Parkplatzmangel. Und öffnet der dichtgemachte Ratskeller im Alten Rathaus Marzahn irgendwann wieder?

Es sind viele echte oder gefühlte Probleme, die sich Mario Czaja an diesem Winternachmittag wenige Tage vor der Bundestagswahl vor einem Pflegeheim im Marchwitza-Viertel nahe dem S-Bahnhof Springpfuhl anhören darf. Czaja ist seit 2021 direkt gewählter CDU-Bundestagsabgeordneter für Marzahn-Hellersdorf. Und das will er auch nach dem kommenden Wahlsonntag bleiben. Also tingelt er bei seiner „Kieztour“ durch die Ortsteile des Ostberliner Großbezirks, hört zu, verspricht Abhilfe. Sagt Sätze wie: „Uns geht es darum, die Dinge gemeinsam zu lösen.“ Oder: „Wir sind ja nicht nur in Wahlkämpfen hier, sondern auch sonst.“ Er könnte auch sagen: Sie kennen mich. Was nicht allzu weit hergeholt ist.

Der heute 49-Jährige war zwischen 2011 und 2016 Berliner Gesundheits- und Sozialsenator und ab Anfang 2022 für eineinhalb Jahre Generalsekretär der Bundes-CDU – beides mit eher blasser Bilanz. Seine Berufung zum Kurzzeitgeneral verdankte er auch dem Umstand, dass es ihm bei der Wahl 2021 gelungen war, der Linken in ihrer traditionellen Hochburg Marzahn-Hellersdorf das Direktmandat abzunehmen.

Ausgerechnet ein CDUler, ausgerechnet hier. Nicht ein einziges Mal in drei Jahrzehnten hatte eine andere Partei die PDS respektive Linke bei den Erststimmen überholt. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau gewann den Wahlkreis immer und immer wieder, fünf Mal insgesamt. Bis Czaja vor dreieinhalb Jahren antrat und Pau mit deutlichem Abstand hinter sich ließ. Mit dem kopierten Konzept als Vor-Ort-Kümmerer, heißt es noch heute bei den Linken.

An diesem Nachmittag vor dem Marzahner Pflegeheim ist das Interesse mäßig. Zehn ältere und noch viel ältere Menschen aus den Plattenbauten der Umgebung sind der Einladung in ihren Briefkästen gefolgt. Später bleiben noch ein paar Pas­san­t:in­nen stehen. Unter einem Partypavillon gibt es Glühwein und Kinderpunsch, vor allem aber eben Probleme und Beschwerden.

Die Chancen stehen gut, dass Czaja das Mandat verteidigt. Er selbst sagt, er sei „vorsichtig optimistisch“. Sein Büro verweist auf eine Wahlkreisprognose, nach der Czaja bei den Erststimmen mit 30 Prozent an der Spitze liegt, fünf Punkte vor dem AfD-Kandidaten, dem Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio. Die Linke, die ihre Vize-Landeschefin Katalin Gennburg ins Rennen schickt, spielt der Prognose zufolge beim Kampf ums Direktmandat ebenso wenig eine Rolle wie das BSW mit dem ehemaligen Union-Berlin-Geschäftsführer Oliver Ruhnert. Von SPD und Grünen ganz zu schweigen.

Also konzentriert sich der CDU-Mann auf die AfD, die, so Czaja, mit Curio „einen Zugereisten aus Steglitz-Zehlendorf“ in den tiefen Osten schickt, „um die Stimmen der Unzufriedenen einzusammeln“, der ansonsten „gar nicht hier ist“ und „sich um gar kein Thema kümmert“. Czaja ist in Marzahn-Hellersdorf aufgewachsen. Zwar nicht in der Platte, sondern in Mahlsdorf, einer Einfamilienhausgegend. Aber er ist einer „von hier“. Oder wie Peter Meyer, ein Mitglied der Ostband Puhdys, für ihn wirbt: „Er kommt aus dem Osten und weiß, wie wir ‚ticken.‘“

Czaja ist in seiner eigenen Partei ein Außenseiter. Die Beziehung zu CDU-Chef Friedrich Merz gilt als unterkühlt, die zu CDU-Senatschef Kai Wegner als geradezu frostig. Vielleicht ist es nur folgerichtig, dass er seine Parteizugehörigkeit im Wahlkampf ein wenig versteckt. Auf seinem Partypavillon steht nicht „CDU“, sondern: „Kiezmacher“. Auch auf seinen Flyern findet sich ein Hinweis auf die CDU allenfalls im Kleingedruckten.

Den Se­nio­r:in­nen aus Marzahn präsentiert er – neben allem Gekieze – zwar auch die ganze CDU-Palette: Arbeit muss sich wieder lohnen, das Bürgergeld gehört abgeschafft, die Schuldenbremse darf nicht gelockert werden. In einem Punkt weicht er von seiner Partei aber sehr deutlich ab: der Frage von Krieg und Frieden.

Im Bundestag hat Czaja 2024 als einer von drei CDU-Abgeordneten gegen den Antrag der eigenen Fraktion gestimmt, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Dass er dafür als „Putin-Freund“ geschmäht worden ist: „Damit muss ich leben.“ Er sei nur einem Gewissen verpflichtet. Mit der Taurus-Lieferung würde Deutschland „völkerrechtlich zur Kriegspartei werden“, davon ist er überzeugt.

„Es hängt sicherlich mit unserer Sozialisation zusammen, dass wir eine andere Einschätzung haben von der Notwendigkeit, mit Russland ein gutes europäisches Miteinander zu haben“, sagt Czaja im Anschluss zur taz. Die Ostdeutschen verspürten schon wegen des Zweiten Weltkrieges „eine andere Verantwortung gegenüber dem russischen Volk“. Sie wollen sich „nicht vorstellen können, dass Raketen, auf denen ‚made in Germany‘ steht, Moskauer Vorstädte erreichen“.

Wir, die Ostdeutschen, gegen die da drüben, „die Transatlantiker, bei denen man den Eindruck hat, dass alte Feindschaften mit Russland aus dem Kalten Krieg wiederbelebt werden“: Das kommt an in Marzahn-Hellersdorf, wo die russlandfreundlichen Parteien AfD und BSW bei der Europawahl im Juni vergangenen Jahres zusammen auf weit über 40 Prozent kamen.

Nicht wesentlich anders sieht es im benachbarten Bundestagswahlkreis Lichtenberg aus. Hier will der CDU-Direktkandidat Danny Freymark das schaffen, was Czaja 2021 vorgemacht hat: die seit den 1990er-Jahren von der Linken gehaltene Festung stürmen.

Zwei S-Bahnstationen vom Marzahner Marchwitza-Viertel entfernt steht sich auch Freymark bei Minustemperaturen die Beine in den Bauch. Er hat vor einer Bäckerei im Plattenbauviertel Neu-Hohenschönhausen zu einem Nachbarschaftstreffen geladen. Auf der anderen Straßenseite, nicht zu übersehen, befindet sich das Büro von Gesine Lötzsch von der Linken.

Sechs Mal hintereinander hat die Genossin Lötzsch in Lichtenberg das Direktmandat gewonnen, wenn auch mit immer knapper werdendem Abstand zur Konkurrenz. Doch Lötzsch tritt ja dieses Mal nicht mehr an. Und CDU-Mann Freymark gibt sich zuversichtlich, dass er sie beerben wird. Schließlich ging es für die in Lichtenberg einst weitgehend bedeutungslose CDU bei den vergangenen Wahlen bergauf. Freymark selbst wurde 2021 und 2023 direkt für Neu-Hohenschönhausen ins Abgeordnetenhaus gewählt, zuletzt mit über 40 Prozent. Jetzt geht es um ganz Lichtenberg.

„Wir sind ja nicht nur in Wahlkämpfen hier, sondern auch sonst“

Mario Czaja, CDU

Auch bei seinem Nachbarschaftstreffen gibt es Punsch und Probleme. Und auch bei ihm hat es heute nur älteres Publikum angezogen, gut 20 Leute. Aber es geht dann doch etwas heiterer zu als in Marzahn. Das liegt womöglich auch an Freymark selbst. Der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus tritt anders auf als Czaja. Lauter, fröhlicher, bisweilen etwas überdreht.

„Sie sind wirklich schon Großmutter, das sieht man Ihnen gar nicht an“, umgarnt der 41-Jährige eine ältere Frau, die sich empört, dass ihr Enkel keine Wohnung findet. Er verspricht, sein Bürgerbüro werde versuchen zu helfen. Die CDU als Kümmererpartei, auch hier.

Sein eigentliches Fachgebiet im Parlament, Umwelt- und Klimaschutz, interessiere in den Plattenbauten am Stadtrand kein Mensch, sagt Freymark. Stattdessen geht es auch hier auffällig viel um Krieg und Frieden. Ein Mann redet sich in Rage und etwas durcheinander. Grönland, „da unten, Gazastreifen“, Panama, Ukraine. 2027, glaubt er, gibt es den Dritten Weltkrieg.

Freymark kennt das. Er sagt dem Mann: „Die Sorgen teile ich. Wir sind ja in der glücklichen Situation, dass wir nur Frieden und Freiheit kennen.“ Hätte er wie Czaja gegen die Taurus-Lieferung gestimmt? „Ich weiß es nicht“, sagt Freymark hinterher zur taz. „Im ersten Reflex hätte ich gesagt: Ja, ich unterstütze das.“ Aber er nehme auch ernst, was die Menschen in seinem Wahlkreis umtreibe. Das sei er seinen Wäh­le­r:in­nen schuldig. „Vielleicht hätte ich mich enthalten.“

CDU-Direktkandidat Mario Czaja

Wie sein CDU-Kollege in Marzahn-Hellersdorf setzt auch Freymark im Wahlkampf auf das, was er den „Heimatbonus“ nennt. Er ist in Neu-Hohenschönhausen aufgewachsen, in der Platte, zehnter Stock. Da sei es doch logisch, das auszuspielen, sagt Freymark. Er versuche auch den Wäh­le­r:in­nen gegenüber immer zu transportieren, dass er eine Art „Klassensprecher“ sei für den Kiez. „Damit jeder versteht, worum es eigentlich geht.“

Auch für die CDU im Wahlkreis Lichtenberg geht es im Wahlkampf vor allem gegen die „Zugereisten“. Gegen die AfD-Kandidatin Beatrix von Storch aus Mitte sowieso. Neuerdings aber auch verstärkt gegen die Kandidatin der Linken, die Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner. Auch die sei ja nicht „von hier“, sondern wohne in Schöneberg. Dass die Linke in den Blick genommen wird, hat einen einfachen Grund. Anders als in Marzahn-Hellersdorf scheint sich die noch vor wenigen Monaten schwer strauchelnde Partei in Lichtenberg gerade zu berappeln. „Lichtenberg bleibt rot“, heißt die Parole der Wahlkämpfer:innen, die massenhaft ausschwärmen und an Tausenden Haustüren klingeln.

Die Buch­ma­che­r:in­nen besagter Wahlkreisprognosen sehen inzwischen mal Schwerdtner vorn bei den Erststimmen, mal die Rechtsaußenadlige von Storch. Freymark rangiert hier nur unter ferner liefen. Der CDU-Mann hält die Vorhersagen für Kaffeesatzleserei und „unseriös“. Er lasse sich davon nicht einschüchtern. Da sei ja der Bundestrend, der die CDU stabil bei 30 Prozent sieht. „Und wir haben ja jetzt hier in Lichtenberg etwas aufgebaut in den Jahren.“ Freymark sagt: „Ich kann es schaffen.“ Und wenn nicht? „Dann muss ich es beim nächsten Mal besser machen.“

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