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Gefangen in der eigenen Geschichte

Die Journalistin Elif Akgül berichtete – unter anderem für die taz – aus türkischen Gerichtssälen über Fälle inhaftierter Medienschaffender. Unter einem Vorwand wurde sie nun selbst verhaftet

Elif Akgül im Istanbuler Justizpalast, wirft der Fotografin einen Kuss zu, 21. Februar Foto: Canan Coşkun

Von Ali Çelikkan

Die Journalistin Elif Akgül kennt alle Songs der Rocky Horror Picture Show. Eines Tages hatten wir die Idee, die Shadow Cast-Version des Kultfilms, wo Dar­stel­le­r:in­nen vor der Leinwand mitspielen, in der Türkei aufzuführen. Ich sagte, dass der Ort sofort von einem wütenden Mob gestürmt würde. Elif antwortete: „Wir würden wegen Volksverhetzung im Gefängnis landen.“ Aber Elif braucht keine große Besetzung, keine Kostüme und keinen Tanz vor der Leinwand, um im Gefängnis zu landen – es reicht, wenn sie ihren Job richtig macht.

Elif Akgül verfolgte in ihrem ersten Text für taz.gazete, die deutsch-türkische Plattform der taz, die von der taz Panter Stiftung zur Unterstützung der Pressefreiheit in der Türkei gegründet wurde und die es von 2017 bis 2020 gab, Fälle inhaftierter Journalist:innen. Sie schilderte die Schwierigkeiten, als Journalistin aus den Gerichtsfluren zu berichten und sprach von den Mühen, die sie auf sich nehmen musste manchmal wurde sie dort auch Opfer von Gewalt: „Wie man es als Berichterstattende trotzdem in Gerichtssäle schafft? Diskutieren. Widersprechen. Schreien und Rufen.“

Elif hat jahrelang unzählige Prozesse im berüchtigten Justizpalast in Istanbul verfolgt. Nun ist sie selbst zum Gegenstand ihrer üblichen Berichterstattung geworden. Am 18. Februar wurde sie bei einer morgendlichen Razzia in ihrer Wohnung in Istanbul von der Polizei festgenommen – wegen eines Verfahrens, das mit ihrer Teilnahme an einer demokratischen Versammlung vor 14 Jahren zusammenhängt. Am 22. Februar dieses Jahres ordnete der Richter ihre Inhaftierung an, zusammen mit 30 weiteren Personen, darunter Journalist:innen, Künst­le­r:in­nen und Politiker:innen. Jetzt sitzt sie in einem Frauengefängnis im Westen Istanbuls, gemeinsam mit anderen politischen Gefangenen. Der Vorwurf gegen sie: Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Eine Anklageschrift gibt es zwar noch nicht, doch die Fragen, die ihr während der Haft gestellt werden, zeigen bereits, wie absurd die Vorwürfe sind.

Während ihrer Vernehmung musste Elif Fragen zu den Maifeier-Protesten beantworten, über die sie vor mehr als einem Jahrzehnt berichtet hatte, sowie zu den Gezi-Park-Protesten. Damals wurden innerredaktionelle Telefonate darüber von ihrem Handy abgehört und als Aktivitäten einer terroristischen Organisation gewertet. In ihrer Zeugenaussage erklärte Elif, dass die 13 Jahre alten Abhörprotokolle illegal von denjenigen beschafft worden seien, die später die Ermittlungen im Korruptionsskandal vom Dezember 2013 leiteten. Dabei ging es um Ermittlungen gegen den damaligen Ministerpräsidenten Tayyip Erdoğan, die auf Telefonüberwachungen von Justizbeamten beruhten, die dem Prediger Fethullah Gülen nahestanden. Nicht nur Erdoğan und seine Minister wurden damals überwacht, sondern auch Jour­na­lis­t:in­nen wie Elif. Tatsächlich sind die auf diesen „Beweisen“ basierenden Verfahren längst eingestellt, die beteiligten Staatsanwälte sitzen bereits im Gefängnis. Dennoch setzt die Erdoğan-Regierung weiterhin Gülenistische Methoden und illegal gesammelte „Beweise“ ein, um die Opposition mit konstruierten Anklagen zum Schweigen zu bringen.

Die Versammlung, an der Elif damals teilnahm, war der Demokratische Kongress der Völker (HDK) – 2011 in der Türkei gegründet. Sein Ziel war es, eine Rolle bei der politischen Lösung der kurdischen Frage, der Demokratie und dem Kampf für soziale Rechte und Freiheiten zu spielen. Er wurde völlig legal gegründet – mit der Beteiligung von mehr als vierzig politischen Parteien, Verbänden, NGOs sowie Journalist:innen, Schrift­stel­le­r:in­nen und Künstler:innen. Dass der HDK gerade jetzt ins Visier genommen wird, ist kein Zufall. Die Regierung hat in den letzten Monaten darauf gedrängt, den jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu beenden. Erst in der vergangenen Woche hatte der inhaftierte historische Anführer Abdullah Öcalan zur Entwaffnung und Auflösung der PKK aufgerufen. Der Staat setzt auf eine asymmetrischere und antidemokratischere Vorgehensweise – begleitet von einer Verhaftungswelle, die sowohl demokratisch gewählte Po­li­ti­ke­r:in­nen als auch jede Person trifft, die sich diesem Prozess widersetzen könnte. Der Plan sieht vor, die PKK zur Kapitulation zu zwingen, ohne vorher Bedingungen für einen Frieden zu stellen. Im Rahmen der Ermittlungen, unter deren auch Elif verhaftet wurde, hat die Staatsanwaltschaft eine Liste mit Tausenden von Namen an regierungsnahe Medien weitergegeben und damit die Atmosphäre der Angst weiter verstärkt.

So wurde Elif in die jüngste Welle von Regierungsmaßnahmen zur Zerschlagung der Opposition hineingezogen. Da man ihr keine konkreten Terrorvorwürfe machen konnte, benutzte man illegal beschaffte Tonaufnahmen ihrer journalistischen Arbeit. Elif ist jemand, den jeder im Istanbuler Gerichtshof kennt – Po­li­zis­t:in­nen und Rich­te­r:in­nen gleichermaßen. Sie war immer zu präsent, als sie aus dem Gerichtssaal berichtete.

Elif arbeitet seit 2012 als Journalistin. Als Reporterin für den Fernsehsender IMC TV, der nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 von der Regierung geschlossen wurde. Danach war sie Redakteurin für Nachrichten zur Meinungsfreiheit bei der unabhängigen Online-Zeitung Bianet. Für eine Artikelserie über den 2017 ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink wurde sie ausgezeichnet. Seit 2018 arbeitet sie dann als freie Journalistin für verschiedene Medienorganisationen.

Der Vorwurf gegen sie: Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation

Taz.gazete war eine der Plattformen, für die sie gelegentlich vor allem über Frauenrechte schrieb. Am Internationalen Frauentag am 8. März oder dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November verfolgte sie die Proteste der Frauen, die in den Jahren der Repression mit ihren lila Bannern zu Symbolen der Hoffnung wurden, als sich in der Türkei niemand mehr auf die Straße traute. Im Jahr 2023 wurde sie wegen öffentlicher Beleidigung der türkischen Nation vor Gericht gestellt, weil sie einen Artikel über ein Buch geschrieben hatte, in dem es um den Völkermord an den Armeniern ging.

Elif ist eine sehr mutige Journalistin. Sie weiß, wie man mit Polizeigewalt umgeht, denn sie hat sie unzählige Male erlebt. Elif zieht die Kälte der Hitze vor. Ich erinnere mich, wie sie während eines viermonatigen Stipendiums von Reporter ohne Grenzen in Berlin über einen ungewöhnlich warmen Herbsttag klagte, an dem sich alle anderen amüsierten. „Je kälter, desto besser“, sagte sie vor einem Späti, wo viele Exil­jour­na­lis­t:in­nen ihre Zeit verbringen. Elif interessiert sich für Kampfkunst. Ich erinnere mich an eine Nacht in Istanbul, als sie mir ausführlich erklärte, wie man mit einem Handtuch die Nackenmuskulatur stärkt, um bei einem harten Schlag auf den Kiefer nicht ohnmächtig zu werden. Elif ist zäh. Vor etwa einem halben Jahr ging Elif wegen einer Klage wegen einiger alter Tweets zur Polizeistation. Dort erfuhr sie, dass ein weiteres, geheimes Ermittlungsverfahren wegen Terrorismusvorwürfen gegen sie lief. Trotzdem ging sie fast jeden Tag ins Gericht und nahm in Kauf umgeben von denjenigen zu sein, die sie später verhaften würden.

Am 1. März ließ Elif über ihren Anwalt einen kurzen Brief nach draußen schicken, in dem sie schrieb, dass die Moral unter den Verhafteten gut sei: „Jetzt sind wir an der Reihe, in der Türkei im Gefängnis zu sitzen. Wir hoffen, dass es das letzte Mal sein wird. Wir sehen uns draußen.“

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